Heinrich-Bullinger-Briefwechseledition, Universität Zürich © Heinrich Bullinger-Stiftung Arpa Bibliothek Textbreite Schriftgröße

[878]

Die Pfarrer und Lehrer von Bern an
[den Berner Rat bzw. durch
Peter Schnyder an]
Bullinger
Bern,
[kurz nach 17. August 1536]

Teilkopie a von Peter Schnyder: Zürich StA, E II 347, 148 (Siegelspur) Gedruckt: Bizer, Abendmahlsstreit 155f

[Oswald Myconius und Simon Grynäus]sind auf den 17. August [zu Gesprächen über die Wittenberger Konkordie] nach Bern gekommen. Da die Straßburger [Bucer und Capitol in ihrer Erläuterung der (Wittenberger] Artikel erklären, dass der Leib Christi vom gläubigen Gemüt als geistliche Speise empfangen werde, so wie ihn schon Abraham und die Vater genossen haben, und daß kein Widerspruch zu den Schriften Oekolampads und Zwinglis bestehe, anerkennen die Berner Theologen diese Erläuterung als übereinstimmend mit dem [Ersten Helvetischen] Bekenntnis. Sie setzen dabei in Übereinstimmung mit den Zürchern und Baslern voraus, der Artikel über die manducatio indignorum könne so verstanden werden, daß die Gottlosen nur das Zeichen, nicht den Leib Christi essen. Diese ohne Absprache mit den übrigen oberländischen Kirchen abgefaßte Stellungnahme ist nicht als [verbindlicher]Beschluß zu verstehen.

Auff b den 17. tag augusti sind zuo unns komen gen Bern c die wuolgelerten unser fur 3 geliebten herren unnd bruöder 4 [...] d .

13 Vadian beantwortete die offenbar im Gespräch mit Grynäus aufgekommene Frage (vgl. unten Nr. 882, 5-9. 19f) mit einer ausführlichen, 1539 von Bullinger im Druck herausgegebenen Abhandlung; s. unten Nr. 894.
a Die vollständige, am 23. August vom Berner Rat an Zürich gesandte Abschrift tragt den Titel: Was die dienner iu Bernn von Luthers confession und der Straßburger declaration, darüber gäbenn, haltinnd (Zürich StA, E I 1. 2b, zitiert: A; weitere Textzeugen s. Bizer, Abendmahlsstreit 155, Anm. 2). A: Es Sinnd uff den 17. tag augusti zu unns gan Bernn khummenn.
d Die Einleitung bricht an dieser Stelle ab und ist dem restlichen Text in Form eines
Titels vorangestellt. Die Fortsetzung lautet in A: [...] Oßwaldus Myconius unnd M. Symon Gryneus von Basell, habennd unns ein beckantnis, so von doctor Martin Luther unnd vil anderer khilchenn im rich zu Wittenberg in disem jar gestellt, mit samptt einer declaration unnd erlütrung, so von unnserenn liebenn herrenn unnd brüderenn doctor Capito unnd Martin Butzer von Straßburg darüber gestelltt, angezeigtt unnd fürbracht, begerende, das wir dise beide zu handenn nemmenn, besächenn unnd erwägenn wöllennd, ob die unser lestgebner confessionn zu Basell, ouch unnser lerr zewiderig sie oder nitt. Unnd alls wir nun nach irem beger zum aller trüwlichstenn unnd zum geflißnestenn, als wir habenn mögennd, die artickell zehanndenn genommenn und ermessenn, unnd dwyll wir die


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Der declaration aber unnd der erluterung halb, wie e von unsern lieben herren unnd bruöderen von Strasburg uber die artikel gestelt 5 , sagend wir also, doch erluterens unnd gar nit beschlusnerische wyse 6 : Dwyl 7 sy redind, das die meynung docto[r] Marti[n] Luth[ers] unnd der sinen f nit syge, das im helgen nachtmal g Christi nit ain liplich, sunder ain geystlich spiß, die an leyn 8 mit dem gluöbigen gmiet empfangen werde, unnd das wir ouch den lib Christi, der zuo der gerechten 9 gottes sitzt, nit anders wesenlich 10 essind, dann wie in Abraham mit sampt anderen halgen 11 vaetteren vor siner mensch werdung gegessen habind 12 , unnd in summa, das dise außlaegung gantz unnd gar nutzig 13 in iro habe, das nit doctor Oecolamp[adius] unnd Maister Huld[rich] Zwing[li], bayd loblicher gedaechtnuß, in iren auß gangnen geschrifften von disem nachtmal gelaert habind, wie das alles mit vil wuorten in dero von Strasburg geschrifft gehandlet wurtt, konnend wir nit sagen, dan das sölche außlegung unser confession 14 , zuo Basel gestelt, glich förmig laute, dann eben alleyn h das, so im vierden artikel vom niessen unnd essen den lib Christi von dem unwurdigen geschriben stat 15 , wo dersaelb artikel erlyden mag, so fer i ein k mensch gluöbig, so esse er den lib Christi, so ferr er aber gottloß angefochten

nach dem buchstabenn der massenn kurtz unnd dunckell, dar zu ouch uff ein sölliche wyß gestelltt funden habenn, also das man sy gar lichtlich uff die meynung ziechenn mag, als ob der lib Cristi mit dem brott vereinigett unnd also in siner substanntz liblich zu gegenn dem mönschenn gäbenn werde, so ist es unns nit füglich noch sicher, in söliche dunckle unnd zweyspältig reden zugan, darum wir gemeldte beckantnis in irer werd blibenn lassend.
e A: wie die.
f in der Vorlage sine.
g A: unnseres herren Jesu Cristi kein libliche vereinigung brots unnd wins mit dem lib unnd blutt Christi sige, ja und daß das heyllig nachtmal.
h vor alleyn gestrichenes an.
i vor fer gestrichenes ver.
k ein über der Zeile nachgetragen.
1 Ob Peter Schnyder seine Teilkopie des für die Berner Obrigkeit bestimmten Gutachtens im Auftrag der Verfasser oder, was wahrscheinlicher ist, ohne deren Wissen an Bullinger gesandt hat, ist nicht bekannt.
2 Sicher wurde die Stellungnahme unmittelbar nach den Verhandlungen vom 17. August (s. Z. 1f mit Anm. 4) abgefaßt; allerdings wurde sie vom Berner Rat erst
am 23. August an Zürich und Basel weitergeleitet (s. EA IV/1c 744 7 bzw. Bizer, Abendmahlsstreit 156f). Wann die Abschrift Schnyders entstand, läßt sich nicht feststellen.
3 überaus, sehr.
4 Am 17. August verhandelten Myconius und Grynäus mit den Berner Theologen über die Wittenberger Konkordie, s. Bizer. Abendmahlsstreit 155f.
5 Während sich der erste, vom Abschreiber übergangene Teil des Gutachtens (s. Anm. d) auf die Artikel der Konkordie bezog, ist nun von jenem erläuternden Memorandum die Rede, das Grynäus und Karlstadt aus Straßburg zurückgebracht hatten (BucerDS VI/1 217-226; vgl. oben Nr. 871, Anm. 1).
6 im Sinne einer Erläuterung, nicht eines Beschlusses.
7 weil.
8 allein.
9 Rechten (SI VI 227).
10 essentialiter (vgl. oben Nr. 871, 8-10).
11 heiligen.
12 Vgl. BucerDS VI/1 222, 3-8; 226, 3f.
13 nichts.
14 Gemeint ist das Erste Helvetische Bekenntnis, s. oben Nr. 737, Anm. 1.
15 Siehe die Stellungnahme der Straßburger zur Frage der manducatio indignorum in BucerDS VI/I 223, 4-12.


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hertzens, böß furnaemens, als dan esse er nit den lib Christi, sonder nun 16 das zeychen unnd das sacrament, so mögend wir soemliche außlegung, wie ouch unsere lieben herren unnd bruöder von Zurich, von l Basel 17 , by unserer confession wuol dulden, die wir ouch nit anders dann mit anfaltigem und rechtgeschaffnem hertzen gestelt habind, guoter hoffnung, man lasse unns by der saelben unser confession unnd christelichem verstand bliben. Wir wend ouch hie mit diser unserer erluterung one alle andere oberlenddische kilchen newt 18 beschlossen haben, sonder so wir bessers möchtind befinden m unnd unns deß berichten, weltind wir allwegen umb der göttlichen warheyt wyllen gern volgen. Amen.

Die diener unnd laesser 19

der kilchen zuo Bern n .

Petrus 20 tuus o

[Adresse auf der Rückseite:] An Meister Heynrichen Bullinger, predicant zuo Zürich.

l A: unnd.
m A: sonnder war bessers mochte findenn.
n Unterschrift fehlt in A.
o Petrus tuus rechts unten am Briefrand; darüber radiertes Petrus Schnid.
16 nur.
17 Zu den Gutachten der Basler und Zürcher Pfarrer s. oben Nr. 871, 3f mit Anm. 5, bzw. Nr. 877, 9-13 mit Anm. 7.
18 nichts.
19 (Vor-)Leser, Lehrer (SI III 1419).
20 Peter Schnyder.[Adresse