Heinrich-Bullinger-Briefwechseledition, Universität Zürich © Heinrich Bullinger-Stiftung Arpa Bibliothek Textbreite Schriftgröße

[2367]

Georg Frölich an
Bullinger
[Augsburg],
2. März 1546

Autograph: Zürich StA, E II 346, 200 (Siegel) Ungedruckt

Frölich empfing zwei von [Johannes] Haller überbrachte Briefe Bullingers [nicht erhalten]. Könnte er doch nur entsprechend antworten! Aber er leidet seit fast einem ganzen Monat an Kopfschmerzen. Die ganze [Augsburger] Kirche hat sich sehr über Hallers Ankunft gefreut. Frölich wird Haller in den häuslichen Angelegenheiten nach Kräften behilflich sein. Er hat Haller mit Frau [Elsbeth, geb. Kambli]und Kind [Agnes]vorläufig bei sich aufgenommen, bis die Wohnung für sie eingerichtet ist. Er konnte auch erreichen, dass Hans Wilpert Zoller für ein Jahr ohne Kosten bei Sebastian Schertlin wohnen kann. Bei Bedarf muss Zoller aber dem Augsburger Rat behilflich sein. Ansonsten kann er Schertlin zur Seite stehen. Damit will der Augsburger Rat dem Zürcher Rat seinen Dank [für die Entsendung Hallers] ausdrücken. Frölich trauert sehr um Erasmus Schmid, zumal er ja dessen Glaubenseifer bemerkt hat. Frölich wird Bullingers Vortrag [gegen jegliche Verständigung mit den Papisten] von Haller zurückerbitten und begierig lesen. Wie soll wohl Frölich Bullinger all die Wohltaten verdanken? Sobald er Bullingers Buch "De sacramentis" von Haller erhalten hat, wird er sein Urteil darüber mitteilen. Hinsichtlich der Widmung von Bullingers Lukaskommentar hat er schon letztens [Nr. 2351] des längeren und mit Rücksicht auf Rang und Namen der [beiden Altbürgermeister Hans Welser und Jakob Herbrot] geschrieben. Keiner der beiden hat studiert. Welser kann aber gut Französisch, Italienisch und Spanisch und hat die entsprechenden Länder besucht. Er ist deshalb kultivierter als [Herbrot]. Er stammt aus einer alten Adelsfamilie. Frölich sah Dokumente, die belegen, dass [Welsers] Ahnen schon vor 400 Jahren in [Augsburg] Bürgermeister waren. Welser besitzt ferner einen reinen Glauben und ist antilutherisch gesinnt. [Herbrot] ist der erste seines Geschlechts, der das Bürgermeisteramt bekleidet. Er ist großmütig, beredt und neigt ein wenig zur Übereilung. Wenn er doch nur seinen Hochmut

14 Nr. 2354.
15 Unbekannt; vielleicht der Metzger, der Nr. 2335 übermittelt hatte; s. Nr. 2354,24 und Anm. 37.
16 Theodor Bibliander.
17 Hans Peter von Wellenberg.
18 Siehe dazu Nr. 2354,28—35.


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ablegen würde! [Welser und Herbrot] sind beide reich an Kindern und an Geld. Ein wenig Neid ist zwischen ihnen schon zu spüren. Ob nun Bullinger seinen Kommentar beiden oder nur einem von beiden widmet, falsch macht er sicherlich nichts. Vielleicht hat Frölich sich in seinem früheren Brief klarer ausgedrückt; er kommt sich jetzt selbst unverständlich vor. Von den [geplanten]Schriften Luthers gegen [die Sakramentierer] ist nichts zu hören. Diese werden wohl auch nicht mehr erscheinen, wenn es stimmt, dass Luther gestorben sei, wie am Vortag aus Nürnberg gemeldet wurde. Frölich wird sich für Hans Vogler [d.J.]umsehen und sein Möglichstes tun. Die Mitteilung von dem Plan des Gelehrten [Theodor Bibliander] wird Frölich für sich behalten. Sobald er Rat bei kundigen Leuten eingeholt haben wird (ohne dabei [Biblianders] Namen zu erwähnen), wird er auf die ihm gestellten Fragen antworten. Soweit Frölich aber weiß, ist solch ein Vorhaben nicht nur gefährlich, sondern auch zwecklos, zumal die Mohammedaner niemanden an sich herankommen lassen. Folglich würde er davon abraten. Die schwierige Frage, die Bullinger außerdem stellte, wird Frölich ein anderes Mal beantworten und sich bis dahin diesbezüglich erkundigen. Die Antiphon [...] gegen das Verslein ["Aspice nudatas ..."] von [Giovanni Antonio] Campano gefällt Frölich. Hätte er nicht solche Kopfschmerzen, würde auch er etwas hinzudichten. Bullinger hat vergessen, ihm den Autor des Pentameter[verses] zu enthüllen; vielleicht ist es ja Bibliander. Wegen seiner Kopfschmerzen konnte Frölich auf die Briefe von [Rudolf] Gwalther, [Johannes] Wolf und [Huldrych]Zwingli [d.J.] nicht antworten; Bullinger soll ihn bei diesen entschuldigen. [Konrad] Gessner soll vorhaben, Frölich [durch eine Widmungsepistel] zu ehren; das macht Frölich ängstlich und froh zugleich. Doch soll Gessner lieber davon absehen. Grüße an beide Bürgermeister [Hans Rudolf Lavater und Johannes Haab], an Bibliander, an den Stadtschreiber [Hans Escher vom Luchs], an [Konrad Gessner], [Konrad]Pellikan, Wolf Gwalther und an alle anderen, die Frölich wohlgesinnt sind.

S. Binas a te, frater observandissime, literas per Hallerum, communem amicum nostrum, omni amicitia et pietate refertas, accepi. 1 Utinam ad eas pro rei dignitate et decoro respondere queam! Sum profecto iam nunc fere per integrum mensem perpetuo valetudinarius. Maxime vero ex capite, unde meae opellae stillare deberent, laboro. Recipe igitur, que imbecillitas nostra dictat.

Principio noveris universam ecclesiam ad Hallen adventum 2 valde gavisam esse. Excipitur a etiam hilari fronte, nec dubito, quin et ecclesiae nostrae et ipsi hac sua ad nos profectione plurimum sit consultum. Clementissimus ille rerum parens 3 hunc nobis servet! Amen. Ego id, quod in me erit, penes res suas, praesertim domesticas, prestare diligenter studebo. Excepi ipsum cum uxore 4 et infantulo 5 in aedes meas, donec domus suae structura satis commoda et venusta in calcem (quod intra paucos dies futuram est) deducetur. 6

Quantum ad Hilpertum Zoller pertinet, dominum Sebastianum Schertlerum, virum vere fortem et strenuum, cuius cor in manu mea est, facile

a In der Vorlage Excipietur.
1 Nicht erhalten. Einen der Briefe wird Bullinger geschrieben haben, um ihn Haller mitzugeben, als plötzlich Frölichs Brief vom 12. Februar (Nr. 2351) eintraf und Bullinger noch eine Antwort darauf verfasste.
2 Haller war am 28. Februar in Augsburg eingetroffen; s. Nr. 2364,1.
3 rerum parens: Gott; vgl. Horaz, Carmina, 3, 6, 6.
4 Elsbeth, geb. Kambli.
5 Agnes; s. Nr. 2323, Anm. 3.
6 Zum Neubau des Hauses, in dem Johannes Haller in Augsburg wohnen würde, s. Nr. 2364,5—8.


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permovi, ut ipsum suo sodalitio et contubernio asciscat atque absque impensis per annum alat, ea tamen conditione, ut, si opus fuerit, magistratui nostro inserviat Zollerus b , interim vero a latere Schertleri stet eiusque contubernio domi et foris belle fruatur. Ita enim decet senatum nostrum inclyto magistratui Tigurino gratificari.

Discedentem d. Erasmum Fabritium 7 vehementer lugeo, singularem siquidem fervorem ipsius erga religionem deprehendi. Sit ergo ille nobis faustus praecursor in patriam illam caelestem. Amen.

Orationem tuam 8 ab Hallero repetam eamque avide legam tanquam librum ab eo, qui nihil indignum scribere possit, manantem. Gratias autem tibi et debeo et habeo immorituras, qui nunquam mei non memor esse soles, imo qui accumulatis offitiis me opprimis. Unde autem, obsecro, rependam? Repetam etiam ab Hallero librum tuum de ratione sacramentorum 9 iuditiumque meum te non celabo, quantumvis sutor de Apellea arte iudicem 10 .

Consilium meum super dedicatione Lucae tui 11 proxime tibi per longum scripsi, 12 nec in eo scripto virorum statum et habitum neglexi. Neuter horum literas callet. Welserus tamen, Gallica, Italica et Hispanica linguis c bene imbutus, etiam olim earum regionum perlustrator fuit et ob id civilior altero. Estque antiquissimae nobilissimaeque stirpis. Vidi ego literas testatrices suos attavos ante 400 annos hic consules extitisse. 13 Puritatem d religionis impensissime tuetur, maximus anthilutheranus. Alter 14 primus ex suo stemmate consulatum gerit. Vir est magnanimus, facundus et fere precox. Utinam ostentationem nimiam moderetur! Id quod post aliquot annos, ubi thaurus cornua aliquantum attriverit, 15 futurum spero. ||200v. Uterque dives est tam liberis quam opibus. Nonnihil emulationis inter eos sentisco. Verum utrique simul an alteri solum dicaveris opus tuum, error nullus est. In priori mea epistola 16 me forsan planius intelliges; iam mihi ipsi obscurus esse videor.

b Zollerus über der Zeile nachgetragen. c linguis fehlt in der Vorlage, wo man liest: Gallicae, Italicae et Hispanicae bene imbutus. —
d Von puritatem bis anthilutheranus am Rande nachgetragen.
7 Erasmus Schmid, der im Sterben lag (s. Nr. 2360, Anm. 43), als Haller Zürich mit Bullingers Briefen verließ.
8 Bullingers Rede "Quod nullo consilio dissidium religionis componi possit" vom 12. September 1545, die Frölich während seines Besuchs in Zürich auslieh, um sie abzuschreiben (s. HBBW XV 561f und Anm. 14. 586 und Anm. 30). Frölich kam zwar dazu, sie zu lesen (aaO, S. 596), nicht aber zur Anfertigung einer Abschrift. Als Haller sich Anfang Januar wieder nach Zürich begab, wird Frölich ihm das Manuskript zur Rückgabe anvertraut haben und Bullinger daraufhin eine
Abschrift davon als Geschenk für Frölich veranlasst haben.
9 Bullingers Schrift "De sacramentis"; s. Nr. 2332, Anm. 29.
10 Vgl. Adagia 1, 6, 16 (ASD II/2 40—42, Nr. 516). — Apelles, griechischer Maler, 4. Jh. v. Chr.
11 Bullingers Lukaskommentar (HBBibl I 173).
12 Siehe dazu Nr. 2351,68—82.
13 Siehe Nr. 2351,73—76.
14 Jakob Herbrot.
15 Vgl. Wander II 784, Nr. 46. 53.
16 Nr. 2351.


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De Lutheri scriptis adversum vos et nos 17 nihildum audio nec puto nunc quicquam proditurum in lucem, praesertim si verum sit Lutherum vita defunctum esse, quemadmodum heri ex Norinberga ad nos scriptum est. 18 Credo firmiter plaerosque gigantes inde mitiores futuros. Fiat tamen voluntas domini. Postquam de hoc mihi certo constiterit, tibi significabo.

De Ioanne Voglero 19 Sangallensi diligenter disquiram illique benevolus et officiosus esse tui causa non desinam. 20 Quod tibi commendabile est, mihi iure observantissimum esse debet.

Communicatio consilii sive instituti cuiusdam viri spectabilis et docti 21 manebit apud me. Experiri autem solutionem super propositis questionibus nec vires neque negotia hoc brevi tempore passa sunt. Quamprimum vero fieri poterit, gnaros earum rerum accedam et consulam suppresso tamen nomine, etc. Ego nihilominus, quantum ex quorundam olim relatione intellexi, institutum eiusmodi non modo periculosum, sed ne possibile quidem esse duco, ut assequatur aliquis, adeo Mahometiste omnem aditum ad haec praecluserunt, etc. Dehortandus igitur mihi potius vir tantus ab illa quantumvis laudabili profectione esse videtur, ne incerta sectans certa perdat et amittat sibi et nobis.

Nodum Gordium, 22 lepidissimam nimirum questionem, mihi obiecisti, sed quia iam Davus, non Oedipus sum, 23 alias tibi respondebo. Interim alios pari modo de e hoc Spingis 24 negotio sollicitaturus. Gratias autem tibi habeo maximas.

Placet mihi similiter anthiphona 25 contra Campani 26 mali hominis, scomma 27 , et nisi ultra modum nunc dolore capitis gravarer, adderem etiam aliquid.

e de fehlt in der Vorlage.
17 Siehe dazu zuletzt Nr. 2364, Anm. 24.
18 Vgl. Nr. 2364,20f.
19 Hans Vogler d.J. der von 1543 bis 1545 Schreiberlehrling bei Oswald Fürstenlob in Reichenweier gewesen war.
20 Bullinger hatte offenbar wegen einer Arbeitsmöglichkeit für Vogler bei Frölich angefragt. Im März 1546 ist Vogler d.J. in Augsburg (s. Nr. 2405,80f) nachgewiesen. Er erhielt dort dank der Vermittlung von Hieronymus Sailer eine Ausbildung im Hause eines Angehörigen der Familie Herwart (vielleicht Georg); s. Nr. 2406, Anm. 35.
21 Aufgrund des Interesses, das dieser Gelehrte an den Mohammedanern zeigte (s. Z. 57f), wird hier Theodor Bibliander gemeint sein, zumal dieser damals tatsächlich eine Reise nach Ägypten plante; s. Nr. 2405,85—101; Georg Frölich an Bullinger, 3. Juni 1546 (Zürich StA, E II 345, 347); Egli, Analecta Il 88f.
22 Der unlösbare Knoten von Gordius, dem mythischen Gründer des phrygischen Staates; s. DNP IV 1146. 1149.
23 Adagia 1, 3, 36 (ASD II/1 348—350, Nr. 236).
24 Anspielung auf die rätselhaften Aussagen der Sphinx; s. DNP XI 816—819.
25 Nicht ermitteltes Gedicht gegen den Spottvers von Giovanni Antonio Campano; vielleicht von Bibliander (s. unten Z. 67—69), falls Frölich recht haben sollte.
26 Der päpstliche Gesandte Giovanni Antonio Campano (1429-1477); s. Contemporaries I 252.
27 Der berühmte Spottvers von Campano lautet: "Aspice nudatas, barbara terra, nates", wie aus Georg Frölichs Versen gegen Campano (s. Anm. 28) hervorgeht. Diesen Vers hatte Luther in seiner Schrift Wider das Bapstum zu Rom, Wittenberg, Hans Lufft, 1545, zitiert (WA LIV 212).


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28 Authorem penthametrorum 29 voluisti mihi detegere, sed preteristi, oblivione forsan, quanquam ego d. Bibliandrum esse artificem mihi persuadeam.

Scripserunt mihi viri optimi d. Gvalterus, Gvolphius, 30 item egregius iuvenis Ulricus Zvinglius, quibus singulis quam lubentissime rescriberem; sed profecto cerebrum hoc modo non tulit. Oro igitur te per nostram fidem, ut me apud illos, ut potes optime, excuses. D. Gesnerus dignatus est me, quemadmodum audio, magno et immortali honore; 31 id quod me tam anxium facit quam hilarem. Norunt me multi, qui etiam mecum fatentur et sciunt, quam curta mihi supellex sit 32 , quam, inquam, parum ingenii habeam. Oro igitur te per charitatem nostram, ut prohibeas, ne mihi preconia fiant.

Resalutabis utrunque consulem 33 , d. Bibliandrum, archigrammateum 34 , Gessnerum, Pellicanum, Gvolfphium, Gvalterum et singulos, quotquot f Laeto benevolunt. Vale, decus meum. Celerrime. 2. martii 1546.

Tuus ex animo G. Laetus, etc.

[Adresse auf f. 202a,v. g :] Amplissimo viro domino Henricho Bullingero, etiam amico et fratri omnibus modis suspiciendo. Tiguri h .

f In der Vorlage quoquot. —
g F. 202a,r. leer.
h Darüber von Bullingers Hand eine Überschrift, die für ein Bündel von Frölichs Briefen galt: D. Georgii Laeti Augustani literae ab anno 1545, 46, item 47 usque 20. martii. Die lateinische Übersetzung von Luthers Schrift war im November 1545 erschienen.
28 Frölich verfasste Verse darauf, die er mit seinem Brief vom 1. April 1546 Bullinger zukommen ließ; s. Nr. 2405,83f und Beilage.
29 Gemeint sind die Verse der oben genannten "anthiphona contra Campani scomma".
30 Johannes Wolf.
31 Konrad Gessners Tatian-Übersetzung (mit der Überschrift "Tatiani Assyrii oratio ad
Graecos") ist in dem Sammelband Sententiarum sive capitum theologicorum praecipue ex sacris et profanis libris tomi tres, Zürich, Christoph Froschauer, 1546 (VD16 A2966; BZD C355), S. 347—364, gedruckt und von einer an Georg Frölich gerichteten Widmungsepistel vom 1. Februar 1546 eingeleitet (aaO, S. 346). — Tatian war ein christlicher Schriftsteller des 2. Jhs.
32 Vgl. Persius, Saturae, 4, 52.
33 Hans Rudolf Lavater und Johannes Haab.
34 Hans Escher vom Luchs.