Heinrich-Bullinger-Briefwechseledition, Universität Zürich © Heinrich Bullinger-Stiftung Arpa Bibliothek Textbreite Schriftgröße

[2623]

Matthias Erb
an Bullinger
Reichenweier,
14. Oktober 1546

Autograph: Zürich StA, E II 361, 158 (Siegelspur) Ungedruckt

[1]Erb begegnete dem Jungen [Johannes Jud], der schon vor zwei Jahren in Reichenweier war und nun, zur Zeit der Weinlese, in Begleitung des Schulmeisters [Laurentius Montanus] aus Mülhausen kam. Er ist begabt und wird wohl der Kirche eines Tages von Nutzen sein. [2] Zur aktuellen Lage: Körperlich sind alle wohlauf aber was das Gemüt anbetrifft, so weiß allein der Herr, wie sehr man am gegenwärtigen Kreuz zu tragen hat, zumal die [katholischen] Nachbarn drohen. Doch ist nichts von den Plänen des kaum als solchen zu bezeichnenden Kaisers [Karl V.] und seiner Anhänger zu halten! Gott ist auf unserer Seite; er wird uns schützen und rächen! [3] Vorgestern [kam] ein Brief des Grafen [Georg von Württemberg-Mömpelgard]: Der Kaiser habe sich bei Nacht aus seiner Verschanzung [bei Marxheim] in Richtung Nördlingen herausbewegt, sei aber kaum vorangekommen. Die Schmalkaldener sind zwar nicht so lebhaft wie die treulosen Spanier, haben sich jedoch unverzüglich bei Nördlingen in Schlachtordnung aufgestellt. Der verschlagene Kaiser schlich sich aber durch den Wald wieder in seine gewohnte Verschanzung bei Donauwörth zurück. Alle bangen vor der Zukunft. [4] Vielleicht hat Bullinger von dem verräterischen Anschlag auf Sebastian Schertlin gehört. Gott sei Dank hat dieser das Attentat überlebt! Es gibt noch andere Meldungen, die aber nicht verbürgt sind. Bei Gelegenheit mehr. [5]Gruß und Bitte um Gebet.

11 Siehe Adagia 1, 6, 16 (ASD II/2 40f, Nr. 516).
12 Christian Hospinian, der als Schulmeister in Aarau unglücklich gewesen war, hatte am 1. Oktober 1545 wohl durch Bullingers Vermittlung die Pfarrstelle in Bas-
sersdorf (Kt. Zürich) erhalten; s. HBBW XV 612, Anm. 2f.
13 Zu diesem Ausdruck s. schon HBBW XV 251,49.
14 Anna, geb. Adlischwyler.
15 Zu deren Namen s. Nr. 2604, Anm. 25.


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Gratia domini tecum. Puer ille 1 , qui ante biennium apud nos fuit, per nostrum paedotribam 2 ex Mylhusio adductus, me hac vindemia convenit. Quem nolui ad te redire sine litteris. Est enim meo iuditio ingenii foelicissimi, profuturus olim ni a fallat omnium expectationem, ecclesiis. Quem tibi (hoc, quod ipse facis) b commendatum velim.

De nostris rebus hec: Bene valemus quidem adhuc corpore; verum quantum animo novit dominus, adeo multi in presenti cruce offenduntur, maxime vicini 3 grandia minitantes. Nos vero illorum minas et caesaris 4 (si modo caesar dicendus est) iniqua consilia iuxta facimus. 5 Si deus nobiscum, quis contra nos? 6 Dominus protector vite nostre; a quo trepidandum? 7 Capilli capitis numerati sunt. 8 Multis certe adficimur contumeliis, maioribus impetimur convitiis, at dominus olim erit vindicta, 9 etc.

Nudiustercius scripsit 10 princeps noster 11 hec ex castris: Caesarem noctu ex munitione 12 sua promovisse Callipedis 13 more versus Nordlingam, idque Hispanicis technis. Verum nostri, qui, tametsi non sint admodum agiles ut fidefragi 14 illi Hispani, incunctanter suos promoventes c apud Nortlingam acie instructa confligere cupiverunt. Sed ||158v. versipellis ille 15 per densissima

a Über der Zeile nachgetragen.
b Klammern ergänzt.
C Nach gestrichenem trajicientes.
1 Aus Bullingers Antwort an Erb vom 25. Oktober (s. Nr. 2642,6-8) geht hervor, dass der Junge ein Kirchenstipendium in Zürich bezog. Da dieser ferner einen Bezug zum Elsass gehabt haben müsste, zumal Erb im vorliegenden Brief berichtet, dass er ihm schon vor zwei Jahren begegnet sei, und da es sich nicht um Johannes Fabritius (Schmid) Montanus (von Bergheim) handeln kann, weil dieser damals in Sachsen unterwegs war (s. HBBW XVII 428, Anm. 59), wird es sich hier um dessen Cousin Johannes Jud gehandelt haben, der tatsächlich 1544 das Elsass besucht und dabei Erb angetroffen hatte (s. HBBW XIV 264f, Anm. 2) und 1546 tatsächlich noch ein Stipendium in Zürich innehatte; s. Zürich StA, G II 39.2, Schulausgaben der Jahre 1546/47, unter "Crucis" (14. September 1546) und "Lucie" (13. Dezember).
2 Schulmeister; s. Hoven 380. — Laurentius Montanus; s. HBBW XIV 307f, Anm. 1; XV 439, Anm. 17.
3 Die katholischen Nachbarn des vorderösterreichischen
Gebiets in der Nähe der Herrschaft Reichenweier.
3 Karl V.
5 Vgl. Hi 5, 12; Ps 33 (Vulg. 32), 10; 37 (VuIg. 36), 12-17.
6 Röm 8,31.
7 Ps 27 (Vulg. 26), 1.
8 Mt 10, 30; Lk 12, 7.
9 Vgl. z.B. Ps 140 (Vulg. 139), 13.
10 Gemeint ist hiermit nicht das Abfassungsdatum, sondern das Empfangsdaturn des Briefes; vgl. unten Anm. 17.
11 Georg von Württemberg-Mömpelgard.
12 Verschanzung, vorteilhafte Stellung; vgl. Nr. 2615,15-19. —Zur Sache s. Nr. 2607, Anm. 31; Nr. 2612,59-64; Nr. 2613,27— 44; Nr. 2616,39-44.
13 Anspielung auf den griechischen Läufer Kallippides, der sich ständig bewegte, aber nicht vorankam; s. Adagia 1, 6, 43 (ASD II/2 70-72, Nr. 543).
14 treuebrecherisch, treulos; s. Du Cange II 491.
15 Der Kaiser; vgl. HBBW XVII 200,20; 246,8.


Briefe_Vol_18-128arpa

nemorum latibula oberrans tandem in assuetum rediit speleum 16 , non procul a Donenwerda. Quid futurum sit, omnes anxii expectant, 17 etc.

De Sebastiano Schertlin nosti forte, ut quorundam proditorum 18 gladiis sit impetitus, etc., sed dei gratia servatus. Referuntur pleraque alia, sed incerta. Alias plura forte, dum vacarit.

Valebis igitur, vir in domino integerrime, et ora dominum jugiter pro nobis, etc. Raptim, Richenville d ad lucernam 19 14. die octobris 1546.

Tuus Erbius.

[Adresse darunter:] Eximio viro pietate et doctrina d. Henrhito e Bullingero, Tigurinorum antistiti vigilantissimo, etc. Zurch.