Heinrich-Bullinger-Briefwechseledition, Universität Zürich © Heinrich Bullinger-Stiftung Arpa Bibliothek Textbreite Schriftgröße

[2289]

Georg Frölich an
Bullinger
[Augsburg],
20. November 1545

Autograph: Zürich StA, E II 346, 171 (Siegelspur) Ungedruckt

Wie kann Frölich dem gewissenhaften Korrespondenten Bullinger gleichkommen? Er möchte weder Inhaltsloses schreiben noch aus Nachlässigkeit schweigen, obwohl Schweigen aufgrund der vielen Staatsgeschäfte möglich wäre; doch seinem Freund Bullinger gegenüber bricht er sein Schweigen gern. Zur großen Freude Frölichs und des [Augsburger] Rats ist Johannes Haller in Begleitung von [Hans][W]ilpert [Zoller] und Huldrych Zwingli [di.]eingetroffen. Sie wurden auf das Freundlichste empfangen. Man hat mit ihnen bei den Bürgermeistern [Jakob Herbrot und Hans Welser]gespeist und ihnen das Zeughaus und die Bibliothek gezeigt. Haller wird bis zur endgültigen Regelung seiner Anstellung bei Frölich wohnen. Er soll nicht nach Kaufbeuren oder an einen anderen Ort geschickt werden. Er gehört nach Augsburg, wo er als Zeichen der Freundschaft mit den Zürchern bleiben soll! Frölich wird ihm jederzeit zur Seite stehen. Der [Augsburger] Rat hat die Beherbergung von [Zwingli d.J. und Zoller] bezahlt und auch die Reisekosten des Letzteren übernommen; Frölich wird sich um diejenigen von Haller kümmern. Frölich ist auch der Meinung, dass die [Protestanten] in ihrem Verfahren mit [Herzog Heinrich von] Braunschweig darauf achten sollten, nicht eine ähnliche Strafe wie Ahab und Abimelech auf sich zu ziehen. Landgraf [Philipp von Hessen] wird aber schon wissen, wie mit Sieg und Rache umzugehen ist, auch wenn [Heinrich] wohl nicht hingerichtet, sondern zu lebenslanger Haft verurteilt wird, da das kaiserliche Recht zwischen [Adligen] und Personen niederen Standes unterscheidet. Der [Braunschweiger] Krieg ist beendet, wie Frölich schon kurz in einem Brief [Nr. 2285] berichtet hatte, der hoffentlich Bullinger aus Konstanz übermittelt wurde. Seitdem ist Landgraf [Philipp von Hessen] weitergezogen und hat den Herzog [Franz I. von Sachsen-]Lauenburg sowie die Grafen von Oldenburg und Schaumburg zur Unterwerfung bewogen. Er hat außerdem das wie Wolfenbüttel stark befestigte Schloss des Grafen [Otto IV.] von Rietberg erobert. Zu Frankfurt wird man über die Zukunft [des Schmalkaldischen Bundes] beraten. Gruße an [Hans Rudolf]Lavater, Stadtschreiber [Hans Escher vom Luchs] und die Gelehrten. Bullinger wird ein Geschenk erhalten.

S. Ad copiosas, pias atque diligentes literas tuas 1 , Henriche vita mea mihi charior, quid respondeam, plane ignoro; nam nihil omnino rescribere a negligentia, lacera autem et b inepta edere stupiditatis est, quanquam hisce diebus per nimias occupationes in reipublicae negotiis causandi silentium campus pateret. Sed quis somnus tam dulcis, tam quoque necessarius esse queat, qui non propter unicum et excellentem amicum sit rumpendus?

a re- in rescribere über der Zeile nachgetragen.
b et über der Zeile nachgetragen.
1 Wohl generell gemeint; vgl. oben Nr. 2185, 1f. —Zu den zuletzt erhaltenen Briefen
von Bullinger, die Frölich bereits beantwortet hatte, s. oben Nr. 2285, Anm. 2. Durch Haller wird Frölich einen weiteren Brief Bullingers (nicht erhalten) empfangen haben.


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Advenit huc dominus bannes Hallerus, comitatus Hilberto, patritio Tigurino 2 , et Ulricho Zvinglio 3 ! Bone deus, qua alacritate, quanto etiam gaudio affecit pectus meum, imo et totum Augustanum senatum! Conati igitur sumus illos habere humaniter. Pransi sumus in consulum nostrorum 4 aedibus. Armamentaria vidimus, bibliothecam itidem. Preciara admodum aedifitia fuerunt adhuc lustranda. Sed profecto me occupationes impediverunt, ne copiam c in hoc fecerim. Spero homines optimos haec minutula boni consulturos.

Dominus Hallerus in aedibus meis morabitur et de mensa mea participabit, donec utrimque fiat periculum, ipsique certa habitatio et conditio designabitur. 5 Ad Kauffbeuranos vel alios barbaros nobis minime mittetur. Cur enim debeat is, qui ex singulari amicitia nobis datus d et tantopere quesitus, alus communicari? Noster, noster erit Hallerus! Noster inquam in perpetuum Tigurinorum et Augustanorum amicitiae e pignus. Neque dubites, quin a nostris suorum laborum et virtutum premia condigna sit percepturus. 6 Ego quidem, quantum mea tenuitas fert, nunquam illi deero.

Quos Hallen comites in hospitio hic sumptus fecerunt, magistratus noster solvit. Dedit quoque equiti vestro 7 honorarium et viaticum, quo poterit in reditu ad vos vivere. Quantum ad Hallen expensas itineris f pertinet, ego tempore suo patrocinabor.

Scite et pie sentis, 8 quid cum capto tiranno Brunsvicensi 9 agi debeat, ne in paenam Achab 10 et Abimelec 11 incidamus. Neque ego puto landgraphium 12

c copiam in hoc fecerim vor der Zeile nachgetragen.
d datus et vor der Zeile nachgetragen.
e amicitia über der Zeile nachgetragen.
f itineris über der Zeile nachgetragen.
2 Hans Wilpert Zoller; s. oben Nr. 2284, 34-36, und Frölichs Brief vom 25. Dezember, unten Nr. 2313. —Zum Ankunftsdatum der Reisenden s. unten Nr. 2290, Anm. 1.
3 Huldrych Zwingli d.J.; s. oben Nr. 2284, 34-36.
4 Jakob Herbrot und Hans Welser; vgl. unten Nr. 2290, 44f.
5 Haller wurde schließlich am 2. Januar 1546 definitiv angestellt, woraufhin er zurück nach Zürich reiste, um seine Familie zu holen, und Ende Februar wieder nach Augsburg zurückkehrte; s. Roth III 239f; Bühler, Haller 13-18.
6 Schon in seinen früheren Briefen hatte Frölich beteuert, dass Haller in Augsburg selbst und nicht anderenorts eingesetzt
werden sollte; s. oben Nr. 2270, 18-24; Nr. 2285, 15f.
7 Damit ist Zoller gemeint, der oben Nr. 2284, 36, als veredarius bezeichnet ist.
8 In einem der nicht erhaltenen Briefe Bullingers; s. oben Anm. 1 und Nr. 2285, Anm. 2. — Darin wird eine ähnliche Äußerung wie oben Nr. 2284, 38-42, gestanden haben.
9 Herzog Heinrich d.J. von Braunschweig-Wolfenbüttel.
10 Zu Ahab s. oben Nr. 2284, Anm. 16f.
11 Abimelech, Sohn Gideons, der all seine Rivalen umbrachte, sich dadurch verhasst machte und einen gewaltsamen Tod auf sich zog; s. Ri 9, 1-50. —Frölich (und vielleicht schon Bullinger in seinem an Frölich gerichteten und nicht mehr erhaltenen Brief) befürwortet also weder die Straffreiheit noch die Hinrichtung Heinrichs von Braunschweig und der Adeligen, die während des Braunschweiger Kriegs gefangen wurden.
12 Philipp von Hessen.


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esse tam stupidum, ut nesciat uti victoria et vindictam de hoste sumere. Verumtamen auguror ipsum tirannum capite non plecti, sed ad perpetuos carceres damnari, id quod vigore legum mortis pene loco censetur. Statuit enim ius cesaraeum discrimen inter illustres et humili loco natas personas. Spero tamen futurum ipsum exemplum sui similibus perpetuum.

Der krieg hat ain ennde. 13 Ich hab euch jungst den rechten grund 14 , wie-wo mit kurtz 15 , geschrieben, 16 güter hoffnung, es sei euch von Costantz aus zukumen. Seithere ist mein genediger herr landgraf weitter zogen. Hat den hertzogen von der Lauenburg 17 die graven von Oldenburg 18 unnd graven von Schaumburg 19 dahin gedrungen, das sie sich mit uns vertragen und verschreiben 20 haben müssen. 21 So ist er dem graven von Ritperg 22 fur sein schloß, welchs wol so fesst als Wulffenbeuttl, zogen. Die habens une auch aussgeben, allso das yederman wider heimzeucht g . Zu Franckfurt 6. decembris würdt geratschlagt werden, was witter zu thun sein will. 23

Gruest mir den herrn burgermaister Lavatern 24 , herrn statschreiber 25 . all mein günstig herren literatos. Mnemosinon h olim ad te veniet. 26

Eilends, 20. novembris 1545.

Tuus totus et ex animo G. Laetus, etc.

archigrammateus Augustanus.

[Adresse auf f. 171a,v.:] Virtutibus et erudicione incomparabili viro domino Henricho Bullingero, ecclesiastae vigilantissimo, amico et fratri, etc. Tiguri.

g Randbemerkung von Frölichs Hand: Nota, diese haben hertzog Henrichen huss gethon.
h Mnemosinon olim ad te veniet am Rande nachgetragen.
13 Der Braunschweiger Krieg.
14 Tatbestand.
15 mit kurtz: in Kürze.
16 Im Brief vom 12. November, oben Nr. 2285.
17 Herzog Franz I. von Sachsen-Lauenburg.
18 Besonders Anton I. von Oldenburg-Delmenhorst; s. oben Nr. 2094, 24-26 und Anm. 29f.
19 Johann V. von Schaumburg (Schauenburg); s. NBD VIII 456f und Anm. 4.
20 (schriftlich) verpflichten.
21 Zur Unterstützung Herzog Heinrichs durch die genannten Adligen s. Ißleib 34, Anm. 102; PC III 530.
22 Otto IV. von Rietberg; s. dazu oben Nr. 2287, Anm. 17.
23 Zum Schmalkaldischen Bundestag in Frankfurt s. oben Nr. 2285, Anm. 37.
24 Hans Rudolf Lavater.
25 Hans Escher vom Luchs.
26 Dazu kam es nie; s. oben Nr. 2285, Anm. 9.
27 Vorliegender Brief wie auch die Briefe Nr. 2287. 2290f. 2293-2296 wurden Bullinger durch Zwingli d.J. überbracht; s. unten Nr. 2290, 57f; 2302, 1-9; 2303.