Heinrich-Bullinger-Briefwechseledition, Universität Zürich © Heinrich Bullinger-Stiftung Arpa Bibliothek Textbreite Schriftgröße

[2848]

Johannes Gast
an Bullinger
Basel,
17. März [1547]

Autograph: Zürich StA, E II 366, 237 (Siegelspur) Ungedruckt

[1]Hier einige Neuigkeiten aus Briefen oder Erzählungen von anderen. [2]Das kaiserliche Kriegsvolk, das Ruff von Reischach vor Fastnacht in [Süddeutschland] anwarb, wurde am Musterort unweit von Bremen durch die Hansestädte dezimiert. Wenn doch nur die [Schmalkaldener ebenso beherzt gekämpft]hätten, wäre die Lage jetzt nicht so misslich! Die Hansestädte und Dänemark brechen zum Krieg auf, wohin, ist unbekannt. [3]Als Nachfolger des verstorbenen polnischen Königs [Sigismund I.] wurde sein Sohn [Sigismund II.] in Krakau gekrönt. Ein Bote aus Breslau [...] erzählte, dass bei der Krönung der Gesandte [...] des türkischen Sultans Suleiman zugegen war, dass Suleiman seine Tochter dem jungen König versprochen habe und die Hochzeit nach Ostern [10. April 1547] stattfinden werde. [4]Auf Antrag König Ferdinands I. hat die Obrigkeit von Breslau diesem eine Steuer von einem Groschen pro Sack Getreide für den Kampf gegen Suleiman bewilligt. Doch schon nach 15 Wochen wurde ihm diese Abmachung wieder aufgekündigt. Die Breslauer wollen nämlich mit dem Geld selbst gegen die Türken rüsten. [5]Ferdinand wollte auch, dass Breslau dem Kaiser Karl V. Geschütz und Munition liefere. Viele Stadtherren willigten ein. Doch als der Beschluss ausgeführt werden sollte, erhob sich bei einer Volksversammlung solch ein Widerstand, dass man Ferdinand absagen musste und dabei auf die bedrohlichen Rüstungen Suleimans verwies. [6] Vor wenigen Tagen kam ein Bote [...] aus Ulm. Er berichtete Schreckliches über die Verwüstung der Stadt durch den Kaiser, der zudem zehn Kanonen mit Munition und viel Geld beschlagnahmte. Infolge des stürmischen Regenwetters ist dieser noch iii Nördlingen. [7] Ein Fremder [...] wirbt mit 100 Kavalleristen Knechte bei Ensisheim an (man weiß nicht, wofür). Zu seinem Ärger aber bieten sich nur wenige an. [8]Landgraf Philipp von Hessen rüstet angeblich. [9]Aus Straßburg wurden Gesandte [Jakob Sturm, Marx Hag, Friedrich von Gottesheim und Ludwig Gremp]abgeordnet, um den Friedensvertrag mit dem Kaiser abzuschließen. Die Straßburger sind wohl nicht ganz bei Trost, denn wie die anderen Städte beten sie dabei einen verwesenden Abgott an! Sie werden schon noch merken, dass dieser einen Hass gegen die deutsche Freiheit hegt, der so tief sitzt wie der des Publius Vatinius. [10]Kurfürst Johann Friedrich von Sachsen soll wieder im Besitz seines Landes einschließlich Leipzigs sein und Herzog Moritz von Sachsen zwei Niederlagen zugefügt haben. [11]Aufgrund einer brieflichen Mitteilung, die von Prag über Augsburg nach Basel gelangte, gilt es als sicher, dass es in Böhmen einen Aufstand gegen König Ferdinand gibt, da die Böhmen wegen ihres Bündnisses mit dem Kurfürsten nicht gegen Letzteren ziehen wollen, obwohl Ferdinand das nachdrücklich fordert. Daher eilt der Kaiser dem König zu, um dessen Vertreibung zu verhindern. [12] Im kommenden Sommer wird es zu gewaltigen Unruhen kommen, und Gottes Reich wird sich entgegen allen Erwartungen ausbreiten. Gruß. Das Übrige schreibt Myconius. Was gibt es Neues in Zürich?

1 Dass die unten Z. 43 angeführte Jahresangabe nicht richtig sein kann, geht allein schon aus den in unten Z. 24-27 überlieferten Nachrichten hervor, wo von einem desolaten Zustand der Stadt Ulm nach dem dortigen Aufenthalt des Kaisers die
Rede ist und zudem berichtet wird, dass Letzterer sich nun in Nördlingen aufhält. Demzufolge kommt hier nur das Jahr 1547 in Frage, welches außerdem durch viele weitere, im vorliegenden Brief übermittelte Angaben bestätigt wird.


Briefe_Vol_19-421arpa

S. in domino. Nova, que mihi ab aiis scripta et narrata sunt, paucis accipe: Die knecht, die vor faßnacht 2 angenomen sindt in disen landen dem keyser mit Rüffli von Rischach 3 , sindt geschlagen worden mit anderen knechten uff dem musterplatz nit wyt von Brem 4 von den Seestetten 5 . Sindt iren wenig darvon kommen. Hetten die unseren sölichs gethan, es stiende baß 6 ! Die Seestett mit Denmarckt syndt uff 7 ; wohin, kan mann nit wüssen.

Der künig von Polen ist gestorben 8 ; der son 9 des kunig zü Cracovia gekrönet zü ein künig des Polenlandt. By der krönung sol gsin des Turcken legat 10 mit 400 pferden, köstlich gekleidet, und die sag ist (diß habe ich mundtlich gehört von eim botten 11 dise tag von Breslauw) a , das dem jungen künig der Turck 12 sein tochter vermähelet habe, 13 und dise wöllen hochzeit haben nach ostern 14 zü Crocauw.

Idem tabellarius dixit: Die von Preslauw sindt uß bitt Ferdinandi 15 , des küngs, bewegt worden, das sy ein groschen uff ein sack mit korn haben geschlagen, im dise steür zü geben, damit er sich dester baß möchte richten, wider den Turcken zü stritten. Es ist etwas darzwischen gefallen, das sy im das gelt allein haben geben 15 wochen lang. Do haben sy diß im abkündet 16 . Wöllens inen selber behalten, wider den Turcken zü stritten.

Item Ferdinandus hat von der statt Preslauw begert, geschütz und pulver dem keyser züzüschicken, das im ettlich der grossen Hansen 17 haben verwilliget. Da 18 mans hat wellen richten, do ist die gmein [da g]sin b . Gemurmelt also, das mans im wider abgekündet h[at] von wegen der grossen rustung des Turckens. 19

a Klammern ergänzt.
b Hier und unten Textverlust bei der Entfernung des Siegels.
2 Der Fastnachtsdienstag fiel im Jahr 1547 auf den 22. Februar. — Durch ein Basler Mandat vom 1. März 1546 war es ausdrücklich verboten worden, nach Aschermittwoch Fastnacht zu halten; s. Gast, Tagebuch 263, Anm. 16. Somit ist es ausgeschlossen, dass die Basler Fastnacht schon damals erst am Montag nach Aschermittwoch ("Hirsmontag" — im Jahre 1547 der 28. Februar) stattgefunden hätte, wie es heute üblich ist. —Gast hatte über diese Anwerbung in Nr. 2822,12f, berichtet.
3 Ruff (Rudolph) von Reischach; s. HBBW XV 672f, Anm. 7.
4 Bremen. — Vgl. PC IV/1 660, Nr. 589. Die Stadt wurde seit dem 19. Februar 1547 durch den Burggrafen in Zeeland, Jobst von Cruningen. belagert, der den Oberbefehl über ein kaiserliches Heer führte; s. Nr. 2797, Anm. 28; Helmut Lucke, Bremen im Schmalkaldischen Bund 1540-1547, Bremen 1955, S. 70. 77. Ob
die hier übermittelte Nachricht stimmt, konnte nicht ermittelt werden.
5 Hansestädten.
6 besser.
7 syndt uff: brechen auf.
8 Sigismund I. starb erst am 1. April 1548. Vgl. allerdings schon Nr. 2841,73f und Nr. 2858,44.
9 Sigismund II. August. der später König wurde.
10 Unbekannt.
11 Unbekannt.
12 Sultan Suleiman I.
13 Ein falsches Gerücht.
14 D.h. nach dem 10. April 1547.
15 Ferdinand I.
16 gekündigt.
17 grossen Hansen: angesehene Persönlichkeiten bzw. hochrangige Militärs; s. SI II 147 lf: Grimm X 456f.
18 Als.
19 Zu den Rüstungen von Suleiman s. Nr. 2827, Anm. 13; Nr. 2832,19-23.


Briefe_Vol_19-422arpa

Es ist ein Baselbott 20 dise tag von Ulm kommen. Der sag grüsame ding, wie Ulm verwüstet sey, wie sy der keyser 21 beroubt hab, genomen 10 stück buchsen mit aller rustung, vil gelt hinweg. Lytt 22 zü Nörlingen. Propter tempestatem pluviarum kan er nit witers ziehen.

||v Es lyt zü Ensisheim ein welscher 23 herr mit 100 pferden. Nympt knecht an. Findt aber wenig kriegsvolck, das er selbs unwillig 24 ist. Wohin er sy bruchen wil, ist still 25 .

Der landtgraff 26 sol in einer rustung sein.

Die von Straßburg 27 ritten dem keyser nach. Begeren ein vertrag. Insaniunt cum reliquis civitatibus adorantque putridum idolum caesaris! 28 Sentient tandem, quid egerint cum hoste, qui libertatem Germanicam odio Vatiniano 29 prosequitur.

Der elector Saxonic 30 sol alß 31 sin landt wider haben, mit Lipsig 32 . Es soll ouch hertzog Moritz zwey mal geschlagen sin. 33

20 Unbekannt. — Gemeint ist ein für Basel bestimmter Bote aus der Stadt Ulm; s. SI IV 1883.
21 Karl V., der sich in Ulm zwischen dem 25. Januar und dem 4. März aufgehalten hatte; s. Nr. 2754, Anm. 18.
22 Subjekt ist der Kaiser. — Er hielt sich in Nördlingen zwischen dem 5. und dem 21. März 1547 auf; s. Stälin 579. Dort wurde er durch Gichtanfälle (die vermutlich vom schlechten Wetter verstärkt wurden) zurückgehalten; s. Moritz von Sachsen PK III 296, Nr. 415.
23 Ein unbekannter Italiener oder Spanier.
24 unzufrieden.
25 nicht gesagt.
26 Philipp von Hessen. — Zu ähnlichen Meldungen s. Nr. 2773,16f; Nr. 2782,34f; Nr. 2810,37; Nr. 2815,13-16; Nr. 2842,28— 31; Nr. 2844,19-21; Nr. 2858,23-26. Hier dürfte die Bestellung der Festungen Kassel, Gießen und Ziegenhain gemeint sein; s. PA I 587, Nr. 933. Zudem ließ der Landgraf ab 24. März die hessische Ritterschaft aufbieten, da der Feind in die Grafschaft Waldeck einzufallen drohte; s. ebd., 589, Nr. 938. Zugleich aber stand Philipp in Friedensverhandlungen und war auch seit mehreren Tagen bereit, den Fußfall zu leisten (s. Moritz von Sachsen PK III 279, Nr. 386), nie aber, gegen den Kurfürsten Johann Friedrich von Sachsen zu ziehen (s. ebd., S. 283, Nr. 393; 299f,
Nr. 420; Lettres et mémoires d'État des roys, princes et ambassadeurs et autres ministres sous les règnes de François Jet, Henri II et François II, hg. von Guillaume Ribier, Bd. 1, Paris 1666, S. 624. 631f; und Nr. 2844, Anm. 12).
27 Gemeint sind die Abgeordneten Straßburgs zum Kaiser, nämlich Jakob Sturm, Marx Hag, Friedrich von Gottesheim und Ludwig Gremp; s. PC IV/1 633, Nr. 569, Anm. 33; 654, Nr. 586. — Siehe dazu bereits Nr. 2822, Anm. 16.
28 Anspielung auf Apk 13, 15; 14,9. 11; 19. 20; 20, 4.
29 odio Vatiniano: Zitat aus einem Gedicht des römischen Dichters Catull (Carmina, 14, 3), welches adressiert ist an Catulls Freund Calvus, der sich infolge mehrerer Anzeigen gegen den Politiker Publius Vatinius dessen Hass zugezogen hatte. vgl. auch Adagia 2, 2, 94 (ASD II/3 206, Nr. 1194).
30 Johann Friedrich I. von Sachsen.
31 all(es).
32 Ein falsches Gerücht. — Siehe dazu schon Nr. 2757, Anm. 76.
33 Während der Schlacht bei Rochlitz am 2. März kam es zu zwei Gefechten, in denen die Truppen des Kurfürsten die des Markgrafen Albrecht II. Alcibiades von Brandenburg-Kulmbach besiegten; s. Voigi, Albrecht 149f.


Briefe_Vol_19-423arpa

In Behem 34 ist ein grosser zwitrach wider dem kunig 35 , hocque certum est. Nam ex Praga Augustam scriptum est; ab Augusta nostris. Nam nolunt incommodare Saxoni propter fedus; 36 sed Ferdinandus instat et urget. Propterea et caesar properat, 37 ne Ferdinandus rex eiciatur ex Bohemia.

Videmus hac aestate turbas ingentes ac domini regnum propagatum in contra omnium expectationem! Vale. Basileae, 1545 c , martii 17. Reliqua Myconius. 38 Rescribe, quid apud vos novi sit.

Tuus G[astius].

[Adresse darunter:] An den eerwürdigen herren Meyster Heinrych Bullinger, lüttpriester zü Zürich, mynen lieben, günstigen herren und frundt. Zurich.