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Autograph: Zürich StA, E II 357, 220-222 (Siegelspur) Teildruck und zusammenfassende Übersetzung: Blarer BW II 562-564, Nr. 1392
[1] Blarer dankt für Bullingers Schreiben [nicht erhalten]. Er ist zuversichtlich, dass nach
Gottes Züchtigung dessen Gnade walten wird. Ohne Leid und Trübsal bessern sich die Menschen
nicht. Daher muss Gott sie zunächst mit der Rute strafen. Fest steht auch, dass die
Feinde dem Zorn Gottes nicht entkommen werden. —[2]Die Städte haben sich alle ergeben,
nur Lindau verhandelt noch und wird wohl auch nachgeben. Frankfurt wurde von Kaiser Karl
V. eingenommen. Aus Augsburg erwartet man stündlich Nachrichten. Die zur Übergabe gedrängte
Stadt wird wohl auch einlenken müssen. Georg Frölich ist es dort völlig unwohl. Die
Erfolge des Kaisers bereiten ihm wie auch anderen viele Sorgen. Vielleicht wird er sich bald
nach Konstanz zurückziehen müssen. Was für ein Jammer! — [3] Am 6. Januar hat sich
Tübingen (außer dem Schloss) mitsamt der Vogtei ergeben. Die kaiserlichen Besatzungstruppen
sind aber noch nicht eingetroffen. An Erhard Schnepf wurde geschrieben, dass ein Friede
[zwischen Herzog Ulrich von Württemberg und dem Kaiser]vereinbart wurde. Darüber wird
man wohl bald mehr erfahren. Am Vortag hat der Konstanzer Rat wie auch Blarer selbst
erneut auf den Hohentwiel geschrieben, nachdem der am [3. Januar] zum Herzog gesandte
Bote [...] immer noch nicht zurückgekehrt ist. Man kann sich nicht erklären, warum der
Herzog diesen so lange aufhält. Vielleicht wollte er die Fertigstellung des Friedensvertrags
abwarten. — [4] Die Ulmer behaupten, dass Kurfürst Johann Friedrich von Sachsen und
Landgraf Philipp von Hessen als Erste, und zwar schon zwei Wochen vor ihrem Abzug [aus
Süddeutschland], mit dem Kaiser über einen Frieden verhandelten und diesem sogar einen
hohen Geldbetrag anboten, den sie durch eine Sondersteuer von drei Pfennigen pro Untertan
zu finanzieren gedachten. Sie sollen auch mit Sultan Suleiman verhandelt haben. Blarer kann
dies nicht glauben! —[5] Von Herzog Ulrich sagt man, dass er beim Kaiser auf demütigste
Weise um Gnade angehalten habe und dabei betont hätte, sich ihm gegenüber nicht so schlimm
verhalten zu haben wie Wilhelm von Kleve [während der Geldrischen Fehde]. Zudem soll er
dem Kaiser vier Tonnen Gold angeboten haben! —[6] Wenn es tatsächlich stimmt, was die
Ulmer berichten, so ersieht man daraus, wie Gott den Fürsten den Mut genommen hat. Was für
eine Schande! Die Friedensverträge ziehen bestimmt ein Verkündigungsverbot von Gottes Wort
nach sich. Zudem soll ohne Zustimmung des Kaisers und König Ferdinands I. niemand mehr
Bündnisse schließen dürfen: Ein klarer Verstoß gegen Deutschlands Freiheiten und gegen dieBriefe_Vol_19-105 arpa
Reichsordnung! Man soll auch gezwungen sein, sich fortan dem Kammergericht zu unterwerfen.
Dann wäre alles verloren, denn dies würde die völlige Rückerstattung [der Kirchengüter]
und die Wiedereinsetzung der Pfaffen und der Messe bedeuten. Und auch wenn dann [die
Protestanten] ihren Glauben behalten dürften, was wäre dies für ein jämmerlicher Zustand!
Lieber sterben! —[7]In Bezug auf die Religion hat der Kaiser den Ulmern nichts zugestanden.
Seine Räte haben ihnen [lediglich mündlich]versichert, dass sie wohl bei ihrer Religion bzw.
bei der von Herzog Moritz von Sachsen ausgeübten Religion bleiben dürften. Letzterer hält es
aber mit der [verwerflichen Religionsform] der Nürnberger; ja er soll sogar dem Konzil von
Trient zugestimmt haben. —[8]Die Lage ist äußerst schlecht. Man versucht, die wahre Religion
und Gottes Wort auszutilgen, auch wenn man dies natürlich nicht zugibt. Es ist erbärmlich!
—[9] Vom Kurfürsten und Landgrafen hört man nichts Gewisses. Am Vorabend erzählte
einer [...] aus Augsburg, dass der Landgraf durch Herzog Moritz den Kaiser um Gnade bittet,
Letzterer diese aber nur gewähren will, wenn der Landgraf in Person erscheint. Das wird
dieser wohl tun müssen. Wie schrecklich! —[10] Vielleicht fungiert der gegenwärtige Kaiser
als eine von Gott bestimmte Rute (wie einst der babylonische König [Nebukadnezar]), die alle
Völker bestrafen und unterwerfen wird. Schließlich aber wird auch sie ins Feuer geworfen.
— [11] Die Feinde freuen sich schon über alle Maßen, besonders im [habsburgischen Radolf]zell,
wo sie sogar ankündigen, dass sie bald in Konstanz sein werden. Der Knecht [...]
eines Konstanzer Giasermeisters, Caspar [Stillhart], hat dort bei einem Domherren [...]Fenster
eingesetzt. Als er das Geld einforderte, sagte dieser: "Ich gebe dir keinen Pfennig! Berichte
vielmehr deinem Meister, dass ich bald nach Konstanz komme und ihn mit einem blutigen Kopf
bezahlen werde!"Es wird immer schlimmer! Es heißt aber auch, dass "die Freude des Heuchlers
nur einen Augenblick währt" [Hi 20, 5] und dass "Hochmut vor dem Fall kommt"
[Spr 16, 18]. Jetzt ist die Stunde der Finsternis, doch die Lage wird sich gewiss bald wenden.
—[12] Was wurde denn [an der Tagsatzung] zu Baden erreicht? Angeblich soll der Kaiser mit
den Fünf Orten in Kontakt stehen und diese überzeugt haben, dass man ihm zu Unrecht
Absichten unterstellt, die er gar nicht habe. Daher ist zu befürchten, dass die Zürcher nichts
[für die Sache Konstanz'] in Baden ausrichten werden. — [13] Soeben traf der schon [am
3. Januar] auf den Hohentwiel entsandte Konstanzer Bote ein, zwar ohne einen Brief von
Johannes Knoder an Blarer, aber mit einem Schreiben Herzog Ulrichs an den Rat. Der Herzog
schreibt, er habe den Boten aufgehalten mit der Absicht, ein Treffen seiner Räte mit den
Konstanzern in Stein am Rhein zu arrangieren, damit Letztere ihre Bedenken [bezüglich eines
Friedensvertrags]hätten anbringen können. Doch alles sei nun anders gekommen. Jetzt werde
er sich wieder seinem Fürstentum nähern. Daraus kann man schließen, dass er einen Frieden
angenommen hat und die damit verbundenen Bedingungen nicht mitteilen will, obwohl der
Konstanzer Rat danach gefragt hat. —[14] Grüße. —[15] Von mehreren Seiten wird gerade
berichtet, dass der Landgraf durch Herzog Moritz beim Kaiser um Gnade fleht. Der Kaiser
will diese aber nur gewähren, wenn der Landgraf sich persönlich stellt, den Herzog Heinrich
von Braunschweig befreit und wieder in sein Herzogtum einsetzt. Hoffentlich kommt es nicht
dazu!
Freuntlicher, furgeliepter herr und brüder. Ich hab ewer schreiben 1 wol empfangen.
Sag ewerm fleysß und christelichen fürsorg allen möglichen danck.
Byn a by mir selbs wol getröst und ongezweyfellt, der herr werde unnß doch
entlieh nitt lassen, und nach erduldung seiner züchtigung widerum lassen
sein gnadreychs angesicht leuchten 2 zü allem gütem. Es sind vor langem
und wolbeschuldt 3 sachen: Der recht ernst zur besserung will on schwäre
creutz und anfechtung 4 nitt in unß. Darum unser bests, der herr halte unßBriefe_Vol_19-106 arpa
under der rüt. 5 Unser find 6 werden doch letstlich die heffen 7 des bächers
seines zorns 8 austrincken. Dem herren seye pryß in ewigka[it]]b !
Die stett sind all hinuber, ausgenommen Lyndauw. Steht 9 noch in der deliberation, aber zü sorgen, werde nitt halten. Franckfurt hat der kaiser 10 ouch inn. 11 Von Augspurg warten wir noch all stund ze vernemen, wie es stand. Man hellt ernstlich bey inen an, sy sollen thain 12 wie ander; es werde sy sonst hart gerüwen 13 . Sicht im gleych, sy werdinds thain. Letus 14 ist in grossen engsten und anfechtungen. Achten, er sollte dise tag heruff 15 zü unß kommen. 16 Er und ettlich mehr trauwen den sachen nitt, so der kaiser allso oberhand gewynt. Begert, das wir ernstlich zü gott rüffen. Es ist doch ain kleglicher jomer, das unß gott dermassen vor unsern finden zü schanden macht, wiewol ers alles widerum kan zü ehren pringen. Ach, das thüe er bald!
Tubingen hat uff dunstag nechst 17 sampt der gantzen vogtey 18 dem kaiser geschworen, wiewol das schlosß sich nitt ergeben hat. Ist ouch noch kain volck 19 dahin komen. Aber man schribt dem Schnepffen 20 , es seye ain frid gemacht und schon versiglet. 21 Den werde man die tag eroffnen 22 ; wie und inn was gestallt, wirt man glich vernemen. Meine herren haben uff die
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Wiel 23 abermals uff gestert geschriben (desglichen ouch ich 24 ) c , dann 25 sy uff gestert acht tag ainen botten 26 dahin abgefertiget zü dem hertzogen 27 , der ist noch nitt widerum kommen. Konnen nitt gedencken, warum inn der hertzog alls lang ufthellt, dann das er vyllicht hat warten wellen, byß der frid hinüberkompt und aller ding die sach verhandelt wirt. Wartend all stund.
Die von Ulm sagend vyl von Sachsen 28 und Hessen 29 , wie sy am ersten, und wol 14 tag vor und eh sy uss dem land zogen, 30 um frid angehalten und bym kaiser handlen lassen mitt anbietung ainer grossen summa gellts, namlich 3 gemainer pfenning (welchs doch ain groß güt trefe 31 in iren furstenthumben); item sy habind den Turcken 32 angerufft und mitt im practiciert, etc. Aber es ist kainswegs in meinem hertzen glophich usß vyl ursachen.
||221 Item von Wirtemperg sagen sy auch, der hertzog habe uff das allerdemütigest um gnad bym kaiser angesücht, inn ermanet by der barmhertzigkait gottes, der doch nie kain sunder gnad versagt hab; er habe doch noch nitt alls 33 ubel am kaiser gehandelt, wie Clef 34 gethon; item habe 4 tünnen gold dem kaiser angebotten! 35
Ists war, wie Ulm sagt, so müssend wir doch wol sechen, wie gott den fürsten den müt nympt. 36 Ach, was grosser schand und schmach! Noch were es alles zü dulden, wann man doch nun nitt ouch ander conditiones annem, durch die man gewisslich von gottes wort trungen 37 wirt, wann es gott nitt wunderbarlich mitt gnaden verhüt. Man müß nymmermehr mitt nieman kain pundtnusß machen, kaiser und könig 38 seyen dann ouch darinn! d Diß ist doch gar contra nostram libertatem Germania et ordinem imperii. d39 Man soll fürohin dem camergricht gehorsam sein, welch stuck allain allen sachen den hals abbricht 40 . Dann darinn ist schon eingeschlossen alle restitution in integrum und insetzung aller pfaffen und ires gotzdiensts, etc. 41 Wann man
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dann unß glich 42 ouch blyben ließ by unserm globen, hilff gott, was wurd es doch für ain jamer? Söllte man nitt lieber ztusendmal sterben dann sölichs sehen!
Der religion halb hat sich der kaiser gar nichts gegen Ulm begeben 43 . Wol sine räth 44 haben sy vertröst, man werde sy by der religion (wie die hertzog Mauritz halte) belyben lassen. 45 Der hellts uff nürenbergisch. 46 Und sagt man, er hab in das Trientisch concilium consentiert. 47
In summa: Die sach ist gantz pfynnig 48 . Man sücht die waren religion und gottes wort auszetilcken; allain gibt man der sach ainen andern nammen, blendt man allso und lasst sich blenden, das zü erbarmen.
Von Sachsen und Hessen hört man gar nichts gewisses. Necht 49 sagt mir ainer 50 von Augspurg, es sollt gewiss sin, das der landtgrauff glich so ernstlich durch hertzog Mauritzen bym kaiser umb gnad anhyelt, 51 aber der kaiser welle inn nitt begnaden, er stelle sich dann selbs dar in aigner person; und achte man ouch, er werd es thain. Das werind doch erschrocklich sachen! Gott will unß gar vor disem find zü nichten machten 52 .
Ich gedenck mir offt, diser kaiser müsß vyllich die rüt sin, damitt er alle völcker straffen und synen gwalt geben welle, wie ainest der babilonisch könig 53 (Hieremiae 21 54 ) e , und müsse er danecht 55 darnach als die rüt 56 ouch inn ofen 57 .
||222 Unser widerwertigen 58 tobend und wüten, jubilierend und triumphierend uber die massen (zü Zell 59 sonderlich), rumend sich gegen den unsern, wie bald sy hie in der statt sein wellen. Es hat maister Caspar 60 , glaser hie, ainem thaimherren 61 zü Zell fenster gemacht. Und alls er im die durch sinen
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knecht 62 geschickt, ouch insetzen und das gelt hat fordern lassen, hat er zü dem knecht gesagt: "Ich gib dir nitt ain pfenning! Gang hin, sag dinem maister, ich well bald selbs zü Costentz sin und inn mitt ainem blütigen kopff zalen", etc. Des dings und trotzens ist kain ort noch end! 63 Aber es haist: "Gaudium hypocritae ad instar puncti", 64 etc. Item: "Ante ruinam exaltatio." "65 Es ist yetzund hora ipsorum et potestas tenebrarum. 66 Wirdt sich bald umkeren. Byn ich ungezwyfelt. 67 Lasst unß dem herren das volck beraiten zür bessrung, damitt er sin glory und herrlichait mitt grossen ehren an unß bewysen möge.
Mich verlangt zü vernemen, was zü Baden 68 usgricht werde. Es ist ain sag, kaiser hab grosß practick 69 mitt den 5 Orten 70 und bildt inen treffelich in, wie unrecht im geschech und wie gar er nitt dis vorhabens seye, wie er geschuldiget werde, etc., 71 allso das vyllicht sein persuadieren by inen gelten wirt, und die eweren nichts werden können fruchtbars aussrichten, 72 wiewol ich noch etwas hoffnung hab, der lieb gott werde noch etwas überigs erhalten 73 und den find nitt alles fressen lassen.
Yetz kompt der bott 74 , den min herren uff die Wiel geschickt haben und so lang aussplyben ist. Bringt mir kain schriben vom doctor Hans Knoder, dem ich geschriben. Achten, er 75 habs nitt dörffen thain. Aber minen herren bringt er 76 ain schreiben vom hertzogen. Der zögt an, er hab den botten uffgehalten der mainung, das er seine räth wellte gen Stain 77 abgefertiget haben und mine herren ouch dahin beschaiden, ettliche ire bedencken von inen zü vernemmen. So habind sich aber die sachen dermassen zütragen, das es dißmal nitt statt hab; und werde er sich yetz widerum sinem furstenthumb necheren. Daruß man wol abnympt, das er ainen friden angenommen; da 78 er aber nitt gern anzögt mitt was conditionen und geding 79 . Dann mine herren sölichs zü vernemmen begert haben; er umgehts aber, etc.
Sagt allen güten herren und freunden vyl, vyl dienst, güts und grütz, und vermanend yederman, gott für uns ze bitten. Datum den 11. januarii 1547.
[Ohne Unterschrift.1
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Es kommen schriben von ettlichen orten, das der lantgrauff durch hertzog Moritzen ouch auffs demütigest bym kaiser anhalten lasse um gnad, etc. 80 Der kaiser welle aber nitt, er stelle sich dann, und vor allen dingen müsse der von Brunschwyg 81 widerum ledig 82 gelassen und restituiert werden. Hoff und trauw zü dem lieben gott, es komme darzü nitt! Er schutte sinen zorn nitt dermassen ausß, das wir sechen müssen disen jamer.
[Adresse auf der Rückseite:] An meister Heinrich Bullinger zü Zürich. Zü aig[nen handenn]f .