Heinrich-Bullinger-Briefwechseledition, Universität Zürich © Heinrich Bullinger-Stiftung Arpa Bibliothek Textbreite Schriftgröße

[2404]

Bullinger an
Philipp Melanchthon
Zürich,
1. April 1546

Abschrift von Leodegar Hirsgarter: Zürich StA, E II 345, 360f; Abschrift von unbekannter Hand für Ambrosius Blarer: Zürich ZB, Ms A 51, 29r.—30v., Nr. 21 a : Abschrift aus dem 16. Jh.: Zürich StA, E II 352, 135f Druck: Bibliotheca historico-philologico-theologica, classis tertiae fasciculus sextus, hg. v. Johann Jakob Ulrich, Bremen 1720, S. 341—346, Nr. VI b ; Füssli 237—243, Nr. 61; Johann Jakob Breitinger, Sensus clarissimi viri J. J. Zimmermanni De vero ac legitimo usu sanctae coenae et consensus cum ecclesiae ac maiorum doctrina, in: Museum Helveticum, Bd. 3, Zürich 1746, S. 494—498; Bindseil 230—234, Nr. 302 Übersetzung ins Englische: Gleanings of a Few Scattered Ears During the Period of the Reformation in England and of the Times Immediately Succeeding, A.D. 1533 to A.D. 1588, hg. v. George Cornelius Gorham, London 1857, S. 35—38 Regest: MBW-Reg IV, Nr. 4213

Bullinger hat wegen des unglücklichen Streits über das Abendmahl zwischen dem nun verstorbenen Luther und den Zürchern anderthalb Jahre lang nicht geschrieben. 1 Damit wollte er verhindern, Luther gegen Melanchthon aufzubringen und den Verdacht zu wecken, dass dieser mit den Zürchern unter einer Decke stecke. Bullinger wusste nämlich aus dem letzten Brief Melanchthons [HBBW IV, Nr. 1966 2 ], was dieser vonseiten lästiger Brüder erdulden musste. Im Hinblick auf die wiederherzustellende Einheit der Kirche wird nun Bullinger, falls Melanchthon damit einverstanden ist, den Briefaustausch mit ihm wieder pflegen. Wenn Bullinger sich freut, dass Luther beim Herrn ist, dann geschieht dies nicht wegen des [Abendmahls]streits, sondern deshalb, weil er es Luther gönnt, von allen Übeln dieser Welt befreit zu sein. Doch gleichzeitig trauert Bullinger, zumal die Kirche mit Luthers Tod trotz dessen Fehlern einen hilfreichen Ratgeber und entschiedenen, unnachgiebigen Gegner der listigen Papisten verloren hat. Möge nun Melanchthon mit ähnlicher Beständigkeit und Kraft des [Heiligen]

a Adresse auf f 30v. von Bullingers Hand: Clarissimo viro d. Ambrosio Blaurero, ecclesiae Constantiensis ministro fidelissimo, suo fratri dilectissimo. —
b Mit etlichen Abweichungen von Hirsgarters Abschrift, die auf Ulrich zurückzuführen sind; vgl. HBBW XV 157, Nr. 2097.
endet mit "claro", der Pentameter beginnt mit "qui"). — Markus (Marx) [...] überbrachte diesen Brief wie auch die Briefe Nr. 2399, Nr. 2405 und Nr. 2406; vgl. oben Anm. 1 und Z. 29—31.
1 Der letzte Brief Bullingers an Melanchthon datiert vom 3. Dezember 1544 (HBBW XIV, Nr. 2042). — Vorliegender Brief wurde auf Bullingers eigene Initiative
verfasst, ehe Jakob Herbrots Brief (Nr. 2392) in Zürich eintraf; s. Nr. 2413 und Anm. 41.
2 Allerdings hatte Melanchthon darin seine in Wittenberg prekär gewordene Lage mit keinem Wort erwähnt. Vielmehr erfuhr Bullinger davon aus Briefen anderer; s. z.B. HBBW XIV 424,21f. 452,44—46. 453,55—60. 461,56—60. 496,8—13. 511,28—34.


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Geistes diese Menschen bekämpfen, die gemäß dem Urteil Christi allein ihre Ehre suchen (Joh 5, 44) und die, so Paulus (2Tim 3, 8), nur eines im Sinn haben, nämlich sich der Wahrheit zu widersetzen. In dieser Auseinandersetzung sind die Zürcher bereit, sich Melanchthon behilflich zu erweisen, zumal dieser sie wohl nicht [wie Luther] als unrein ansieht. Die Zürcher mussten auf das "Kurtz bekentnis" Luthers antworten, da sie und ihre verstorbenen Lehrer [Zwingli und Oekolampad] öffentlich angegriffen wurden. Sie nutzten die Gelegenheit, um ihren Glauben mit ihrem ["Warhafften Bekanntnuß"] zu bekunden; einen Glauben, der mit den [alten] Glaubensbekenntnissen übereinstimmt und der Melanchthon wohl nicht missfallen wird. Was die Apostel über den auferstandenen Leib Christi und über die Rechtfertigung durch den Glauben gelehrt haben, erlaubt gar kein anderes Verständnis des Abendmahls. Der Mensch wird nur durch den Glauben und nicht durch andere, äußerliche Mittel gerechtfertigt. Das Wort und die Sakramente bestätigen (obsignare) dies. Schon Abraham wurde nicht durch das Sakrament der Beschneidung, sondern durch den Glauben an Gott gerechtfertigt (Röm 4), und die Beschneidung war eine Bestätigung dafür. Und wenn Paulus schreibt: "Es prüfe sich ein jeder, und also soll er vom Brot essen und aus dem Kelch trinken" (1Kor 11, 28), geht daraus hervor, dass die Teilnehmer am Abendmahl bereits gerechtfertigt und Teilhaber Christi sind. Durch ihre Teilnahme am Abendmahl erhalten sie gleichsam ein Siegel (sigillum), ein sichtbares Zeugnis (testimonium) dafür, dass sie durch Christi Tod gerechtfertigt sind, ihnen ihre Sünden vergeben und sie der guten Gaben Christi teilhaftig wurden. Falls die Zürcher in ihrem Bekenntnis nicht deutlich waren, sind sie zu weiteren Erklärungen bereit. Sollten sie irren, lassen sie sich gern eines Besseren belehren. Das Abendmahl ist ein Zeichen (symbolum) der Eintracht und des Friedens zwischen den Gläubigen. Umso mehr ist es zu bedauern, dass der Teufel und einige Menschen damit Zwietracht stiften. Die Zürcher möchten jedoch gemeinsam mit allen Gläubigen den Antichrist bekriegen. Möge Melanchthon mit allen Kräften die Beilegung dieses internen Streits erwirken, damit [die Protestanten] vereint unter der Führung Christi kämpfen können. Als Geschenk legt Bullinger einige von den Zürchern aus dem Griechischen ins Lateinische übersetzte Schriften bei: Theodorets Schrift "De providentia" 3 Tatians Rede ["Ad Graecos"], 4 die Abhandlung "Contra gentes" des Bischofs von Antiochien, Theophilus, 5 so wie auch andere beigebundene Schriften. Grüße von den Pfarrkollegen [Konrad] Pellikan, [Rudolf] Gwalther, [Theodor] Bibliander, [Heinrich]Buchter, den Lehrern Konrad Gessner, [Johann Jakob]Ammann, [Rudolf] Collin, [Otto] Werdmüller und allen übrigen. Grüße u.a. an [Justus] Jonas, [Kaspar] Cruciger und [Johannes]Bugenhagen.