Heinrich-Bullinger-Briefwechseledition, Universität Zürich © Heinrich Bullinger-Stiftung Arpa Bibliothek Textbreite Schriftgröße

[2493]

Bullinger
an Ambrosius Blarer
[Zürich],
10. Juli 1546

Autograph: St. Gallen Kantonsbibliothek (Vadiana), Ms 35 (VBS VI), 159 (Siegelspur)

Teildruck und zusammenfassende Übersetzung: Blarer BW II 468f, Nr. 1310

Seit Bullingers letztem Brief [Nr. 2487] wollten ungefähr 2 '000 Mann, darunter viele Ehrbare, Reiche und auch Greise, aus Stadt und Landschaft Zürich nach Konstanz ziehen, [um den Schmalkaldenern zu Hilfe zu eilen], so dass es den Zürchern an [Verteidigungskraften]fehlen könnte. Deshalb ließ gestern Abend die Zürcher Obrigkeit die Stadttore schließen und wies auch die Gemeinden am [Zürich]see zum Stillsitzen an. Heute ging auf der [Zürcher] Ratsund Bürgerversammlung ein Schreiben aus Baden ein, aus dem man erfuhr, dass die Neun Orte vorhätten, nach [Deutschland] zu schreiben und die Rückkehr der bereits aufgebrochenen [Söldner] zu verlangen. Die Orte schrieben diesbezüglich auch dem Zürcher Rat. An der Versammlung beschloss man aber, niemanden zurückzurufen und die Söldner auch nicht zu strafen. Ferner sollen die sich [auf der Badener Tagsatzung befindlichen] Gesandten [Itelhans Thumysen und Johannes Haab] bemühen, die Neun Orte von ihrer Forderung abzubringen. Die Zürcher wollen keinesfalls die [protestantischen] Reichsstädte im Stich lassen. Da sie jedoch der Meinung sind, dass die [Schmalkaldener] nun genügend Kriegsknechte haben, wird man morgen in allen Kirchen der Stadt und der Landschaft die Bevölkerung zum Stillsitzen aufrufen und zu einem etwaigen Schutz des Landes verpflichten. Die Zürcher sind den [Schmalkaldenern] nie so wohlgesinnt gewesen wie jetzt. Die Basler schrieben, dass über 800 Italiener, die im Dienst von König [Heinrich VIII.] von England gestanden hatten, durch die Eidgenossenschaft nach Hause ziehen wollen. Die Zürcher antworteten, man solle sie nicht durchziehen lassen. Die Zürcher Gesandten [in Baden]melden, dass die Boten [des Schmalkaldischen Bundes] aus Württemberg, Straßburg und Konstanz gestern eingetroffen sind und heute angehört werden. Gesandte von Kaiser [Karl V.] und Papst [Paul III.]sind ebenfalls da und nehmen Bestechungen vor. [Hans Rych], den Überbringer des vorliegenden Schreibens, hat Bullinger einen halben Tag lang aufgehalten, um Blarer alles genau mitteilen zu können. Blarer soll öfter als bisher schreiben. Was gibt es denn Neues aus Sachsen, Hessen, Dänemark und Köln?

26 An der Tagsatzung, die am 5. Juli begonnen hatte; s. Nr. 2474,1-4 und Anm. 6.
27 Siehe Nr. 2489, Anm. 33.
28 Bote (unbekannt).
29 zurückzurufen.
30 Vgl. Nr. 2489,25f.
31 Dieser Brief wurde Bullinger durch Heinrich Stapfer am 12. Juli übergeben; s. Nr. 2496,30-32.


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Fürgeliepter herr und brüder. Sid ich den letsten brieff 1 beschlossen, kompt so vil kundtschafft, das wir eigentlich 2 vernommen, das in die 2'000 man uß miner herren land 3 uffbrächen wöllen und in rüstung xin 4 , hinauß gen Constantz ze ziechen, dann alle wällt willig ist. 5 Daruff habend noch nächt 6 min herren der statt thor belegt und verwaret, deßglich offen brieff an see 7 hinuff 8 gesandt, still ze sin. Dann wo man nitt darzu than, werend wir blooßgelegt. 9 Und sind vil gar eerlicher, rycher, dappffer, allter, grawer 10 lüt in der faart 11 xin.

Hütt dato hatt man rädt und burger gehept 12 von der sach ze reden. Da kumpt sunst 13 ouch von Baden schryben, 14 das die 9 ort (die üch, wie ir wüssend, zügeschriben)15 trachtend, die zu üch gelouffen, abzemanen 16 , das sy ouch minen herren zugeschriben. 17 Daruff habend sich rat und burger einhällig erkendt, nieman abzemanen, sunder, die zum rych gelouffen, blyben ze lassen und inen die hüser nitt ze schliessen, 18 wie die satzung vermag 19 , ouch zu schryben den botten 20 , das sy daran syend, das a sy, die 9 ort a , des abmanens abstandint, etc., dann Zürych werde und wölle den rychstetten 21 in keinen wäg abstan 22 . So hat man sich erkent 23 , diewyl man acht 24 , ir habind nun mee knächten gnug 25 , das man morn 26 in allen kylchen zu statt und land alles volck by eer und eyd manen wirt, imm land ze blyben und nitt wyter ze louffen, sunder uff min herren zu warten 27 zu schirm des lands, und

a-a am Rande nachgetragen.
1 Wohl Brief Nr. 2487 vom 4. Juli.
2 genau, sicher.
3 Stadt und Landschaft Zürich.
4 gewesen sind.
5 Zu verstehen: den Schmalkaldenern zu Hilfe zu eilen.
6 gestern abend.
7 Zürichsee.
8 nach Süden.
9 Die Zürcher fürchteten also, dass es ihnen an Verteidigungskräften fehlen könnte. — Siehe ferner unten Z. 17-21 und Nr. 2494,52-55.
10 ergrauter.
11 in der faart: bei dem Kriegszug. 12 radt und burger gehept: eine Versammlung von Rat und Bürgern abgehalten. — Der hier mitgeteilte Beschluss wurde jedoch bereits einige Tage früher gefasst; vgl. Nr. 2494,43-52. 55-58.
13 außerdem; s. SI VII 1378.
14 Gemeint ist der Brief von Itelhans Thumysen und Johannes Haab (den Zürcher Abgeordneten an der Tagsatzung zu Baden) an den Rat zu Zürich, 7. Juli (Zürich StA, A 227/1, Nr. 75), der jedoch schon früher eingetroffen war. Hier vereinfacht
Bullinger erneut die Erzählung, so dass der Leser meinen könnte (vgl. nämlich unten Z. 29f), dass die hier aus Baden gemeldeten Nachrichten nur aus einem Brief stammten. In seinem Schreiben an Haller ist er diesbezüglich ausführlicher; vgl. Nr. 2494,34-41. 66-68.
15 Unbekannter Brief; vgl. Nr. 2494,37-40.
16 zurückzurufen.
17 Vgl. Nr. 2494,41-43.
18 Vgl. Nr. 2494,55-58.
19 wie die satzung vermag: wie das Gesetz es veranlasst.
20 Thumysen und Haab; s. oben Anm. 14.
21 Den protestantischen Reichsstädten.
22 den rychstetten ... abstan: von den Reichsstädten ... abfallen.
23 sich erkent: geurteilt, beschlossen.
24 meint.
25 mee knächten gndg: mehr als genügend Söldner.
26 Das Mandat trägt das Datum des 11. Juli 1546: "Das nieman zu Reiss züchen, sondern uff min Herren warten solle"; s. Schott-Volm 2 777, Nr. 243.
27 zu warten: zu Diensten stehen.


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was 28 min herren nöt anstieß, das jederman gerüst sye, etc. Und das sag ich üch in der warheit, das ich in Zürich [nie]b sömliche einigheit und güt hertz gen üch nie gesähen 29 hab. Es ist nun [gar] kein spaan. Trüw, es bedüt guts. [Ir]c söllend üch gwüßlich alles guts zu [uns] versähen 30 .

Demnach 31 alls Basel heruffgeschriben, 32 es zühind heruff 33 800 knächt Italier, die bim könig uß Engelland gelägen, begärind durch die eydgnoschafft in Italiam, ||159v, ein herren 34 zu suchen, etc., schrybend min herren, das sy die nütt durchzechen la[s]sind", sunder hinder sich wysind, 35 etc.

Wyter zeigend unser botten, 36 das gester kummen syend des rychs potten, Wirtemberg, Straßburg, Constantz. 37 Hüt hört man sy. Der keyser 38 und bapst 39 sind gantz gwalltig da. 40 Gäbend redlich, 41 e[t]c. Gott wolle es zu gütem schicken.

Disen botten 42 hab ich ein halben tag uffgehept 43 , das ich üch den räch[ten] grund schryben könde, und dem al[le]m ist gewüß also. Lieber, schribend mee, dann ir thund. Mich belangt übel. 44 Was habend ir von unden 45 heruff uß Sa[chs]en, Hessen, Dennmarck, etc., Cö[l]n?

Gott mitt üch. 11. antemeridian[a], 10. julji anno 1446. In grosser yl.

Bullinger.

[Adresse darunter:] Sinem fürgeliepten herren und brüder m. Ambrosien Blaureren, predicanten zu Constantz.

b Hier und unten Text durch Wasserschaden unlesbar. Ergänzt anhand einer Kopie aus dem 17. Jh. (Zürich ZB, Ms F 43, f 122r./v.).
c Der große Wortabstand lässt vermuten, dass vor söllend noch ein heute nicht mehr erkennbares Wort gestanden hat, das auch in der Abschrift aus dem 17. Jh. nicht verzeichnet wurde.
d Hier und unten Papierschaden am rechten Rand.
28 wenn es.
29 nie ... nie gesähen: nie gesehen.
30 zu [uns] versähen: von uns erwarten.
31 Daraufhin; s. SI IV 638f.
32 Gemeint ist der Brief von Theodor Brand und dem Rat von Basel an den Rat von Zürich, 7. Juli 1546 (Zürich StA, A 227/1, Nr. 74).
33 nach Süden.
34 Gemeint ist wohl ein Heerführer.
35 Zu diesem Brief s. Nr. 2494, Anm. 68.
36 Im Brief von Thumysen und Hub an den Rat von Zürich, 9. Juli 1546 (Zürich StA, A 227/1, Nr. 76).
37 Zu deren Namen s. Nr. 2486, Anm. 27. Anm. 28 und Anm. 29.
38 Karl V.
39 Paul III.
40 In Person der Gesandten Jean Mouchet
für den Kaiser (s. Nr. 2484, Anm. 26) sowie des Nuntius Girolamo Franco und seines Begleiters Albert Rosin für den Papst (s. Nr. 2494, Anm. 55). — Zu den Gesandten des Papstes s. die biographischen Abhandlungen in: Akten über die diplomatischen Beziehungen der römischen Curie zu der Schweiz 1512-1552, hg. von Caspar Wirt. Basel 1895, S. XXVIII-XXXIV.
41 Gemeint ist, dass sie zu Bestechungspraktiken greifen.
42 Hans Rych von Rapperswil; s. Nr. 2496,1-15.
43 aufgehalten.
44 Mich belangt übel: Ich habe großes Verlangen [danach].
45 Norden.