Heinrich-Bullinger-Briefwechseledition, Universität Zürich © Heinrich Bullinger-Stiftung Arpa Bibliothek Textbreite Schriftgröße

[1699]

Oswald Myconius an
Bullinger
Basel,
6. Dezember 1542

Autograph a : Zürich StA, E II 343a, 252 (Siegelspur) Ungedruckt

Die von Bullinger genannten Gründe, weshalb er ihm seinen [Matthäuskommentar] nicht geschickt hat, überzeugen nicht; dies soll aber nicht als Bitte verstanden werden. Begrüßt zusammen mit [Ludwig] von Reischach, der sich über den Gruß gefreut hat, die abweisende Haltung der Zürcher gegenüber dem französischen [König Franz I.]; die Basler verschaffen dem Mandat [gegen den Reislaufi zu wenig Nachachtung. Nach der Verwüstung des Jülicher Landes, worüber ihm aus Wittenberg geschrieben wurde, will Sachsen Truppen gegen [die niederländische Statthalterin] Maria entsenden; Myconius fürchtet die Verwicklung weiterer

b Von in bis praelegatur am Rand ergänzt.
9 Sultan Suleiman I.
10 Es handelt sich um den am 25. November erlassenen Beschluss "Der loblichen statt Zürich ordnung und erkanntnuß wider das schädlich kriegen und reyßlouffen"(BZD C 317).
11 Hans Welser.
a Der vorliegende Brief ersetzte den nicht abgeschickten vom 22. November, was die teilweise wörtlichen Übereinstimmungen erklärt (vgl. oben Nr. 1694, bes. Anm. a).


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Mächte in diesen Krieg. Von vier nach Ungarn gezogenen Deutschordenskomturen kehrte nur einer heil zurück; er berichtete Reischach über die Belagerung [von Pest] und über die Untreue mehrerer Heerführer, von denen vier hingerichtet wurden und einer [Peter Perényi] dem Nürnberger Reichstag übersteht werden soll, da er mit dem Mönch [Georg Martinuzzi] und den Türken gegen die Deutschen konspirierte. Gerüchte über einen nur wegen des Kriegs in Ungarn aufgeschobenen Angriff auf die Eidgenossenschaft und über Pläne Kaiser [Karis V.] zur Besetzung Mailands; wer auf Gott setzt, ist gut versehen. [Martin]Bucer wurde vom Kölner [Erzbischof Hermann von Wied] erneut berufen und wird vielleicht nach Minden, Osnabrück und Paderborn reisen, wo Bereitschaft zur Annahme des Evangeliums - und hoffentlich auch mehr Bereitschaft zur Buße als [in Basel] -besteht. Luther und die Straßburger haben wegen der Freigabe des Korans an den Basler Rat geschrieben; Bullinger wird noch davon erfahren. Auf den jüngsten Brief will Myconius später antworten. Gruß. Der vorausgegangene Bote kam zu früh.

S. Mirum, quod scribis: "Nolui te vasto onerare codice" etc. 1 An ignoras libros ad aurum habere comparationem? Atqui hoc quo maius, eo gratius. Quamobrem aliud esse oportet, quod nihil miseris, qui omnia, quae hactenus scripsisti, miseris. Nam reliquae causae, quas addis, prorsus nullae sunt. Tanquam ego recipiam et aequi consulam, quicquid in excusationem tui adducis. Nec velim, haec interpreteris, tanquam aliquid petam, sed tuis sic amice et simpliciter respondere volui.

Dominum a Rischach nomine tuo salutavi et exposui, quae significasti de tuis et Gallo 2 . Ut ergo salutationem gratanter excepit, ita placent magis magisque tui, quod illum nolint, precaturque constantiam in domino. Et profecto prudenter mihi fecisse videntur, quia nihil responderunt, ne veniant in colloquium; adeo vafer est enim diabolus ille, ut eo colloquio male usurus esset. Persistant, et dominus erit cum eis. Nos hic certe non ita bene nobis constamus in negocio Gallicano, dum post mandatum adeo severum 3 poena irrogatur, ut omnes cordatiores dicant stimulum multis fore ineunte vere turmatim excurrendi.

Praeterea ducatus luliacensis totus vastatus est et occupatus a Brabantis; 4 parsum est neque sexui neque aetati; sic ad me scriptum est Vitenberga. 5 Qua re motus Saxo 6 conscripsit exercitum contra Mariam 7 . Quid putas futurum, si pax non fuerit facta? Scimus cognatos et amicos Saxonis, ad quos et Gallus accedet propter affinem Iuliacensem 8 . Danus 9 per se quoque adversarius est caesaris 10 et Turca 11 amicus Galli. Cogita Martis in annum futurum perturbationes!

1 Vgl. oben Nr. 1694, Anm. 1.
2 König Franz I. von Frankreich; vgl. ebd., Anm. 3.
3 Vgl. oben Nr. 1686, 15f mit Anm. 9.
4 Vgl. oben Nr. 1686, 22f mit Anm. 13.
5 Ein entsprechender Brief liegt nicht vor.
6 Kurfürst Johann Friedrich von Sachsen.
7 Maria von Ungarn, Statthalterin der Niederlande. - Zur militärischen Unterstützung Sachsens für Herzog Wilhelm von
Jülich, Berg und Kleve s. Heidrich, Erbfolgestreit 75-77; Mentz II 354-357.
8 Zur Verschwägerung Herzog Wilhelms von Jülich, Berg und Kleve mit König Franz I. von Frankreich s. HBBW XI, S. 198, 128f mit Anm. 64f.
9 König Christian III. von Dänemark.
10 Kaiser Karl V.
11 Sultan Suleiman I.


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Commendatores, quos vocant Teutonicos, quatuor profecti b in Hungariam, 12 duo sunt occisi, tertius aegrotat in itinere, quartus his diebus huc venit, apud Rischachium 13 coenavit, et postquam de opugnatione 14 satis dixit, de ducum quorundam coepit perfidia, quatuor plexos capite adserens, 15 quintum Hungarum et proditorem nequissimum in cathenis teneri mittendum ad comitia Nurenbergensia. 16 Is statuerat ex pacto cum monacho 17 Germanos a

b quatuor profecti am Rande nachgetragen.
12 Das Kontingent des Deutschmeisters wurde vom Landkomtur von Biesen, Winand von Breil, kommandiert; als Teilnehmer des Feldzugs ist auch der Mergentheimer Komtur Wilhelm Halber von Hergern nachweisbar; s. Axel Herrmann, Der Deutsche Orden unter Walter von Cronberg (1525-1543), Bonn-Bad Godesberg 1974. - Quellen und Studien zur Geschichte des Deutschen Ordens 35, S. 201f bzw. 146. Zu denken ist vielleicht auch an den in Ungarn gefallenen Komtur der Johanniter-Kommende Tobel (Kt. Thurgau), Dietbald Gyß von Gyßenberg (vgl. EA IV/1d 217 i).
13 Ludwig von Reischach war ehemaliger Deutschordens-Komtur von Beuggen; vgl. oben Nr. 1644, Anm. 10.
14 Zur gescheiterten Belagerung von Pest vgl. bes. oben Nr. 1694, Anm. b.
15 Es scheint sich um ein bloßes Gerücht zu handeln.
16 Die Rede ist von Peter Perényi (1502-1548), der unter dem Vorwurf verhaftet worden war, mit türkischer Unterstützung die ungarische Krone angestrebt zu haben. Der Magnat, der bereits 1526 bei Mohács ungarische Truppen kommandiert hatte, war zeitweise ein wichtiger Parteigänger Johannes Zápolyas. Für seine Mitwirkung bei dessen Krönung wurde er zum Woiwoden von Siebenbürgen ernannt. In Verfolgung seiner weitreichenden Ambitionen wandte er sich vorübergehend König Ferdinand zu, versuchte aber auch eine eigene Mittelpartei aufzubauen, verhandelte mit Sultan Suleiman und trat als Beschützer der Reformation auf. Die Freilassung aus seiner mehrjährigen Gefangenschaft
überlebte er nur um wenige Tage. - Lit.: Mihály Sztáray, História Perényi Ferenc kiszabadulásáról. Perényi Péter élete és halála, Budapest 1985; Constantin von Wurzbach, Biographisches Lexikon des Kaiserthums Österreich, Bd. 21, Wien 1870, S. 484-486.
17 Das Gerücht bezieht sich zweifellos auf Georg Martinuzzi (Martinusius, nach seiner Mutter; eigentlich Utjesenovic, Utisenius), der meist nur "Bruder Georg"(Fráter György) oder auch "der Mönch" genannt wurde. Der kroatische Adlige, geb. 1482 in Kamicac (Kamicak, Dalmatien), war zunächst Page und trat darauf dem Paulinerorden bei. Nach seiner Priesterweihe wurde er Prior in Tschenstochau (Czaestochowa, Polen) und Sajólád (Ungarn). Als Rat von Johannes Zápolya stieg er ab 1527 zum bedeutendsten Staatsmann Ungarns auf, wurde 1534 Bischof von Großwardein (Oradea Mare, Nagyvárad, Rumänien), nach dem Tod Zápolyas königlicher Statthalter im Fürstentum Siebenbürgen und 1551 Erzbischof von Gran (Esztergom, Ungarn) sowie Kardinal. Der gewiefte Diplomat und Gegner der Reformation unterstützte die Einigung Ungarns unter der Krone Ferdinands, bemühte sich aber auch um ein gutes Einvernehmen mit den Türken. Ferdinand, der ihm misstraute, ließ seinem Heerführer Castaldo freie Hand, worauf dieser ihn 1551 in Alvinc (Vintu de Jos, Siebenbürgen) ermorden ließ (vgl. den von Bullinger eigenhändig korrigierten Bericht über dieses Ereignis in Zürich ZB, Ms F 24, 463-468. 470). - Lit.: Biographisches Lexikon zur Geschichte Südosteuropas, hg. v. Mathias Bernath u. a., Bd. III, München 1979. - Südosteuropäische Arbeiten 75/3, S. 1 10f; Gabriel Adriányi, in: LThK 3 VI 1435f.


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tergo invadere, dum hi coepissent praelium cum Turca, et parta victoria regem pro voto creare Ferdinando 18 reiecto. Negavit se iterum contra Turcam esse profecturum, postquam eundem inveniret amicos habere inter nos quoque.

Adde, vir mercator Sangallensis 19 diebus superioribus palam dixit sic se in ditione Palatini 20 audivisse: "Nisi clades Hungarica praepediisset, bellum certo iam illatum Swiceris." Et timendum vere aliquid, maxime si rumor, qui volat de caesare, quod Mediolanum sit ad tempus occupaturus, veritate comprobabitur.

Bene illis, qui ex corde possunt dicere: "Domini ego sum."21

Bucerus revocatus est a Coloniensi 22 et forsitan ibit etiam ad Mindenses, Ossenbruckenses et Padebornenses. Consensum est enim ab his omnibus, quod evangelium velint recipere. Dominus det, ut evangelium totum recipiant, hoc est poenitentiam et remissionem peccatorum, non - ut nos - posterius solum!

Lutherus scripsit ad nostros propter Alcorani liberationem, 23 simul etiam Argentinenses; 24 quid rei sit, deinceps audies.

De his, quae nunc misisti, 25 alias.

Vale per dominum Iesum cum tuis et Theodoro 26 .

Basileae, 6. decembris anno 1542.

Praevenerat me superior tabellio 27 festinando etc.

Tuus Os. Myconius.

[Adresse auf der Rückseite:] Domino Heinricho Bullingero, theologo pientissimo, domino suo observandissimo. Zü[ric]h. c

c Teilweise auf das nicht mehr vorhandene Verschlussband geschrieben.
18 Ferdinand, römischer König.
19 Unbekannt.
20 Gemeint ist wohl Kurfürst Ludwig V. von der Pfalz.
21 Vgl. Jes 44, 5.
22 Zu Bucers Abreise s. oben Nr. 1696, Anm. 8.
23 Luther an Bürgermeister und Rat von Basel, 27. Oktober 1542 (Hagenbach, Koran
298-301; WA Briefwechsel X 160-163, Nr. 3802); vgl. Bobzin, Koran 198. 203-205.
24 Pfarrer und Lehrer von Straßburg an Bürgermeister und Rat von Basel, 27. November 1542 (Hagenbach, Koran 315-320); vgl. Bobzin, Koran 198. 200-203.
25 Offenbar war inzwischen ein weiterer, ebenfalls nicht erhaltener Brief Bullingers eingetroffen.
26 Theodor Bibliander.
27 Unbekannt; vgl. oben Nr. 1694, 48.