Heinrich-Bullinger-Briefwechseledition, Universität Zürich © Heinrich Bullinger-Stiftung Arpa Bibliothek Textbreite Schriftgröße

[2751]

Bullinger
an Ambrosius Blarer
[Zürich],
14. Januar 1547

Autograph: St. Gallen Kantonsbibliothek (Vadiana), Ms 35 (VBS VI), 221. 223a a (Siegelspuren) Teildruck und zusammenfassende Übersetzung: Blarer BW II 565f, Nr. 1393

[1]Bullinger bedankt sich für Blarers gerade eingetroffene Briefe vom 7. und 11. Januar [Nr. 2743 und Nr. 2746]. Er kann nur in Eile antworten. [2] Schlimm ist die Einnahme Frankfurts (offenbar doch kein Gerücht!). Noch schlimmer wäre ein Versagen Augsburgs. Dann wäre es auch mit Straßburg aus. Doch selbst wenn Sachsen und Hessen kapitulieren würden, darf man zuversichtlich bleiben, da [die Reformation] auf Gott und seinem ewigen Wort errichtet ist. Nun geht Dan 7, [21](,,Das Horn bekriegte die Heiligen und besiegte sie") in Erfüllung. Nun begreift man ferner, was es bedeutet, nicht auf die Fürsten, sondern auf Gott zu vertrauen [Ps 146 (Vulg. 145), 2f], und den Tempel Salomos ohne Hammer und Beil zu errichten [Joh 2, 19-21]. Letztlich wird der Herr doch noch mit dem Zepter seiner Macht von Zion aus über die Feinde herrschen. Sein Wort ist gerade dann am wirksamsten, wenn den Feinden alles gelingt. Dies wurde schon während der babylonischen Gefangenschaft beobachtet. Daniel prophezeite es ebenfalls. Allerdings stimmt es auch, dass der größte Teil der Menschheit es mit dem Teufel hält. Deshalb fragte sich schon Christus, ob er bei seiner Wiederkunft noch Glauben auf Erden finden würde. [3]Man sei also getrost im Herrn! Er kann die Seinen sogar leiblich [aus der Gefahr] erretten. Tut er dies nicht, sind diese bereit, für ihn zu sterben, denn selbst dann wird er siegen. Heuchlerische Christen braucht er keine mehr! Nun muss das Gold durch das Feuer geschieden werden. Geheiligt sei Gottes Name! Der Antichrist gehe zugrunde! [4] Nachdem die Gläubigen ihr Leid überstanden haben, werden diejenigen für alle Ewigkeit leiden, die sich jetzt dem antichristlichen, unverschämten und schlauen Kaiser Karl V. unterwerfen [Dan 8, 23]. [5]Blarer soll standhaft bleiben. [Die Konstanzer]sollen sich nicht ergeben, sonst müssten sie erneut den Teufel, den Papst und die Pfaffen bei sich aufnehmen. Auch wenn ihnen niemand zu Hilfe käme, kann der Herr sie retten, wie er einst Bethulia vor Holofernes und Jerusalem vor Sanherib rettete. Tut er dies nicht, dann lieber sterben! Solange Hiskija sich auf den Herrscher Ägyptens verließ, war seine Lage aussichtlos. [6] Sobald die Zürcher Ratsherren die Beschlüsse [der Tagsatzung in] Baden erfahren, werden sie diese den Konstanzern mitteilen. [7] Derzeit kann nur Folgendes berichtet werden: Zum einen, dass Kaiser Karl V. am 27. Dezember 1546 den Eidgenossen einen schmeichelhaften Brief auf den Tag zu Baden schickte, den Bullinger selbst gelesen hat. Darin bekundet der Kaiser den Eidgenossen seine Freundschaft. Diese bräuchten weder zu rüsten noch Truppen auszuheben. Der Krieg habe kein religiöses Motiv; er wolle nur die Gefolgschaft der geächteten Fürsten [Kurfürst Johann Friedrich von Sachsen und Landgraf Philipp von Hessen] wieder zur Vernunft bringen. Darunter befände sich Herzog Ulrich von Württemberg, den er erneut zum Gehorsam bringen wolle, ohne dabei den benachbarten Eidgenossen zu schaden. Mit diesem Brief täuscht er etliche eidgenössische Orte. Außerdem kündigt er einen Botschafter [Jean Mouchet] aus Burgund an. [8] Zum Zweiten ist zu berichten, dass am Abend des 11. Januar [François de La Rivière], der Gesandte des französischen

a Statt richtig 221 a.


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Königs [Franz I.], in Baden eintraf Genaueres über seine Mission ist noch nicht bekannt. Laut einem ebenfalls von Bullinger gelesenen Brief des Obersts [Wilhelm]Frölich im französischen Dienst soll Franz I. 14'000 eidgenössische Söldner anfordern. 18'000 Franzosen und Gascogner habe er bereits gerüstet und 6'000 Italiener werbe er derzeit an; er plane einen Zug gegen den Kaiser in Italien. Nach Bullingers Ansicht aber wird er diesen Plan aufgeben, sobald er von der schändlichen Kapitulation der Deutschen erfährt! Würde er trotzdem losziehen, wäre nichts von diesem "ägyptischen" König zu erwarten. [9] Beiliegend zwei Briefe mit der Bitte um Rücksendung. Der eine [HBBW XVIII, Nr. 2673]kommt von Baldassare Altieri, dem Sekretär des Botschafters [Edmund Harvell] des englischen Königs [Heinrich VIII.] in Venedig. Der andere [HBBW XVIII Nr. 2733] stammt vom tüchtigen Engländer John Burcher. Beiliegend auch ein Schreiben für Johannes Haller. Falls Blarer den Brief nicht auf sicherem Wege nach Augsburg übermitteln kann, soll er ihn verbrennen. [10]In großer Eile.

Gnad, frid, gedult und stercke verlihe uns gott, etc. Fürgeliepter brüder, in yl schrib ich üch dise antwort mitt höchstem dannck üwers getruwen, flyssigen berichtes. Dann 1 ich hab jetzund empfangen üwer zwifach schriben, das erst 7. ianuarii, das ander 11. [ia]nuarii b2 gäben. Mich beduret insonders Fra[nck]furt 3 übel, sol es waar sin, daß es yngenommen [i]st (ich hoffte allwäg 4 , es were alein ein geschrey 5 ) c . Noch wirs 6 bedurete mich, sölte ouch Augspurg dahin gan 7 , Dann ist es ouch umb Straßburg gethan. Nun wolhin 8 imm namen gottes, wenn dann glych wol dahin fallt Saxen und Hessen, 9 so habend wir doch uff deren dingen keines, sunder uff den läbenden gott und sin eewigs wort gebuwen. Das kan uns nitt fälen 10 ; ja es wirt also erfüllt, das Daniel 7. cap. sagt: Et cornu praelium i[niit] cum sanctis et praevalebat eis, etc. 11 So sähend w[ir] jetzund, was das ist: Nolite confidere in pr[in]cipibus, in filiis hominum, in quibus non est salus; 12 und das gottes tempel des rächten Solomons one hamer und byel gebuwen wirt. 13 Virgam virtutis tuae emittet dominus ex Sion, ut dominetur in medio inimicorum. 14 Dann wenn unsere und gottes find 15 alles habend, wie sy möchtend wünschen, so wirt das wort erst rächt uffgan 6 , wie in der babilonischen gefängnus und wie es imm Daniel gesagt wirt, 17 wiewol der meerteyl 18 des tüfels blyben wirt, adeo ut, cum venturus est filius hominis, vix repertum eius sit fidem in terra, Lucae 18. 19

b Hier und unten Textverlust bei der Entfernung des Siegels. Als Johann Heinrich Hottinger im 17. Jh. seine Abschrift anfertigte (Zürich ZB, Ms F 43, 127), bestanden diese Textlücken schon. Seinen Ergänzungsvorschlägen sind wir nicht immer gefolgt.
c Klammern ergänzt.
1 Denn.
2 Gemeint sind die Briefe Nr. 2743 und Nr. 2746.
3 Siehe dazu Nr. 2743,68 und Anm. 40.
4 immer.
5 Gerücht; s. SI IX 1448.
6 schlimmer; s. SI XVI 1546-1549.
7 dahin gan: abfallen.
8 wohlan; s. SI II 1360.
9 Bezug auf Blarers Mitteilungen in Nr. 2746,31-35. 62-67. 106-109.
10 enttäuschen; irreleiten; s. SI I 769.
11 Dan 7, 21.
12 Ps 146 (Vulg. 145), 2f. 13 Vgl. Joh 2, 19-21; Mt 26, 61; 27, 40.
14 Ps 110 (Vulg. 109), 2.
15 Feinde.
16 aufgehen, blühen; s. SI II 13.
17 Dan 2,34f. 44f; 7,26f; 8, 25; 11,45-12,3.
18 Mehrheit.
19 Lk 18, 8. Vgl. Apk 20, 7-10.


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Dorumb, min herr und brüder, lassend uns rächt wol tröst sin imm herren, der uns nitt verlassen wirt. Wil er, so kan er uns wol uußfürren 20 , ouch liblich; wo nitt, so lassend uns mitt sinen gnaden trostlich in die hand gottes ergäben und umb das testament Christi 21 unsere seelen ußschütten 22 . Gott wil und wirt gesigen in der marter und imm todt siner geliebten, die by imm verharrend. Wil der glichßnerischen 23 Christen nitt mee. Aurum igni probatur. 24 Sanctificetur nomen domini! 25 Confundatur nomen antichristi!

Die sich also schantlich ergäbend an den endtchristischen, listigen, intelligentem propositiones 26 kayser 27 , werdent erst hernach one ufthören plagt 28 werden, wenn es die glöubigen uberkummen 29 habend.

Lieber, sind 30 vest! Ergäbend üch nitt! Dann sunst müssend ir tüffel, papst und pfaffen wider a[n]nemmen. Empfälchend üch rächt gott, ||[221v.] und wenn üch schon nieman weder zü hilff, entschüttung 31 noch trost kumpt, der herr, wil er, mag er üch entschütten wie Bethuliam vom Holoferne 32 und Hierusalem vorm Sanherib 33 . Wil er nitt, so ist [e]s üch eerlicher 34 sterben uff einem huffen 35 mitt [g]ott und eeren. Diewil 36 Ezechias 37 uff den kö[ni]g Egypti sach 38 , was 39 sin ding nut 40 ; Isaie 30. 3[1], etc.

Von Baden 41 habend min herren noch keinen grund 42 . So bald wir eigentlichs 43 habend, sol üch gar nut verhallten 44 werden.

Onet 45 die zwey stuck habend wir: Des einen hatt der keyser ein wunder glatten 46 brieff 17 geschriben, da ich das original, sin sigel, etc., selbs in

20 hinaus-, wegführen (aus der Gefahr).
21 umb das testament Christi: wegen ihres Zeugnisses für Christus (in Anlehnung an Apk 6, 9).
22 nämlich aus unserem Leib (= sterben).
23 heuchlerischen; vgl. SI II 604.
24 Vgl. 1Petr 1, 7; Apk 3, 18.
25 Mt 6, 9 par.
26 intelligentem propositiones: lateinischer Einschub, den Kaiser bezeichnend. Hier eine Anspielung auf Dan 8, 23. — Vgl. schon HBBW XVIII 414,22.
27 Karl V.
28 Vgl. Mt 3, 12 par.; Apk 20, 10.
29 Gemeint ist: wenn die Gläubigen es (ihr Leid) erduldet haben oder es überstanden haben; s. SI III 271 f.
30 seid. —Vgl. 1Kor 15, 58. 31 Befreiung; s. SI VIII 1559.
32 Siehe dazu das Buch Jdt.
33 Der dem Königreich Juda gegenüber feindlich gesinnte Assyrerkönig Sanherib; s. 2Kön 18, 13-19, 37; 2Chr 32, 1-21; Jes 36. 37.
34 ehrenvoller; s. SI I 393.
35 uff einem huffen: auf einmal; s. SI II 1046.
36 Solange.
37 Hiskija, König von Judäa.
38 sah (im Sinne von vertrauen). — Siehe 2Kön 18, 21. 24; Jes 36,6.9. — Vgl. auch unten Z. 59.
39 war.
40 nichts.
41 Von der Badener Tagsatzung. die am 10. Januar begonnen hatte; s. Nr. 2737, Anm. 3.
42 Beschluss; s. FNHDW VII 561, Nr. 13.
43 Genaues; s. Fischer II 573.
44 vorenthalten.
45 Aber; s. SI I 262.
46 schmeichlerisch; s. Fischer III 674.
47 Gemeint ist der Brief des Kaisers an alle Orte vom 27. Dezember 1546 (Zürich StA, A 176.2, Nr. 165; Zusammenfassung in EA IV/1d 754 a. 763 zu a), wie dies aus unten Z. 48f hervorgeht. Er wurde in Baden den eidgenössischen Gesandten zugestellt, und die Zürcher Abgeordneten, Johannes Haab und Itelhans


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henden gehept und geläsen. Ist heruff 48 ab 49 dem tag minen herren zü[g]esandt. Darinn verspricht 50 er sich; sagt, [w]ir dörffind 51 keiner rüstung noch uußnemme[ns]; 52 er sye unser frund; wölle uns blyben lassen, styff halten 53 , ein gnediger herr sin, etc.; er vervolge den glouben nitt; bringe alein zü gehorsamme, die den fürsten 54 , so verbanet sind und geächtet, anhangind; dorumb wöl er ouch Wirtemberg 55 zur ghorsami bringen, doch, wiewol es unser nachburn, uns one schaden, etc. Datum zü Haylbrunn, 27. decembris. Mitt disem brieff hatt er vil oder ettlichen der eydgenössischen orten vergalsteret 56 , daß sy imm gloubend. Und sol noch neißwas 57 bottschafft d uß Burgund kummen. 58 Die sol noch erst berichten wöllen, etc.

Das ander, ist amm Zinstag ze nacht 59 des Frantzosen 60 bott 61 gen Baden kummen. Mögend noch nitt wüssen, was sin werbung 62 . Das schript aber 63 Frölich des königs obrister houptman, har. Hab ouch den brieff in henden gehept. Der könig begär 14'000 Eydgenossen. Habe gerüst 18'000 Frantzosen und Gaßguuyer 64 . Näme an 6'000 Italier ze füren in Italiam wider den kayser, und sol gwüßlich waar sin. Ich acht aber, wenn der k[ö]nig hör, wie ||223a,r. schantlich die Tütschen sich am kayser ergäbend, werde er ouch ynstecken 65 . Zühe er e aber glich 66 , quid salutem ex rege Aegypti? 67

d In der Vorlage bottschaff. —
e er Fehlt in der Vorlage.
Thumysen, schickten mit einem Schreiben vom 12. Januar (Zürich StA, A 227.1, Nr. 89) eines der zwei vom Kaiser gesandten Exemplare dieses Briefes an ihren Rat in Zürich. Laut Zürcher Kanzleivermerk wurde der Brief von den Eidgenossen am 10. Januar in Baden beantwortet.
48 in Richtung Süden (nach Zürich). 49 von.
50 verpflichtet: s. SI X 792. 51 bedürften.
52 Truppenaushebung; s. SI IV 744.
53 styff halten: gehörig, recht behandeln (vgl. SI X 1429. 1432); hier vielleicht auch: ihre Gesetze anerkennen; s. aaO, Sp. 1431.
54 Gemeint sind Johann Friedrich von Sachsen und Philipp von Hessen, die der Kaiser am 20. Juli 1546 geächtet hatte; s. dazu HBBW XVII 347f, Anm. 79.
55 Herzog Ulrich von Württemberg, der einige Tage nach Abfassung des hier besprochenen Briefs des Kaisers einen Friedensvertrag mit Letzterem einging; s. Nr. 2746, Anm. 21.
56 bezaubert, verblendet; s. SI ll 235. —Dies berichteten nämlich auch die Zürcher Abgeordneten aus Baden in ihrem oben in Anm. 47 erwähnten Brief.
57 irgendeine.
58 Gemeint ist Jean Mouchet, damals kaiserlicher Gesandter bei den Eidgenossen, was durch seine Anwesenheit auf der Badener Tagsatzung vom 28. März 1547 bezeugt wird; s. EA IV/1d 799 i. 802 zu i.
59 Dienstagabend den 11. Januar.
60 König Franz I. von Frankreich. 61 François de La Rivière; s. HBBW XVIII 294, Anm. 14. —Zu seinen Anliegen auf dem Badener Tag s. EA IV/1d 758 t.
62 Anliegen; s. SI XVI 1141.
63 Zu Wilhelm Frölichs damaliger Beschäftigung s. HBBW XVII 351, Anm. 19.
64 Gascogner.
65 Hier wohl im Sinne von aufgeben.
66 gleichwohl; s. SI II 596.
67 Siehe die oben in Anm. 38 angeführten Bibelstellen.


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Hie hapt ir zwen brieff. 68 Schickend mir sy wider. Baltazar Alterius est secretarius q[uaest]oris 69 regis Angliae 70 apud Venetos. [B]urkerus 71 Anglus est et studiosus. Schicken[d] mir den brieff 72 eigentlich 73 gen Augspurg Hallern. Wo irs nitt eigentlich könnend, verbrennend inn.

Datum 14. ianuarii 1547. In grosser yl. Gott mitt üch in eewikeit. Dominus liberabit nos.

H. Bullinger.

[Adresse auf f. 223a,v.:] Sinem fürgeliebten herren und brüder, meyster Ambrosien Blaureren, predicanten zü Constantz!