Heinrich-Bullinger-Briefwechseledition, Universität Zürich © Heinrich Bullinger-Stiftung Arpa Bibliothek Textbreite Schriftgröße

[2065]

Ambrosius Blarer an
Bullinger
[Konstanz],
15. Januar 1545

Autograph: Zürich StA, E II 357, 115 (Siegelspur); [Beilage:]1 E II 357a, 656 Zusammenfassende Übersetzung: Blarer BW II 343f, Nr. 1161

Blarer hat den Brief der [Zürcher]Bürgermeister [Johannes Haab und Hans Rudolf Lavater] an [Thomas Blarer] weitergegeben, weiß aber nichts über mögliche Verhandlungen, da er aufgrund der politischen Umstrukturierung der Stadt [nach den Bürgermeister- und Ratswahlen] seinen Bruder nur selten sieht und auch sonst niemanden befragt. Er weiß aber, dass [Konstanz]wirklich an einem Frieden mit allen gelegen ist und auch Kaiser [Karl V.]keinen Anlass zu einem Krieg geben möchte, was in diesen Zeiten wohl ratsam ist. Blarer bittet Bullinger und auch [Johannes Haab und Hans Rudolf Lavater] um Geheimhaltung seiner Informationen zu diesen Verhandlungen, besonders auch, was die [Kriegskunst Konrad Zwicks]betrifft. Er hat für den Dienst an der Sache Bullinger mehr dazu verraten, als er dem [ungestümen] Zwick gegenüber zugab, und diesem wiederum nicht alles weitergeleitet, was Bullinger äußerte; hoffentlich wird ihm das nun nicht als Betrug angerechnet. Es wäre nachteilig für sein Verhältnis zu Zwick und auch von Nachteil für ihn selbst, wenn die Zürcher etwa in der Sache an [Thomas Blarer]oder an die "Haimlichen [vom Rat]" schreiben würden. Er vertraut auf Bullinger und will sich nun von der Angelegenheit fernhalten. [P.S.:]Bullinger soll dies den [Zürcher Ratsherren]beizeiten mitteilen. Die Sache ist wichtig. Ein Pfarrer [...] hat Blarer informiert, dass ein Bauer [Jakob Knecht] nach [Zürich] und zurück reisen wird und [etwaige Briefe befördern könnte]. [Beilage:][Karl V.] ist aufgrund seiner Gicht noch nicht [auf dem Reichstag]in Worms eingetroffen. Über seine Pläne wird viel geredet, doch ist nichts Sicheres bekannt. [Andreas] Osiander hat auf das "Speculum"[Georg Frölichs]mit

l Zwischen Basileae und ianuarii wurde ein Abstand gelassen, wohl, um die Tagesangabe nachtragen zu können.
m Teilweise auf das nicht mehr vorhandene Verschlussband geschrieben.
36 Theodor Bibliander.
1 Die undatierte und nicht unterschriebene Beilage lässt sich mit Sicherheit dem vorliegenden Brief zuordnen, da Bullinger in seiner Antwort vom 16. Januar (unten Nr. 2067) auf den Inhalt von Brief und Beilage eingeht.


Briefe_Vol_15_080arpa

einer Apologie geantwortet, in der er die Zwinglianer diffamiert. Blarer hat das Werk selbst noch nicht gesehen, aber [Martin] Frecht hat ein Exemplar an Vadian gesandt. [Wolfgang] Musculus wirkt [reformatorisch] in Donauwörth; möge er erfolgreich sein! [Paul III.] hat den Bischof von Augsburg [Otto Truchsess von Waldburg] und den Bischof von [Arras], [Antoine de Perrenot], Sohn des [Nicolas de Perrenot, Herrn von] Granvelle, zu Kardinälen ernannt; die Päpstlichen züchten Vipern und Basilisken heran. Der württembergische Hofprediger Kaspar Gräter schreibt, dass [Herzog Ulrich von Württemberg] über Luthers ["Kurtz bekentnis"]aufgebracht ist. Blarer ist überzeugt, dass die Zürcher Antwort ["Warhaffte Bekanntnuß"] von christlicher Mäßigkeit und Würde zeugen wird, bittet aber zusammen mit [Thomas Blarer] und [Konrad] Zwick Bullinger und Theodor [Bibliander] ausdrücklich, dass weder [Martin] Bucer noch sonst jemand (außer Luther und anderen, die [die Zürcher] öffentlich angegriffen haben) erwähnt wird. Auf das Marburger [Religionsgespräch] kann auch ohne Erwähnung Bucers eingegangen werden. Letzterer darf aus gewichtigen Gründen keiner Gefahr ausgesetzt werden.

S. Literas consulum vestrorum 2 fratri 3 diligenter reddidi. 4 An vero aut quid porro de negocio 5 consultatum sit, ita me ames, Bullingere, plane ignoro; 6 fratrem enim hoc quidem tempore, quo tota respublica nostra velut renovatur, rarissime convenio, caeterorum nullum maximas ob causas quicquam interroga[ns]a . Istuc tamen a nostris haud obscure intelligo, eos solidam cum omnibus pacem unice cupere nec cuiquam suscipiendi belli ansam praebituros, immo vero haudquaquam ullis rationibus quemquam ad belligerandum ipsos adducturum. Id quod, si quid ego recte iudico, longe optimum hac tempestate fuerit, pacem sectari cum omnibus et maximopere cavere, ne qua nova occasio caesari 8 vel vobiscum 9 vel cum aliis bellandi suppeditetur, quo firmior de domini auxilio spes esse possit, si ille 10 fortassis extra iustas caussas prior bellum incaeptarit et lacessere immeritos perrexerit. Hoc enim totum refert, ut recti constientia bene respondeat apud deum.

Deinde istuc quoque per Christum Iesum te obtestor, ut omnia ista, que hactenus ad te pro mutua inter nos fide et charitate de toto isto negocio

a Randtext beschädigt.
2 Johannes Haab und Hans Rudolf Lavater.
3 Thomas Blarer.
4 Es geht um den mit dem Brief oben Nr. 2062 übermittelten Brief der Bürgermeister an Konstanz.
5 Gemeint ist ein mögliches Bündnis zwischen Konstanz und der Eidgenossenschaft; s. zuletzt oben Nr. 2062 und Anm. 3.
6 Ein Teil der "Haimlichen" wollte das Schreiben Haabs und Lavaters ignorieren, während der andere Teil auf den Abschluss eines Bündnisses hoffte. Schließlich wurde der "Haimliche" Peter Labhart zu Verhandlungen nach Zürich gesandt; s. StadtA Konstanz, Ref. A. 25, Beilage f.
2v. 6v; s. Dobras, Ratsregiment 61.67.90, Anm. 310.
7 Die Mitglieder des Konstanzer Rates wurden stets im Dezember neu gewählt (s. Peter Meisel, Die Verfassung und Verwaltung der Stadt Konstanz im 16. Jh., Konstanz 1957 — Konstanzer Geschichts- und Rechtsquellen 8, S. 30 und Anm. 22); auch das Bürgermeisteramt wurde Ende des Jahres neu besetzt. So war Thomas Blarer am 4. Dezember 1544 zum Bürgermeister für das neue Amtsjahr gewählt worden, Amtsantritt war der 6. Januar; s. Meisel, aao, S. 45; HBBW XIV, Nr. 2054, 103 und Anm. 61.
8 Karl V.
9 mit den Eidgenossen.
10 Gemeint ist wiederum Karl V.


Briefe_Vol_15_081arpa

perscripsi, apud te maneant aeternum sepulta, utque consules vestri, et quicunque harum rerum conscii sunt, apud nullum prorsus quicquam de hoc effutiant, quando b forte fortuna in nostros inciderint et de istis aut aliis rebus cum ipsis contulerint, praecipue vero de iis, que de consobrino meo 11 atque huius invento tibi concredidi. 12 Quum enim plura nonnunquam ad te, quam ille resciverit, scripserim, sepe etiam pauciora illi, quam tu ad me dedisti, indicaverim, aliquando etiam commutarim nonnihil apud ipsum tuam sententiam, ac nihil non fecerim, quo hominem, qui perrecturus nonnunquam videbatur, remorarer, fraudi nunc istuc mihi apud eum foret et fidei meae non ferenda mihi abrogatio. Efficies igitur omnino pro tuo erga me amore, ut hic, quod ad te ac tuos attinet, securo mihi esse liceat. Es wurde mir zu grossem nachtail dienen by meinem vetter 13 und sonst, sollten sich die eweren etwa by den unsren, so sy zusamen kemen [od]er c so die eweren vyllicht weyter meinem bruder 14 oder den haimlichen 15 desshalb schreiben wurden, deren ding (wie dann offt lichtlich beschicht 16 ) vernemmen lassen. Aber ich vertrauw euch gantz wol, ir werdt diß alles fürkommen 17 und verhüten d und allso ymererst 18 davor sein 19 ; darum ich euch um gottes unnd aller lieb willen gebetten will haben, dann ich mich yetz aller ding enschlachen 20 will und frag gar nitt, was wyter gehandelt oder von den ewern hie her oder von den unsern an die ewern geschriben werde.

Datum den 15. ianuarii 1545.

Tuus A. Bl.

Matura, obsecro, apud tuos admonitionem hancce; nam hoc mea maxime refert et supra modum nec sine caussa sollicitus sum.

Quidam ex verbi ministris 21 indicavit rusticum quendam ex pago proximo urbem 22 istuc profecturum ac mox rediturum, si quid forte scribere velim.

b quando bis contulerint am Rande nachgetragen.
c [od]er im engen Einband nur teilweise lesbar. Von [od]er bis wurden am Rande nachgetragen.
d verhüten stark verblasst.
11 Konrad Zwick.
12 Konrad Zwicks Kriegskunst, zuletzt oben Nr. 2062, Anm. 6.
13 Konrad Zwick.
14 Thomas Blarer.
15 Den "Haimlichen vom Rat".
16 geschieht.
17 diß alles fürkommen: diesem allen vorbeugen.
18 ymererst: wohl im Sinne von "immerist", allerdings, ohne Zweifel; vgl. SI I 222.
19 davor sein: zu verhindern wissen.
20 aller ding enschlachen: sich allem entziehen.
21 Unbekannt.
22 Es bleibt offen, ob mit "rusticus"ein Bauer oder generell ein Landbewohner gemeint ist. Laut Bullingers Angabe unten Nr. 2067, 36, handelt es sich um einen gewissen Jakob Knecht. —Es lässt sich nicht mit Sicherheit feststellen, ob es sich dabei um Jakob Knecht aus Hinwil (Kt. Zürich), geb. am 1. April 1528, Sohn von Christen (Christian) und Anna Knächt, handelt; s. Karl Meister, [Stammbaum] Knecht: Bürger von Hinwil und Stein a. Rh. Nachkommen des Christian Knecht um 1500, Schaffhausen, Karl Meister 1981-1982 (Bibliothek der Schweizerischen Gesellschaft


Briefe_Vol_15_082arpa

[Adresse auf der Rückseite:] An maister Hainrich Bullinger zu Zürich.

[Beilage:]

||656 Wormatiae caesar etiamnum desideratur; laborat autem ex podagra, ut adesse illic hactenus nequiverit. 23 Mire et maximis maiores ipsius conatus iactitant, de quibus, quod certi nihil habeam, non est, ut ad te scribam.

Osiander apologiae 24 Speculo isti 25 , quod nosti, respondit, in qua affirmant illum Zvinglianorum valde odiosam mentionem fecisse. Deus tandem nos ab intestinis istis malis propicius vindicet! Ego libellum nondum vidi, sed Frechtus noster, qui officiosissime te salvere iubet, exemplum se Vadiano nostro misisse scribit. 26

Musculus Werdeae ad Danubium 27 novam Christo ecclesiam plantat, id quod felix sit ac faustum. 28

Papa 29 Augustano episcopo 30 , deinde etiam filio Granvell, episcopo Arelatensi, 31 galeros cardinalicios misit, scilicet ut velut optimos filios in Romanae für Familienforschung, Schweizerische Nationalbibliothek). Christian Knecht war Ammann des Klosters St. Johann (Alt St. Johann, Kt. St. Gallen); s. H[enri] Feurer und [Karl]W[erner] Glättli, Das Geschlecht der Knecht, in: 7. Jahrheft der Antiquarischen Gesellschaft Hinwil, 1934, 19-25, hier S. 19f.

23 Karl V. traf aufgrund seiner Krankheit erst am 16. Mai 1545 am Reichstag zu Worms ein, entsandte aber seinen Kommissar, Nicolas Perrenot von Granvelle, und seinen Bruder König Ferdinand, die am 6. bzw. am 14. März 1545 in Worms ankamen; s. RTA JR XVI/1 65, Anm. 49; 87.
24 Andreas Osiander, Apologia ... contra libellum famosum scelerati cuiusdam et Zvingliani nebulonis, Nürnberg, Johannes Petreius, [Dezember] 1544 (VD 16 O 987) sowie 1545 (VD 16 O 988). — Druck in: Osiander GA VIII 281-304, Nr. 311.
25 Das "Speculum Osiandri"Georg Frölichs (Laetus)(Druck: Osiander GA VIII 305-318, Beilage zu Nr. 311); s. HBBW XIV, Nr. 1963, Anm. 10 und passim.
26 Der Brief Martin Frechts vom 10. Januar findet sich in Vadian BW VI 365-367, Nr. 1376. Auch die darauf folgenden Nachrichten zur Kardinalsweihe, zu Wolfgang Musculus und Kaspar Gräter entstammen dieser Quelle.
27 Donauwörth (Bayern).
28 Nachdem Donauwörth von Augsburg die Entsendung eines Prädikanten zur Einführung der Reformation erbeten hatte, traf Wolfgang Musculus am 27. Dezember 1544 in Donauwörth ein, wo er sich bis zum 24. März 1545 aufhielt; s. Simon Xalter, Wolfgang Musculus und die Reformation in Donauwörth. Sein Wirken als Prediger vom Dezember 1544 bis März 1545, in: Jahrbuch des Vereins für Augsburger Bistumsgeschichte e.V. 35, 2001, 58-92; Hans-Jörg Künast, "Khann nit dencken, das die vonn Werd lang bey den pfeltzischen Ceremonien bleiben" — Neue Briefe zum Aufenthalt von Wolfgang Musculus in Donauwörth im Jahr 1544/45, in: Mitteilungen des Historischen Vereins für Donauwörth und Umgebung, Jg. 2000, 2001, 4-23; Felix Stieve, Die Einführung der Reformation in der Reichsstadt Donauwörth, in: Sitzungsberichte der philosophisch-philologischen und historischen Classe der Königlichen Bayerischen Akademie der Wissenschaften zu München, Jg. 1884 (Sitzung vom 3. Mai 1884), München 1885, S. 387-461.
29 Paul III.
30 Otto Truchsess von Waldburg wurde am 19. Dezember 1544 zum Kardinal ernannt; s. HBBW XIV, Nr. 1837, Anm. 7.
31 Dieses Gerücht findet sich auch bei Johannes


Briefe_Vol_15_083arpa

ecclesiae obedientia retineat. Incubant pontificii omnes, nescio quibus ovis, viperas et basiliscos, 32 si dominus permittat, propediem exclusuri.

Caspar Gräterus 33 Wirtempergensis aulae ecclesiastes, scribit principem suum 34 valde offensum libello isto Lutheri 35 ac vehementer detestari insanam istam conviciandi et maledicendi libidinem. Vestram responsionem non dubitamus christiana modestia et gravitate in lucem prodituram, 36 ubi te, pariter et venerandum charissimumque Theodorum nostrum 37 , per omnia sacra, et per quicquid flecti potestis, obsecro et obtestor, ut ne ullam Buceri nostri in illa vel levem mentionem faciatis; 38 petunt hoc ipsum a vobis germanus frater meus 39 et Zviccius 40 , idque gravissimas ob caussas, tametsi existimemus vos pro vestra prudentia et synceritate ultro sic omnia temperaturos, ut extra L[utherum] et alios, qui publicis scriptis vos traduxerunt, nemo alius involvatur. Quod, si quid etiam de Marpurgensi concordia 41 attingendum erit, poterit istuc quoque tacito Buceri nomine fieri. Est ille omnino extra aleam istorum aliorum collocandus, idque non unam solum ob caussam, quemadmodum vos quoque agnoscere lubenter mihi persuadeo; et tamen e sollicita mea erga illum et pro illo charitas me, ut huius vos admonerem, coegit. Tuum erit efficere, ut hoc abs te et Theodoro nostro impetremus; nihil vicissim praestare vobis etiam non tantopere rogati gravabimur.

Saluta tuam domum et omnes fratres. f

e tamen über der Zeile nachgetragen.
f Darunter in der Hand von Traugott Schieß: 1545 Jan. 15. Sleidanus; s. Hermann Baumgarten, Sleidans Briefwechsel, Straßburg 1881, S. 33f, Nr. 17. — Antoine de Perrenot, Sohn des Nicolas de Perrenot, Herrn von Granvelle, war zu diesem Zeitpunkt Bischof von Arras (nicht Arles) und wurde erst 1561 zum Kardinal erhoben; s. Konrad Eubel, Hierarchia catholica medii et recentioris aevi, Bd. 3, Münster 1923, S.43, Nr. 19.
32 Vgl. Adagia, 4, 2,40 (ASD II/7 117f, Nr. 3140).
33 Gräter war ab 1544 Hofprediger in Stuttgart; s. HBBW VII 252, Anm. 4.
34 Herzog Ulrich von Württemberg.
35 Luthers "Kurtz bekentnis".
36 Siehe ähnliche Aussagen Blarers in HBBW XIV Nr. 2048, 4-8. Das "Warhaffte Bekanntnuß" der Zürcher, das Anfang März 1545 erschien; s. oben Nr. 2061, Anm. 9.
37 Theodor Bibliander, der neben anderen an der Abfassung der Zürcher Antwort auf Luther beteiligt war; s. unten Nr. 2067, 26.
38 Bucer selbst hatte gebeten, seinen Namen nicht zu erwähnen; s. HBBW XIV, Nr. 2028, 85-88.
39 Thomas Blarer.
40 Konrad Zwick.
41 Das Marburger Religionsgespräch 1529.