Heinrich-Bullinger-Briefwechseledition, Universität Zürich © Heinrich Bullinger-Stiftung Arpa Bibliothek Textbreite Schriftgröße

[3037]

Ambrosius Blarer
an Bullinger
Konstanz,
10. Oktober 1547

Autograph: Zürich StA, E II 338, 1422 (Siegelspur) Teildruck und zusammenfassende Übersetzung: Blarer BW II 662f, Nr. 1482

[1] Blarer hofft, dass Bullinger seinen Brief [Nr. 3031] erhalten hat. Erst gestern Abend empfing er Bullingers Brief [Nr. 3014] (den eigentlich der junge Pfarrer von [Lang]rickenbach [Johannes Gisling] hätte überbringen sollen) aus der Hand eines Metzgers [...]. Einer Antwort bedurfte es lediglich bezüglich Bullingers Frage zum Inhalt der von Blarer an Graf Georg von Würtremberg-Mömpelgard mitgeteilten Nachricht. Da diese aber unterdessen allgemein

c Danach folgt ein Einfügezeichen. Aus den gleichen Gründen wie oben. in Anm. (a) ist der entsprechende Text nicht mehr zu sehen.
8 Haller wurde 1523 in Amsoldingen (Kt. Bern) geboren, lebte aber seit seinem zweiten Lebensjahr in Stadt und Landschaft Zürich; s. HBBW X 72, Anm. 9.
9 Gemeint sind (in Anlehnung an Phil 3, 18) Beat Gering und Simon Sulzer, die Anhänger der bucerisch-lutherisch orientierten Partei in Bern, die schon Ende 1546 die Berufung von Jodocus Kilchmeyer nach Bern zu verhindern versucht hatten. - Ihren Eid, nicht gegen die Berner Disputation zu handeln, legten sie am
6. Dezember 1546 ab und hielten ihn in dem am 25. Mai 1546 auf Beschluss des Großen Rates (s. Hundeshagen 199) angelegten Berner Prädikantenrodel schriftlich fest: s. Bern StA, B III 21, f. 6r., Nr. 30. 31.
10 In Kilchmeyers nächstem Brief Nr. 3056 kam es nicht dazu. Dass es dazwischen keinen anderen Brief mehr gab, geht aus Nr. 3056,1-12, hervor.
11 Das Großmünsterstift.


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bekannt ist, braucht Blarer sie hier nicht zu wiederholen. -[2]Philipp Melanchthon ist in Wittenberg und wird nicht nach Tübingen übersiedeln. Auch eine Berufung nach Leipzig hat er ausgeschlagen. Sollte aber der junge Kurfürst in Weimar [Herzog Johann Friedrich II. der Mittlere von Sachsen] eine neue Schule einrichten, wäre er geneigt, dahin zu gehen. -[3] Zwei Personen aus dein Umfeld König Ferdinands I., die neulich in Konstanz waren, erzählten, dass 18'000 Italiener für einen Feldzug gegen Konstanz und die Eidgenossen bereitgestellt würden. Das stand auch in einem Brief der aus München nach Konstanz an einen vornehmen Mann [...]geschrieben wurde. Der Kriegszug gegen die Eidgenossen sei für das kommende Frühjahr geplant. -[4] Über das Anliegen der Gesandtschaft [Louis Daugerant, Seigneur de Boisrigaut]König Heinrichs II. von Frankreich wird Bullinger mehr als Blarer wissen. Ailes deutet daraufhin, dass der König von Frankreich und Kaiser Karl V. sich einig sind. Es scheint auch, dass der König vorhat, den unter seinem Vater Franz I. in Ungnade gefallenen Connétable Anne de Montmorency zu rehabilitieren, und man weiß ja, dass dieser aufseiten des Kaisers steht. - [5]Bullinger soll für die sich in einer äußerst verzwickten Situation befindlichen Konstanzer unablässig beten. Überall herrschen Betrug, List und Verrat, und nur bei Gott gibt es Sicherheit. Würden doch die Mahnworte der Pfarrer zur Bußbereitschaft etwas nützen! Denn ohne diese ist jegliches menschliche Bemühen vergebens, ja sogar schädlich. Blarer und andere sind zum Schluss gekommen, dass die Welt lieber alles andere tut, als sich Gedanken über eine christliche Lebensführung zu machen, weshalb allen klugen Menschen klar ist, dass die Welt ihrem Ende, ja sogar ihrem baldigen Ende entgegengeht. Christus möge die kleine Schar seiner Gefolgsleute bewahren! Segenswunsch. -[6]Gruß an Bullingers Hauswesen, an die Kollegen und Freunde. Grüße von allen, besonders von Blarers Bruder Thomas und von Konrad Zwick.

Lieber herr und brüder, ich hab euch letstlich diß tag geschriben 1 . Hoffen, euch worden sein. So ist mir erst gestert ain schreiben von euch 2 kommen, welchs mir der jung pfarrer von Rickenbach 3 sollt überantwurt haben, und ers aber ainem metzger 4 zugestellt, von dem ichs erst auff necht 5 empfangen, und nichts zu verantwurten 6 darinn gefunden hab, dann 7 grauff Jörgen 8 halber, und was ich ime geschriben; 9 des ir aber nunmehr 10 , waiß ich wol, on das 11 bericht, dann 12 es nun landsmär 13 sind.

Philippi 14 halber ist nichts mitt Tubingen. Er kompt nitt dahein. Ist zu Wittenberg. Hat sich um Lypsigk 15 nitt wellen annemmen. Aber so 16 der jung churfürst 17 zu Weynmar ain schul 18 wurde anrichten wellen, wurde er belyben 19 .

1 Mit Brief Nr. 3031 vom 4. Oktober.
2 Gemeint ist Bullingers Brief Nr. 3014 vom 16. September, wie u.a. aus der Erwähnung des Grafen Georg von Württemberg in unten Z. 5f hervorgeht. Vgl. nämlich Nr. 3014,1-3.
3 Johannes Gisling, Pfarrer von Langrickenbach (Thurgau); s. HBBW XIX 435, Anm. 30.
4 Unbekannt.
5 auff necht: am Vorabend.
6 beantworten.
7 außer.
8 Georg von Württemberg-Mömpelgard.
9 Vgl. Nr. 3014,6-8.
10 schon.
11 on das: ohnehin.
12 weil.
13 allgemeines Gerede; s. SI IV 361; Fischer IV 963.
14 Philipp Melanchthon. - In Anspielung auf Nr. 3014,3-5.
15 Kurfürst Moritz von Sachsen hatte Melanchthon eine Stelle an der Universität Leipzig angeboten, die er ablehnte; s. Scheible, Wittenberg 272.
16 wenn.
17 Herzog Johann Friedrich II. der Mittlere (geb. 1529). einer der Söhne des gefangenen Kurfürsten Johann Friedrich von


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Sonders waiß ich euch nichts ze schreiben, das gewiss seye. Dann es sind wol diß tag zwen hie gewesen, kommend vom könig sagend, es solle ain frisch welsch 21 volck herausß gemacht 22 werden, 18'000, wider unß und die aidgnossen. Derglichen wirt ouch hieher ainem fürnemen mann 23 usß Mynchen geschriben. Dem stymmend auch etlich andere schriben zu Es solle gewisß uff kunfftigen früling etwas wider euch fürgenomen werden.

Das des Frantzosen 24 bottschafft 25 umher reyt von ort zu ort, und was sein werbung seye, wisst ir mich vyl baß 26 dann ich euch gruntlich und wol ze berichten. Es will allenthalb her 27 zusamen stymmen, das er und kaiser 28 im grund wol ains seyen. Und hat man des ettlich coniecturas 29 , das der alt constestabel 30 , der von dem alten konig abgestossen, yetzund von dem jungen gar widerum zu gnaden uffgenommen worden und an sein ampt kommen, der aber gantz und gar güt kaiserisch ist, wie ir dann selbs wol wisst.

Sachsen. Er residierte damals in Weimar und hatte seit der Gefangennahme seines Vaters die Verwaltung der ernestinischen Länder inne.
18 Damals plante man die Gründung einer Universität in einer der Städte Thüringens und wollte dafür Melanchthon als Lehrer gewinnen; s. MBW-T XVI 383, Nr. 4787; XVII 41f, Nr. 4801; Scheible, aaO, S. 263. Melanchthon begab sich deshalb vom 8. bis zum 13. Juli 1547 zu Gesprächen mit den Herzogen Johann Friedrich II. dem Mittleren und Johann Wilhelm von Sachsen nach Weimar; s. MBW-T XVI 385,[3], Nr. 4788; XVII 36-40, Nr. 4800; MBW-Reg X (Itinerarium) 579. Im September 1547 wurde beschlossen, die neue ernestinische Hochschule in Jena anzusiedeln; s. Philipp Walter, Universität und Landtag (1500- 1700), Wien, Köln und Weimar 2018, S. 74. Melanchthon war aber nicht wirklich geneigt, sich dorthin zu begeben; s. MBW-T XVII, Nr. 4792. 4801. 4803. 4929. 4967. 4977; Scheible, aaO, S. 275. Die Schule in Jena wurde am 19. März 1548 festlich eröffnet; s. Joachim Bauer, Von der Gründung einer Hohen Schule in "elenden und betrübten Zeiten", in: Dokumente zur Frühgeschichte der Universität Jena 1548 bis 1558, hg. y. Joachim Bauer, Dagmar Blaha und Helmut G. Walther, Weimar 2003, 5. 71.
19 (es) vorziehen; vgl. Grimm 11448.
20 Ferdinand I.
21 italienisches.
22 herausß gemacht: bereitgemacht: entsandt (vgl. Fischer III 1446) - nämlich aus Italien. Die gleiche Nachricht findet sich im Brief des Konstanzer Rats an den Zürcher Rat vom 8. Oktober (Zürich StA, A 205.2, Nr. 19).
23 Unbekannt.
24 König Heinrich II. von Frankreich.
25 Der französische Gesandte Louis Daugerant, Seigneur de Boisrigaut, war in Begleitung von Guillaume Du Plessis, sieur de Lyancourt, am 20. September 1547 vor dem Rat in Freiburg erschienen, wo sie u.a. um Unterstützung für die Erneuerung der Soldbündnisse baten, die König Franz I. von Frankreich seinerzeit mit der Eidgenossenschaft abgeschlossen hatte; s. EA IV/1d 854; Nr. 2976, Anm. 1. Boisrigaut sollte auch an der Tagsatzung zu Baden vom 22. November 1547 teilnehmen, auf der er die Eidgenossen vor dem Kaiser und dessen etwaigen Rüstungen gegen sie warnte und ihnen den Schutz des französischen Königs anbot: s. ebd., 888 x; 893 zu x.
26 besser.
27 allenthalb her: durchaus sehr; s. Fischer I 137 s.v. allenthalben; III 1435 s.v. her (I).
28 Karl V. -Vgl. Nr. 3023,3-5.
29 Vermutungen.
30 Der "connétable" Anne de Montmorency (1493-1567), der im Jahr 1541 bei König Franz I. in Ungnade gefallen war. - Zu dieser Amtsbezeichnung s. Stotz II 482, Nr. 180.10.


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Praeterea nihil prorsus habeo, quod scribam, nisi ut te rogem, ne tuis perpetuis et flagrantissimis interpellationibus apud dominum nobis desis, quo impeditas nostras rationes quamprimum et feliciter explicet et expediat. Omnia passim circumsepta sunt fraude, perfidia, proditionibus, nec usquam quicquam tutum, nisi quod a abunde tutus iam est, qui habitat in adiutorio altissimo 31 . Utinam possent aliquid nostri ad christianam penitentiam exhortationes, quandoquidem extra illam 32 non frustra solum sed magno nostro malo conamur, quicquid conamur. Et tamen ingenium mundi huius ita et multis et mihi comparatum videtur, ut quidvis citius quam aliam, hoc est dignam christianis hominibus vitam meditaturum videatur, quo sane fieri opportet, ut, qui exactius iudicant, nihil aliud nisi extremum illi 33 exitium, et id repentinum, imminere non immerito pronuncient. Christus nos, inter pusillum gregem 34 suum conscriptos, per omnia ista mala integros et recte sentientes et viventes conservet! In illo, mi anime, aeternum vive et vale!

Constantiae, 10. octobris 1547. Salveat tua domus cum omnibus symmystis et amicis nostris in domino. Nostri omnes, atque inter hos praecipue germanus frater 35 et Zviccius 36 , officiosissime te iubent salvere.

Tuus Ambr. Bl.

[Adresse auf der Rückseite:] D. Heinricho Bullingero, fratri suo in servatore Christo longe coniunctissimo. Zürich.