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Autograph: Zürich StA, E II 347, 3251. 331 (Siegelspur) Ungedruckt
Das lange Schweigen [der Berner]entspricht nicht etwa einer Säumigkeit oder Undankbarkeit,
sondern der Bemühung, sich dem Verdacht der Parteilichkeit oder eines listigen Hinarbeitens
auf einen Sturz der Gegenpartei zu entziehen; [die Berner]wissen außerdem, dass [die
Zürcher] über ihre Lage informiert sind, u.a. durch Andreas Rappenstein. Luthers [,,Kurtz
bekentnis"]haben sie von [den Zürchern]erhalten; es wird von vielen bedeutenden Personen
gelesen; jetzt hört man, dass auch die Gegner es bereits hatten; sie verteidigen es nämlich,
wenn sie darüber befragt werden; sie behaupten, es sei ja nicht so grob, auch wenn sie nicht
so sprechen wollten; Luthers Ruten sind also für sie Bisam; wie Juden [sind sie nicht] von
[Luthers Verwünschungen] in dessen "Saubuch" [betroffen]! Es wäre wünschenswert, dass
[die Zürcher]den [Bernern in einem Brief]vortragen würden, wie listig man unter dem Scheinbriefe_vol_14_609 arpa
einer Konkordie [mit den Eidgenossen]umgegangen ist, und wie deutlich man nun aus Luthers
[Schrift]ersieht, was "das etwas mehr" [in den Symbolen des Abendmahls]bedeutet; keiner
soll sich hinter dem Vorwand der Unwissenheit verbergen können. Sollten die [Zürcher solch
einen Brief nicht verfassen], werden die [Gegner]noch manche überreden, indem sie [Luthers
Schrift]relativieren, und viele beruhigen, indem sie zugeben, dass in [Bern]nicht so grob zu
reden sei; sobald dies nämlich eingeräumt ist, glauben die Leute, dass [die Gegner] mit der
[Berner]Disputation [von 1528] übereinstimmen, und dass die widersprechenden Stimmen
bloß Ausdruck des alten Haders sind, den man so satt hat; [Bullingers Brief wäre umso
wünschenswerter], da nicht alle dessen Antwort [auf Luther's Schrift] sogleich lesen oder
verstehen werden; die [Berner] -wie schon ersichtlich [1538]gegenüber Bucer und wiederum
am 5. Dezember 1544 - wollen von ihrer Disputation nicht abgehen. Gott möge [den Zürchern]
helfen, seine Wahrheit zu verteidigen. Das zugeschickte Exemplar [von Luthers Schrift]
behalten [die Berner] noch, damit es weiter gelesen werden kann, vielleicht sogar umso
effizienter mit der Zulage des [erbetenen Briefes]; solch böser Geist [wie der in Luthers
Schrift] lässt sich nämlich nur mit Ernst und Mut austreiben. [Bei seiner Antwort an Luther]
soll Bullinger nicht die sieben [bösen] Geister "In, unter und mit [dem Brot] ist mein Leib"
vergessen! Über das Marburger Gespräch ist Bucers Widmungsbrief zu Anfang seines Kommentars
zum Matthäus-Evangelium heranzuziehen.
G[nad] u[nd] f[rid].
Günstig lieb herren und brüder, wo unßer stillschwygen uß versumnuß, wir gschwygend uß undanckbarckeyt gschähen, were dassälb a nitt nur verwundrens, sunnder grosses bschältens 1 wärt, fürnämlich von üch, deren hilff nitt allein mitt stättem 2 für uns zu gott bätten, aber ouch mitt täthlicher wärbung 3 wir täglich wol empfindent, ouch zum höchsten danck erkennent mitt erbiettung deß widergeltens 4 , sowyt sich unser vermögen strecken möchte. Wir wend üch aber nitt verhalten unßers langschwygens ursach, und ist diße: Wir flyßend 5 uns zum höchsten, allen argwon deß parthyens und practizierens 6 von uns zeschupfen 7 , damitt wir nitt dem lesterer 8 in mund fallind 9 , samm 10 wir mitt listen unsre widerpart 11 understandint 12 zestürtzen, sunder das yederman ein einfalte, uffrechte warheyt by uns gespüre. Und wüssend darnebend wol, daß, wie ir uff uns und unßre kilchen (umb deß herren willen) flyßig wachend, das also ouch fromme sind, die üch unsers wolstands berichtend, sunderlich do in dißer handlung 13 bruder Andres Rappenstein 14 by uns gsin 15 und von stund an zu üch gwellen 16 etc.
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Bittend üch desßhalb, üwren flysß gägen uns nitt ze mindren imm schryben und täthlich ze fürderen, sunder meeren, ob wir glych darnebend 17 nitt zu allen malen antwortend, diewyl unßer vil schwygen geschicht 18 , wie yetz ghört.
Luthers büchlin 19 hent wir von üch empfangen 20 und hoffend zu b grossem nutz; denn es wirdt mitt grosser begird und ernst von vilen herren und ehrenlüten geleßen. Darnäbend vernimpt man yetz, das unsere widersacher solichs vorhin ghept 21 22 . Könnendts schon verglimpfen 23 , wo sy von besundren personen umb sölchen unverschempten fravel 24 deß Luthers anzogen 25 ; und sprächend, es sye dennocht nitt as ruch 26 27 , wie wol sy nitt alßo reden weltind etc. Summa, was nach Luthers rutten schmöckt, ist sinen schüleren und magistris byßem 28 , wie den Juden der schweyn dreck 29 ins Luthers süwbuch 30 .
Möchtend üch deßhalb gern anmutten 31 wo ir sunst , yetz nitt so schwerr mitt gschäfften beladen wärend, ir hettend ouch unßren gnädigen herren rädt und burgeren samenhafft 32 die untrüw schrifftlich fürtragen, die man so lange zyt mitt unß brucht under dem schyn einer concordi, 33 34 es syge Luther deß verstandts mitt uns eins; syge c unser widerstand nüt denn ein kyb 35 und worten zangg; item imm nachtmal werd nitt allein daß geystlich essen, daß glouben ist, erfordret: Es syge etwas mee; 36 etc.; das man einmal sähe, wie Luther das 'etwas mee sin' hie 37 ußhin gspuwen heyge 38 , unnd nitt hie allein, sunder in siner grossen bekantnuß 39 und vilen kinderbrichten 40 ; das ye die
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gleerten d mitt keinem glimpf 41 entrünnen mögint alß Luthers sach unwüssend, so 42 diesälb bißhar mitt 326 || undertruckung der warheyt und zu unßer aller grossem nachteyl vertädiget seygend 43 .
Denn wo das von üch nitt gschicht, 44 ist zu besorgen, sy 45 werdent noch fromm lüt chönnen bschwätzen, samm nitt so übel gfält, 46 wie wol in unser kilchen nitt so grob ze reden syge. 47 Denn so bald sy die groben wyß in irem reden ußschlyessend, wendt 48 der gmeyn man, es syge nund ein geystlichs essen und volgends allein glouben, ouch alßo dem wort gotts und ghaltner Disputatio 49 gmäß; das, wo wir darwider redent, wirdts geachtet 50 , es gschäch uß anfächtung und altem hader; so gar 51 ist ein kilch zu Bern deß zanggs nach so vil jaren verdrossen und müd! So mag ouch sunst nitt ein yettlicher üwer künfftige antwort 52 glych läßen 53 und noch vil minder verstan, wie denn leyder vil einfaltigs, ich mein unverstandes volk allenthalb 54 ist, und fürnämlich wo die warheyt in ein span kumpt. Aber so in kurtzen puncten und sölichen darzu versamleten der handel fürtragen, 55 wurde frylich mitt grosser frucht gscheen, sidtmal 56 ouch zu Zürich in byßin 57 Butzers der bott 58 von Bern antwort: "Unßre herren nitt eins fingers breyt wellen von iro Disputation wychen"; wie sy 59 denn ouch yetz, zum letsten amm 5. decembris 44. jar, abermals unsren span zerleyt 60 und erkent hend 61 wie ir , hie by 62 finden wärdent etc.
Zum letst wünschend wir üch göttliche hilff und bystand, die warheyt weydelich 63 zeerretten vor dem grußammen frävel, den Luther brucht. Wäg und ordnung ist nitt unßer üch anzezeygen, aber wol ernstliche fürbitt zethun e zum herren für üch, das ir sinem heyligen wortt und eehren gmäsß schrybend, für die, so üwre antwort läßen wärdent, das sy gmüte darzu bringendt yetz genemptem wort 64 und eehren gemäsß etc.
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Üwer uns zugschickt exemplar 65 wend wir üch nach bstimpter zyt flyssig wider schicken; wir müßend es untz dar noch wyter läßen lassen, ob villicht gott gnad gäb, das unsre gnädigen herren von üch sunderlich mitt gschrifft 66 deß falschs bericht 67 den sälben uß vorgendem läßen 68 dister baß 69 mercken möchtind; denn one grossen ernst und dapferkeyt wird sich dißer satan (transformatus in angelum lucis)70 nitt ußtryben lassen. 71
Datum Berne, 29. decembris 44.
Jo. Wäber, in unser beyder namen 72 . 331r.
|| Der syben geysten vergässend nitt: 73 Das 'In, under, mit dem ist min lyb' etc. 74
Von Marpurgischem colloquio 75 ist Butzer ein komlicher zügen 76 in epistola nuncupatoria ad academiam Marpurgensem etc. ab initio Enarrationum in evangelium Matthaei 77 .
[Adresse auf der Rückseite:] Fidelissimis ac vigilantissimis Christi ministris d. H[einrycho] Bull[ingero] et G[aspari] Megandro, Tiguri a contionibus sacris fratribus in Christo charissimis. mit dem jetzt [am 5. Dezember 1544]gegebenen Wort.