Heinrich-Bullinger-Briefwechseledition, Universität Zürich © Heinrich Bullinger-Stiftung Arpa Bibliothek Textbreite Schriftgröße

[2729]

Oswald Myconius
an Bullinger
Basel,
28. Dezember 1546

Autograph: Zürich StA, E II 336a, 268 (neu: 284)(Siegelspur) Ungedruckt

[1]Myconius hat [mit Nr. 2725]alle Neuigkeiten vermittels des Schmiedes [...] aus Dübendorf geschrieben, außer dass der dänische (König Christian III.] einige tausend Mann aus dem Heer Herzog Moritz' [von Sachsen] getötet haben soll. Bullinger weiß wohl schon davon, zumal die Konstanzer dies den Zürchern mitgeteilt haben, die dies wiederum als verbürgte Nachricht an die Basler weitergeleitet haben. Vielleicht lässt der Däne die [Protestanten] doch nicht im Stich! Durch den Erfolg des leichenähnlichen Kaisers (Karl V.] scheint aber Gott etwas zu verstehen geben zu wollen. [2]Myconius dachte, dass dem Kaiser nach den Ereignissen des Sommers kaum ein Zehntel seiner Streitkräfte erhalten geblieben sei. Trotzdem hat er nun so großen Erfolg! Wo sind denn [Sebastian] Schertlin, (Johann Freiherr von] Heideck und alle anderen? Man hat doch behauptet, dass diese viele tausend Soldaten anführen, mit denen sie leicht imstande wären, sich dem Kaiser zu widersetzen. Und das ist bestimmt auch so! Wann also werden diese [Feldherren] zu Verrätern? Es muss etwas geschehen! Wenn wir nur nicht den Herrn verlassen! [3] Wegen der besetzten Städte und Ortschaften macht

17 gefärbt.
18 Pfund (Gewicht). Es entspricht etwa 0,53 kg. Gast hat also etwa 2,6 kg Wolle für Bullinger erworben.
19 Schilling. — 1 Pfund (Währung) = 20 Schilling. Demzufolge waren damals in Basel 50 Schillinge, d.h. 2,5 Pfund (Währung), etwa 2 Gulden wert.
20 Strähnen; s. SI XI 2288f.
21 Fäden.
22 sollt; vgl. SI VII 770.
23 "wurmstichige", hier: von zweifelhafter Qualität, schlechte; s. SI X 1310.
24 Anna, geb. Adlischwyler.
25 Zu deren Namen s. Nr. 2604, Anm. 25.
26 Innocentum puerorum, der Tag der Unschuldigen Kinder; vgl. Mt 2, 16.
27 Hier im Sinne von "genauer gesagt" oder "also"; vgl. SI III 3.
28 Apollonia, geb. Glaser.
29 weniger.


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sich Myconius relativ wenig Sorgen, denn diese sind wetterwendisch. Was ihn aber sehr beunruhigt, ist die Tatsache, dass diejenigen, die sich ergeben haben, offenbar nie Christen gewesen sind; es sei denn, sie haben tatsächlich geglaubt, dass der Kaiser sie bei ihrer Religion belassen würde. Doch sobald dieser gesiegt haben wird (wenn nicht die Erde dieses Ungeheuer zuvor verschlungen hat), werden sie das Schlangengift zu spüren bekommen, das dieser in seinem lügenhaften Mund verbirgt. [4] Wenn es stimmt, dass Herzog [Ulrich von Württemberg] die Seinen im Stich gelassen und sich nicht aus gesundheitlichen Gründen zurückgezogen hat, dann besteht Grund zur Enttäuschung. Müsste sich nicht ganz Helvetien gegen den Feind [Karl V] zur Wehr setzen, zumal dieser dem Thurgau und den anderen [Orten] die Getreideversorgung abschneiden will? Wahrlich, die [Eidgenossen] sind nicht mehr bei Verstand und ziehen Unglück auf sich! Es scheint nun wirklich so, als hätte Gott etwas gegen Germanien" vor! Hauptsache, der Herr vernichtet den Antichristen samt dessen Anhängern! [5] Myconius teilte schon in [Nr. 2725] die verbürgte Nachricht mit, dass Kurfürst [Johann Friedrich von Sachsen] dem Mainzer [Erzbischof Sebastian von Heusenstamm] schwere Schäden zugefügt hat. Was treibt nun [Maximilian von Egmont, Graf von] Büren? Und warum halten sich die Gesandten der [deutschen] Protestanten so lange in Frankreich auf? Dieser Tage traf ein Brief von [Antoine]Morelet [du Museau] ein. Myconius kennt jedoch dessen Inhalt nicht. [6] Schon zweimal haben die Zürcher die von Konstanz erhaltenen Mitteilungen nach Basel weitergeleitet. Warum aber hat sich Bullinger nie darauf bezogen? [7]Hoffentlich beruft Gott bald jemanden, der sich dem Kaiser widersetzen wird! Dafür muss man inständig beten. [8]Gruß. [Francisco de] Enzinas ist nicht nur durch die Arbeit, sondern noch mehr durch den unerwarteten Erfolg des Kaisers niedergedrückt. Er und [Johannes] Gast grüßen zurück.

S. Scripsi 1 omnia, quae novi, per fabrum ferrarium ex Diebendorf 2 excepto, quod Danus 3 dicitur aliquot millia percussisse Mauricianorum 4 . Sed tu id nosti 6 ex Constantia melius, 5 nam tui id inde ad nostros dederunt et quidem pro certo. Surgeret hinc spes nova, quod Danus nondum prorsus nos abiecisset. Nam quod ad caesaris 7 cadaverosi felicitatem, hominis nec pii nec boni, adtinet a , videtur deus per istud cadaver nos velle docere, que hactenus ignoravimus.

Ex his, que per aestatem acta sunt in castris illius, arbitrabamur vix decimum illi superesse militem; 8 et tanta nunc agit! Ubi Schertlius 9 ? Ubi Heideccius 10 ? Ubi alii? De his enim narratur, quod habeant militum adhuc multa millia; tot, inquam, ut cesareanis per dominum facile possent resistere. Et

a Über der Zeile nachgetragen.
1 Mit Brief Nr. 2725.
2 Ein unbekannter Schmied aus Dübendorf (Kt. Zürich).
3 König Christian III. von Dänemark. — Zum Folgenden s. schon die Anmerkungen zu Myconius' Notiz in Nr. 2724,36f.
4 Die Soldaten Herzog Moritz' von Sachsen.
5 Nämlich aus dem Brief von Konstanz an Zürich vom 23. Dezember 1546 (Zürich StA, A 177, Nr. 154).
6 Die Zürcher Ratsherren, die die Nachrichten aus Konstanz mit einem heute in Basel StA, Politisches M 8.3, 414-417,
erhaltenen Brief an Basel weiterleiteten. — Wir danken Rainer Henrich für diesen Hinweis.
7 Karl V. — Zu dessen (laut Myconius) nahezu gespenstischer Erscheinung s. auch schon Nr. 2683,16-21. — Mit dem Glück (felicitatem) des Kaisers bezieht Myconius sich vor allem auf die jüngst stattgefundenen Unterwerfungsakte zahlreicher oberdeutscher Städte; s. dazu Nr. 2724,5-8; Nr. 2725,37-42. Vgl. ferner die schon in Nr. 2692,20-23, von Myconius ausgedrückte Verwunderung über den Erfolg des Kaisers.


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ego certis ductus argumentis credo! Quando igitur se sunt prodituri? Aliquid fiet tandem, modo nos a domino non recedamus.

que occupatae sunt civitates et oppidula, non magni pendo, quod talia sunt ista, ut ad quemvis felicitatis motum mutentur. Quod vero in hominibus, qui se dedunt, adeo nihil videtur esse Christi, hoc certe me movet vehementer! 11 Nisi forte credant caesari, 12 qui nullius religionem promittit se mutaturum. Age, maneant, usque dum vicerit! Sentient os dolosum nunc aspidum tenere venenum et abscondere, nisi prius tantum monstrum terra devoret. 13

Divexor, quod dux 14 reliquit suos - si reliquit, et non potius sue providit valetudini. Annon Helvetia tota deberet exurgere et hostem 15 propellere pro virili, qui efficere tentat, ut Durgeanis 16 et aliis in posterum desit frumenturn? Dico tibi: Insanimus, quamvis in nostrum, ut vereor, damnum! Ex quo patet, quod dominus constituit contra Germaniam 17 aliquid, quod non putabamus. Id autem, quicquid sit, non valde curo domino praesente. Tantum servet nobis verbum suum et perdat antichristum 18 cum suis!

Certum est, quod elector 19 male multavit Maguntinum 20 , quod et in aliis literis significavi. 21 Quid autem agat Burensis 22 , ignoramus. Nemo non miratur, quod legati Protestantium 23 tam diu morantur in Gallia. Scripsit his diebus Maurus 24 ; verum quid, ignoro.

8 Anspielung auf die üblen Zustände im kaiserlichen Feldlager; s. z.B. Nr. 2671,23-42.
9 Sebastian Schertlin.
10 Johann Freiherr von Heideck, württembergischer Truppenführer. — Unter Schertlins und von Heidecks Führung sollen etwa 9'000 Mann in Süddeutschland zurückgelassen worden sein; s. dazu Nr. 2689, Anm. 9.
11 Vgl. schon Nr. 2725,9-14. 37-42; Nr. 2728,5-8.
12 Siehe dazu die Verweise in Nr. 2723, Anm. 86.
13 Anspielung auf das Schicksal des Widersachers Gottes, Korach; s. Num 16, 32.
14 Herzog Ulrich von Württemberg. — Bezug auf Bullingers Mitteilung in Nr. 2724,13-18, über den Rückzug des Herzogs nach Hohentwiel.
15 Gemeint ist der Kaiser.
16 den Thurgauern. — Zur Bezeichnung s. z.B. Heinrich Glarean, In C. Iulii Caesaris commentarios De bello Gallico ac civili ... annotationes, Lyon, Sebastian Gryphius, 1538, S. 35.
17 Damit ist nicht nur das heutige Deutschland gemeint, sondern auch das von den
"Helvetiern" (laut der damaligen Auffassung) bewohnte Gebiet.
18 Gemeint ist der Papst. —Vgl. 2Thess 2, 8.
19 Kurfürst Johann Friedrich I. von Sachsen.
20 Sebastian von Heusenstamm, Erzbischof von Mainz.
21 In Nr. 2725.4f.
22 Maximilian von Egmont, Graf von Büren. —Zu dessen Route s. Nr. 2706, Anm. 21.
23 Als Gesandte der Protestanten bei König Franz I. von Frankreich fungierten gemäß Instruktion vom 23. November 1546 der kursächsische Vizekanzler Franz Burchard (Burkhardt), der hessische Rat Jakob Lersner sowie Johannes Sturm; s. PC IV/I 499, Nr. 466, Anm. I (dort auch der Inhalt der Instruktion). Am 4. Dezember trafen Burchard und Lersner in Straßburg ein (s. ebd., 505, Nr. 472). Am 24. bzw. 27. Dezember schrieb Burchard aus Compiegne, dass sie am Vorabend am französischen Hofe angekommen wären (s. ebd., 531f, Nr. 496). Am 29. Dezember schrieb Burchard, dass die baldige Rückreise Johannes Sturms vonnöten wäre (s. ebd., .544f. Nr. 505). Sturm befand sich spätestens am 4. Januar 1547


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Secundo scripserunt Constantienses ad vestros et vestri huc; 25 de quibus tu ad me nihil! Miror b , nam te clam esse, que significarunt, haud credo. Spero dominum excitaturum propediem, qui caesaris cursum sit remoraturus; 26 id quod rogandus est et fideliter et iugiter.

Vale in Christo. Dryander 27 laboribus est pressus, magis autem dolore propter caesaris insperatam felicitatem. Is et Gastius te resalutat. 28 Basileae, 28. decembris anno 1546.

Tuus Os. Myc.

[Adresse auf der Rückseite:] D. Heinricho Bullingero doctissimo, ministro Christi optimo, fratri ac domino in Christo venerando suo. Zü[ric]h c .