Heinrich-Bullinger-Briefwechseledition, Universität Zürich © Heinrich Bullinger-Stiftung Arpa Bibliothek Textbreite Schriftgröße

[2094]

Ambrosius Blarer an
Bullinger
[Konstanz],
11. März 1545

Autograph: Zürich StA, E II 357, 121f (Siegelspur) Teildruck und zusammenfassende Übersetzung: Blarer BW II 351f, Nr. 1170

In Eile. Der Augsburger Bürgermeister [Hans] Welser bittet um ein Exemplar der Antwort [,,Warhaffte Bekanntnuß"] auf Luthers [,,Kurtz bekentnis"] und lässt grüßen. Welser schreibt Folgendes: Er wird bald mehr über die spanischen Truppen bei Straßburg erfahren; der Papst und die Seinen planen Großes und bedienen sich des Herzogs Heinrich von Braunschweig, der Truppen wirbt. Man erwartet einen Angriff der Türken. Papst [Paul III.] hat [Ferdinand I.] erlaubt, die Flotte auf die Donau zu verlegen. Kaiser [Karl V.] liegt für mindestens acht Wochen krank in Brüssel darnieder. Die kaiserlichen Gesandten [am Reichstag] zu Worms sind König [Ferdinand I.], der Kardinal von Augsburg [Otto Truchsess von Waldburg], [Nicolas Perrenot, Herr von] Granvelle, Friedrich [II.] von Fürstenberg und

1 Das Jahr ergibt sich zum einen aus der Erwähnung der Schriften Luthers und der Zürcher, zum anderen aus der Erwähnung des Wittenberger Boten; s. oben Nr. 2088, 2f. 7f, und Nr. 2089 und Anm. 2.
2 Bucers Brief vom 21. Februar 1545, bei dem das Blatt mit der Adresse nicht erhalten geblieben ist. Auf diesem Blatt muss
sich auch eine Nachschrift befunden haben, in der Bucer zum Gebet für Hermann von Wied aufrief.
3 Hier beschönigt Vadian Bucers Einstellung; in Bucers Brief werden nämlich die Zürcher ausdrücklich kritisiert; s. Vadian BW VI 396, 15-21.


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[Johann von]Naves. Der Papst hat den Kardinal von Trient [Cristoforo Madruzzo]als seinen Legaten zum Reichstag geschickt. [Wolf oder Wolf Dietrich] von Homburg, der von Worms kam, berichtete, dass [Karl V. ] todkrank sei, und dass Landgraf [Philipp von Hessen] den Grafen [Anton I. ] von Oldenburg[-Delmenhorst], der Heinrich [von Braunschweig] unterstützt, sowie 13 weitere Personen gefangengenommen und zur Befragung nach Kassel gebracht habe. [Martin] Frecht empfiehlt sich und schreibt, dass Philipp von Hessen und [Kurfürst Johann Friedrich] von Sachsen über die Unterstützung des Kurfürsten von Köln [Hermann von Wied] beraten. Gruße, besonders an Theodor [Bibliander] und Gwalther. Blarer dankt für die übersandten Büchlein. Das [,,Warhaffte Bekanntnuß"]scheint etwas zu lang und wird viele von der Lektüre abschrecken; einige Kapitel hätten zusammengefasst werden sollen. Grüße von [Thomas Blarer] und [Konrad] Zwick Blarer hat die [,,Warhaffte Bekanntnuß"] noch nicht gelesen, da er es einem Freund [...]weitergeleitet hat. Er bittet um den letzten Teil der deutschen Fassung und empfiehlt den Briefüberbringer [...].

Properiter. Welserus, consul Augustanus 1, nudius tertius datis ad me literis 2 obnixe petit, ut quamprimum ad se mittam responsionem vestram 3 ad Lutheri libellum 4 ; interim diligenter admonet, ut te suo nomine officiose salutem.

Scribit inter cetera: "Wa die 4000 Spanyer hinauß wellen, die nitt weyt von Strasburg ligend, will ich gar bald vernemen. 5 Es sind groß practica vorhanden vom papst 6 und desselbigen a anhang; brauchend hertzog Hainrichen von Braunschwig 7 ; der stat in werbung, emporung zemachen. 8 Der Türk 9 soll gewiss kommen, und der papst hat dem romischen konig 10 bewilliget, die armada 11 zuverlegen auff der Tonauw, on zweyfel, dass er inn dest baß 12 by seinem glouben erhalte. 13 Kai. mt. 14 lygt zu Pryssel im holtz; 15 muss auffs wenigst 8 wochen haben zu beholung der gsunthait. 16 Die kaiserliche commissari, gen Wurmß verordnet, seind dise: 17

a In der Vorlage dessselbigen.
1 Hans Welser.
2 Welsers Brief vom 9. März 1545 findet sich nicht in Blarer BW.
3 Das "Warhaffte Bekanntnuß"der Zürcher; s. oben Nr. 2061, Anm. 9.
4 Luthers "Kurtz bekentnis"; s. oben Nr. 2061, Anm. 7.
5 Siehe oben Nr. 2068, Anm. 12.
6 Paul III.
7 Herzog Heinrich d.J. von Braunschweig-Wolfenbüttel.
8 Zu Heinrichs Truppenwerbung s. Demandt 59f; s. auch unten Anm. 30.
9 Sultan Suleiman I.
10 Ferdinand I.
11 die Flotte.
12 dest baß: umso besser.
13 Ferdinand I. verhandelte mittels Kardinal Christoforo Madruzzo mit dem Papst um die finanzielle Unterstützung einer Flotte
auf der Donau (s. unten Anm. 23). Diese Bitte richtete er auch an die Reichsstände am Reichstag in Worms; s. RTA JR XVI/2 1228-1230. 1397; NBD VIII 26. 91.
14 Karl V.
15 im Holz liegen: Ein längerer Bettaufenthalt im warmen Zimmer, verbunden mit einer Fastenkur, oft bei Syphilis angewandt; s. Hermann Fischer, Schwäbisches Wörterbuch, Bd. 3, Tübingen 1908, Sp. 1782; J. Andreas Schmeller, Bayerisches Wörterbuch, 2. Ausg. bearb. v. G. Karl Frommann, Bd. 2, München 1872, Sp. 1104; Amerbach Korr. XI/2 6551.
16 Zum Aufenthalt Karls V. in Brüssel (laut Stälin 578 vom 16. Januar bis zum 7. April) aufgrund seiner Gichterkrankung s. zuletzt oben Nr. 2089.
17 Eine gleiche Liste der kaiserlichen Gesandten an den Reichstag zu Worms in RTA JR XVI/2 104-106, Nr. 12.


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der römisch könig der cardinal von Augspurg (id est jr bischoff 18. , den er zu ainem cardinal gemacht 19 ) der Granvela 20 grauff Friderich von Furstenberg 21 der von Navis 22 .

So hat der papst den cardinal von Trient 23 zu seinem legaten uff den reychstag verordnet. 24 "

So ist der von Honburg 25 yetz von Wurms herauss 26 kommen; sagt, es seye gewisß, das kai. mt. tötlich kranck seye. 27 So hat der landgrauff 28 den grauffen von Oldenburgs, 29 der dem von Braunschweig gar gehaim und im in allen sachen hilfflich und rätlich gewesen, gefangen und ander 13 personen mitt im, sy gon Cassel gefürt, dardurch man in allerlay sachen erfarung komen wurt. 30

Frechtus datis ad me literis 3 valde petit, ut se vobis officiose commendem. Scribit Saxonem 32 et landtgravium iam deliberare et constituere de iuvando electore Coloniense 33 34

18 Otto Truchsess von Waldburg.
19 Siehe oben Nr. 2065, Anm. 30.
20 Nicolas Perrenot, Herr von Granvelle.
21 Friedrich II. von Fürstenberg (1496— 1559), jüngerer Bruder des Grafen Wilhelm von Fürstenberg. Er wuchs zusammen mit Karl V. und Ferdinand I. auf und genoss somit eine ausgezeichnete Bildung. Zeitlebens bekleidete er administrative und militärische Amter für Karl V. —Lit.: ADB VIII 219f.
22 Reichsvizekanzler Johann von Naves.
23 Cristoforo Madruzzo war nicht päpstlicher Legat, sondern als geistlicher Fürst am Reichstag teilnahmeberechtigt. Er erschien jedoch nicht persönlich, sondern entsandte seinen Vater Hans Gaudenz von Madruzzo; s. RTA JR XVI/2 1663 und Anm. 2. Im Januar und Februar 1545 hielt er sich in Rom auf, um für Ferdinand I. mit dem Papst zu verhandeln, u.a. auch über finanzielle Unterstützung einer Donau-Armee gegen die Türken (NBD VIII 25f. 91). Im März war Madruzzo schon mit der Vorbereitung des Konzils von Trient beschäftigt.
24 Päpstlicher Legat am Reichstag war nicht Madruzzo, sondern Fabio Mignanello, Bischof von Lucera, der am 2. April in Worms eintraf, wenig später gefolgt von Kardinal Alessandro Farnese; s. NBD VIII 27-29.
25 In Frage kommen die baden-württembergischen Adligen Wolf von Homburg (Honburg, gest. 1556) oder sein Cousin Wolf Dietrich von Homburg (Honburg, gest. 1553); s. Kindler von Knobloch II 102.
26 nach-Konstanz.
27 Diese Mitteilung ist falsch.
28 Philipp von Hessen.
29 Anton I. von Oldenburg-Delmenhorst (1505-1573) behauptete nach langjährigem Streit mit seinen Brüdern die Alleinherrschaft über seine Grafschaft. Äußerlich kaisertreu, führte er zur Stärkung seiner eigenen Macht die Reformation ein; s. HBBW VIII 162, Anm. 42; NDB I 3161 (mit weiterer Lit.).
30 Anton von Oldenburg hatte sich 1544 für die Aufnahme in den Schmalkaldischen Bund beworben, obwohl er schon seit 1542 Heinrich von Braunschweig unterstützte und Truppen für ihn warb; s. PC III 530; PA I 379, Nr. 617; PA 11165f, Nr. 1497.433, Nr. 1767; PA III 264, Nr. 2621. Zu einer Gefangennahme ließ sich nichts ermitteln.
31 Martin Frechts Brief vom 5. März (Blarer BW II 350f, Nr. 1169).
32 Kurfürst Johann Friedrich von Sachsen.
33 Hermann von Wied.
34 Dazu konnte nichts ermittelt werden.


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||122 Non potui praeterea quicquam, mi venerande et chari[ssime]b Bullingere. Salutabis amantissime fratres et ami[cos], inprimis Theodorum 35 et Gvaltherum vestros. Pro missis l[ibel]lis 36 maximas ago gratias, atque utinam sit ali[quando], unde vicissim gratificari et paria facere queam!

Germanica responsio 37 plus equo prolixa videtur et quamplurimos a legendo absterrebit. Utinam etia[m] capita quedam illius in breve quoddam summariu[m] contracta! Esset ea merx vendibilior et plurib[us] usui.

Salutant te germanus frater meus 38 cum Zviccio 39 . Bene vale, mi charissime anime.

11. martii 1545.

Ego nihil etiamnum legi vestrae responsionis 40 ; cum ea affer[ebatur]c , commodum aderat nuncius 41 , per quem hanc ad singular[em] quendam et optimum amicum 42 misi. Postremam partem Germanica responsionis desyderabam ab d 16. octernio[ne]43 . Commendo tibi bonum hunc fratrem

Tuus Ambr. Bl.

[Adresse darunter:] Clarissimo viro domino Heinricho Bullingero, venerando suo atque charissimo in Christo fratri. Tiguri.

b Hier und im Folgenden Text im engen Einband verdeckt. Die fehlenden Stellen wurden aus der Abschrift von Johann Jakob Simler (Zürich ZB, Ms S 56, 190) ergänzt.
c In der Vorlage afferr[ebatur].
d Inder Vorlage ad. —Zur Korrektur s. unten Anm. 43.
35 Theodor Bibliander.
36 Wohl ein noch unvollständiges Exemplar (s. unten Anm. 43) der Schrift "Warhaffte Bekanntnuß" und möglicherweise ein weiteres Exemplar der gerade erschienenen Schrift Gwalthers Ad catholicam ecclesiam omnemque fidelium posteritatem pro D. Huld. Zvinglio et operum eius aeditione Apologia, Zürich, Christoph Froschauer, Februar 1545, A-H8, 14 (VD 16 W 1015; BZD C 351), deren Text vom 3. und deren Widmungsepistel vom 12. Februar 1545 datieren. —Dass es sich dabei nicht um die "Orthodoxa Tigurinae Ecclesiae confessio"(s. oben Nr. 2061, Anm. 9), die lateinische Fassung der Schrift "Warhaffte Bekanntnuß", handeln kann, geht aus unten Nr. 2111, 27f, hervor, einer
Bemerkung, die dort sonst überflüssig wäre.
37 Das "Warhaffte Bekanntnuß".
38 Thomas Blarer.
39 Konrad Zwick.
40 Das "Warhaffte Bekanntnuß".
41 Unbekannt.
42 Unbekannt.
43 Das "Warhaffte Bekanntnuß" (HBBibl I 161 oder 162f) zählt 18, von A bis S signierte Lagen (Luthers "Kurtz bekentnis" im Anhang entspricht den Lagen a-c8). Falls Blarer tatsächlich ad [im Sinne von ca.] 16. octerniones zu schreiben beabsichtigte, hätte er nur die zwei ersten Lagen erhalten, da die Schrift im ganzen 18 Lagen zählt. Doch wie hätte er sich nur anhand zweier Lagen über die Länge der Schrift beschweren können (Z. 36-38) und außerdem wissen sollen, wieviele Lagen ihm noch fehlten? Demzufolge ist wohl ad in ab zu korrigieren. Blarer besaß die ersten 15 (vielleicht 16) Lagen A bis P (oder Q) und bat um den Rest.
44 Unbekannt; der Briefüberbringer.