Heinrich-Bullinger-Briefwechseledition, Universität Zürich © Heinrich Bullinger-Stiftung Arpa Bibliothek Textbreite Schriftgröße

[2054]

[Ambrosius Blarer an
Bullinger]
Konstanz,
28. Dezember 1544

Autograph: Zürich StA, E II 357a, 602f. 608f. 604-607 (Brief). [1. Beilage:] 672. [2. Beilage:] 610 (Siegelspur auf f. 610v.) Teildruck und zusammenfassende Übersetzung: Blarer BW II 334-337, Nr. 1154

Neujahrswunsch. Will trotz überhandnehmender Arbeit sofort auf Bullingers Brief antworten und den Boten [...]nicht warten lassen. Freut sich, dass Bullinger an seiner treuen Gesinnung der Kirche und den Zürchern gegenüber nicht zweifelt. Freut sich auch über die Nachricht, dass die Eidgenossen einig sind; mögen diese allein auf Gott, die feste Burg, zählen. Die Gerüchte über Frankreich sollten die [Eidgenossen] nicht beachten; vertrauen sie auf Gott, wird die Welt ihnen nicht schaden. Ob [der Konstanzer Rat] durch die Anlage eines Vorrats von Mehl, Korn und anderem Notwendigen noch ein weiteres Ziel verfolgt, weiß Blarer nicht. Über die Zuvorkommenheit des Kaisers Konstanz gegenüber weiß Blarer nicht mehr, als was man auf den Gassen hört, nämlich dass der [Konstanzer] Gesandte [Hieronymus Hürus], der zum Kaiser nach Frankreich ritt, vom Vizekanzler [Johann von Naves]günstig aufgenommen wurde. Ähnliches erwirkte der Gesandte [Ludwig Kürnstaller]bei König [Ferdinand I.]; demzufolge haben der Generaleinnehmer [Hans Lochinger] und der Fiskal [Valentin Gottfried] die Forderungen an [Konstanz] bis zur Ankunft des Kaisers in Worms eingestellt, so dass [Konstanz] bisher weder den "Gemeinen Pfennig" noch die vergangene Anlage [zur Finanzierung des Krieges] gegen Frankreich bezahlte. Blarer hörte, dass vornehme kaiserliche Regenten [...][Konstanz] ihre Hilfe anbieten und dass K[onrad] Zwick zum Reichstag abgeordnet wird; dies sind Anzeichen dafür, dass Konstanz sich beim Kaiser um Gnade bemüht. Würde der Kaiser einen Angriff gegen die Eidgenossen planen, würde er sich den Konstanzern gegenüber nicht so zuvorkommend erweisen, sondern diese zum Gehorsam zwingen. Die Ansicht, dass die Konstanzer ihre Lage verschlimmern würden, falls sie den Krieg [des Kaisers gegen die Eidgenossen] unterstützen, teilt auch Blarer; durch vertraute Ratsherren weiß Blarer aber, dass [Konstanz] nicht zu einem Krieg, sondern zu einem christlichen Frieden neigt. Doch Gott allein weiß, wie der [Konstanzer]Rat auf Verheißungen und Drohungen [von Seiten des Kaisers]reagieren wird; deshalb kann man nichts Besseres tun, als Gott zu bitten, er möge [Konstanz] den Geist der Weisheit verleihen. Über das [eidgenössische] Vorhaben [eines Bündnisses mit Konstanz] hat Blarer noch mit niemandem gesprochen (zumal neue Räte bald ihr Amt antreten werden), so dass er weder die Zürcher beraten kann, noch wüsste, was von den [Konstanzern] zu erlangen wäre; vielleicht sollten die Zürcher (allein oder mit den anderen Eidgenossen) dem Geheimen Rat oder dem ab kommendem [6. Januar 1545] amtierenden Bürgermeister [Thomas Blarer] schreiben und diese bitten, sie mögen sich [vom Kaiser] nicht gegen die Eidgenossen aufhetzen lassen; aus deren Antwort wäre Weiteres über [Konstanz'] Einstellung [den Eidgenossen gegenüber] zu erfahren; Blarer kann auch Bullingers Brief seinem Bruder [Thomas] und anderen Vertrauten zeigen. Würde Blarer die Stadt regieren, könnte er hinsichtlich der gegenwärtigen Lage die Schließung eines Bündnisses zwischen Konstanz und den Eidgenossen nicht befürworten, auch wenn er gegenüber einem solchen positiv eingestellt ist. Was soll nun Konstanz tun? Falls [die Stadt Konstanz] die Angebote beider Seiten ignoriert, kommt ihr nichts zugute; schließt sie sich dem Kaiser an, verliert sie ihre Freiheit; verbündet sie sich mit den Eidgenossen, droht ihr große Gefahr, ohne dass sie daraus richtige Vorteile hätte. Bis jetzt haben die [Eidgenossen] weder zur rechten Zeit noch auf geeignete Weise Konstanz ihr Bündnis angeboten, so dass man schlussfolgern muss, dass dies Gottes Wille nicht entsprach; in der Vergangenheit zeigte Blarer Bullinger schriftlich und mündlich an, wie [die Eidgenossen] diesbezüglich zu handeln hätten; doch wurden seine geeigneten Ratschläge nicht befolgt. Auf den Dreikönigstag [6. Januar] ist ein allgemeiner


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Städtetag aller Frei- und Reichsstädte in Ulm angesetzt; die Eidgenossen sollten den Gesandten zu diesem Tag schriftlich mitteilen, sie hätten vernommen, dass die Reichsstände Krieg gegen sie führen wollten, da etliche Eidgenossen die Reichssteuer (zu der sie angesichts ihrer Freiheiten nicht verpflichtet sind) nicht bezahlen wollen; deshalb ihre Bitte, die Reichsstädte mögen sich zu einer Handlung gegen die Eidgenossenschaft nicht bewegen lassen. Aus der Antwort (falls eine solche zu Stande käme) oder dem Schweigen der Reichstädte wüssten die Eidgenossen, wonach sie sich zu richten haben. Bullinger wird wohl Blarers Ratschläge vertraulich behandeln. [Gian Giacomo de' Medici], [Herr] von Musso, soll sich heimlich beim [Konstanzer]Bischof [Johann von Weeze] in Meersburg aufgehalten haben; er hätte empfohlen, Spanier und Italiener [als Söldner] anzuwerben. Christus möge seinen Schutz verleihen. Neujahrswünsche an Bürgermeister [Johannes Haab und Hans Rudolf Lavater]. [1. Beilage:] Empfiehlt [Konrad Zwick]Bullingers Gebeten an; Zwick wird auf dem Reichstag sowohl von [Ferdinand I.] als von [Philipp von Hessen] wegen [seiner Kriegskunst] unter Druck gesetzt; wird er standhaft bleiben? Grüße und Neujahrswünsche. [2. Beilage:] Hätten [die Zürcher] den Rat Blarers befolgt, bestünde nun [ein Bündnis zwischen Konstanz und den Eidgenossen], das den Wünschen Bullingers und Blarers entspräche; die Pläne Ferdinands und anderer Herrscher wären misslungen; die Konstanzer hätten nicht Kaiser und König um einen Nachlass der Reichssteuer angesucht, noch hätten sie Vertreter wie [Konrad Zwick]auf den Reichstag abordnen müssen; sie wären der kaiserlichen Gnade gegenüber nicht verpflichtet, und um so weniger hätte man mit [Konrad Zwick über seine Kriegskunst] verhandeln können.

Gnad und frid durch Christum von gott sampt wunschung aines gnadreychen, gottgefelligen jars 1 mitt allem guten nach lyb und sel euch und den eweren, darzu mein gantz christlich brüderlich trüw und lieb stät und ewig zuvoran.

Sonders hertzgeliepter herr und bruder, uff ewer schreiben 2 hab ich diß nachgend antwurt in der eyl geben wellen, damitt ich ewern gesandten 3 nitt uffhielte, wie dann sonst diser zeyt, da ich warlich mitt predigen und vyl obligenden geschefften beschwert byn, hette beschechen müssen.

Erstlich fröwt mich gantz und mehr dann wol, das ir an meiner treuwen liebe gegen euch und den ewern nitt zwyfflend; dann gewisslich stat min hertz allso, das ich der kirchen Christi uffgang 4 und erweyterung by euch und allenthalben und dann sonst ouch ewer zeytliche 5 wolfart gern sechen und meines besten vermögens furderen wellt, wie ich dann ewerhalb hinwider des gegen mir und den unseren in meinem hertzen gantz versichert byn. Der herr bestät 6 alles guts.

Zum andern hör ich gern, das die aidgnossen wol mittainander ainig sind. 7 Gott welle, das söliche ainikait uff ainen rechten grund und felsen gebauwen seye, damit sy zur zeyt des grossen ungewitters nitt umgestossen werde, 8

1 In Konstanz wie in Zürich wurde der 25. Dezember als Jahresanfang betrachtet, auch wenn wie hier (in Anlehnung an den immer häufigeren Brauch u.a. in der kaiserlichen Kanzlei, die Jahresangabe erst am 1. Januar zu ändern) die Jahreszahl stets mit 1544 angegeben wird.
2 Nicht erhalten. Es muss zwischen dem 21.
und 23. Dezember 1544 verfasst worden sein; s. unten Anm. 61.
3 Unbekannt.
4 Gedeihen; Wachsen, Zunehmen.
5 irdische (im Gegensatz zur ewigen).
6 festige; vollführe.
7 Vgl. oben Nr. 2041, Anm. 29.
8 Mt 7, 24-27 par.


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und wir nitt (wie vorhein 9 mehr beschechen ist) erfarind, das wider gottes furgenomne strauff und zuchtigung weder starck gebüw, 10 grosse macht, 11 ||603 überflüssige rychtumb, 12 vyle des volcks noch desselben ainhellikait, 13 und in summa nichts menschlichs one gottes huld und gunst helffen möge noch werde. 14 Welche aber sich in creutz und widerwertikait 15 gottes huld getrösten mögen, das ist offenbar. Wa nun ir 16 der selbigen sind 17 oder noch werden, so wirt gott on zwyfel ewer veste burg, 18 schutzer und schirmer 19 sein, ob sich glich ouch die gantz wellt wider euch auffböumte; 20 dann uber sein werck, so wir yetzund sein werck worden sind, 21 wirt des herren gnad und a ein erbarmbd gewisslich walten; 22 daran ists alles und allain gelegen, das wir unß selbs nitt unrecht verwänind 23 .

Zum dritten der reden, so des konig uss Franck[ry]ch 24 und vorab ewerhalb hin und wider gehört werden, 25 sollen ir nitt hoch achten; man muß die leut reden lassen, diewyl es die genß, wie man sagt, nitt konnen 26 . Des ist allain fürnemlich warzenemmen, haben ir von gott billiche 27 strauff verschuldt, so sind ir derselbigen aigne verursacher, wa ir euch nitt bald zu gott bekerend; standend ir aber mitt gott woll inn, so wirt euch die klapperwellt 28 weder mitt iren blutigen anschlegen, 29 umtzin; 30 geschwetz und tröwen, 31 noch auch mitt der thatt schaden mögen, sonder ir selbs ain grub graben, darin sy fallen muß 32 .

Zum vierden des mäls 33 halben kan ich euch kam andern beschaid schreiben, dann das ich yetz mermals verstanden, das mine herren ||608 sich mitt korn, mäl und anderer notturfft versechend; 34 ob aber solichs zu ainem anderen

a Nach und gestrichenes und.
9 früher.
10 Vgl. Gen 11.
11 Vgl. Dan 2, 21; 4, 35.
12 Vgl. Spr 11, 4.
13 Vgl. Ri 6f.
14 Ps 127 (Vulg. 126), 1.
15 Not.
16 Die Eidgenossen.
17 Zu verstehen: Seid ihr Teil dieser, [die durch Gottes Huld getröstet werden].
18 Ps 18 (Vulg. 17), 3; 46 (Vulg. 45); Spr 18, 10.
19 Ps 32 (Vulg. 31), 7; 91 (Vulg. 90), 4.
20 Deutliche Anspielung auf die 3. Strophe von Luthers 1529 geschriebenem Lied "Eine feste Burg ist unser Gott".
21 Eph 2, 10.
22 Ps 103 (Vulg. 102), 11. 13.
23 glauben machen, einreden; vgl. auch unten Nr. 2056, 35.
24 Franz I.
25 Vgl. oben Nr. 2044, 65-71; 2041, 30f. 52.
26 Wander III 82, Nr. 866.
27 zu Recht.
28 schwatzhafte Welt. - Das Wort scheint sonst nicht belegt zu sein (s. Anderson/Goebel/Reichmann VIII/3 1027 §2); vgl. etwa Wander II 1366.
29 Vorhaben, Plänen.
30 Verspotten.
31 Drohungen.
32 Ps 7, 16; 57 (Vulg. 6), 7; Spr 26, 27; Pred 10, 8. -Vgl. auch Wander II 153f.
33 Mehls; s. folgende Anm.
34 Am 15. November 1544 hatte der Konstanzer Stadtrat eine Weisung erlassen, nach der sich die Zünfte und gemeinen Ämter mit Korn und zusätzlichen Vorräten versorgen sollten; s. Christoph Heiermann, Die Gesellschaft "Zur Katz" in Konstanz. Ein Beitrag zur Geschichte der Geschlechtergesellschaften in Spätmittelalter und früher Neuzeit, Stuttgart 1999. - Konstanzer Geschichts- und Rechtsquellen.


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end, dann zu irer aignen versorgnuß und bewarung geschäche, mag ich warlich nit wissen.

Zum funfften von wegen der vertröstungen, so kai. mt. 35 diser statt thain 36 soll etc., hab ich usserhalb dem, so ich uff der gassen hör und selbs mutmasen mag, kain wissen; dann mitt den räthen red ich diser sachen halb gar nichts. Es ist aber yedoch war, wie ich vernommen, das meiner herren gesandter 37 , so dann zu der kaiserlichen mt. in Franckrich hat reyten sollen, von ir mt. vicecantzler 38 underwegen 39 gunstigklich gehört und mitt gutem bschaid 40 widerum hinder sich 41 gewisen ist worden.

Item das der ander gesandt 42 by der konigklichen mt. 43 ouch genedige antwurt und sonderlich diß erlangt hat, das der gemain innemmer 44 und fiscal 45 gegen meinen herren byß uff kai. mt. zukunfft gen Wurmbs 46 stillston sollend, wie dann sölichs geschicht. Und haben mine herren noch biß her weder ain gemainen pfennig 47 noch der vergangnen anlag wider Franckreich 48 nichts erlegt. 49

So hör ich, das ettlich furnem kaiserlich regenten 50 meinen herren gantz freundlich zuschreibend 51 und empieten sich, sy in irem anligen by der kai. mt. gern zu furderen etc. Zu dem ist min l[ieber] v[etter] C[onrad] Zwick uff den rychstag verordnet, 52 wiewol er noch nitt verritten; welchs mir ouch ain anzögung gibt, das mine herren sich by dem kaiser gnaden versechend; 609 || dann vorhin haben sy ettliche mal ungern und ettliche gar nitt geschickt.

Aber diß alles hindan gesetzt, so ist doch wol zu gedencken, wa die kai. mt. in etwas vorhaben stoll sollt wider die aidgnossen, ir majestät wurde on allen zwyfel sich gegen der statt Costantz kainer ungnad annemmen 53 , sonder,

NF der Konstanzer Stadtrechtsquellen 37, S. 171. -Zur damaligen Knappheit in der Gegend s. oben Nr. 2046, 51-53; EA IV/1d 422 q. 433f a. 445 b.
35 Karl V.
36 tun.
37 Hieronymus Hürus (Hyrus), laut dem unten in Anm. 40 angeführten Brief; s. auch Konstanz, Stadtarchiv, G I, Ref. A., Fasz. 23, Nr. 21, f. 299r.; Nr. 24, f. 306r. -Hürus war von 1544 bis 1560 Rat von Konstanz. 1548 Mitglied der Gesellschaft "Zur Katz". Vermählung mit Anna Zilli; s. Kindler von Knobloch II 185.
38 Johann von Naves.
39 auf dem Wege.
40 Der Brief von Johann von Naves an Rat und Bürgermeister von Konstanz datiert vom 5. September 1544; s. Konstanz, Stadtarchiv, G I, Ref. A., Fasz. 23, Nr. 20, f. 294.
41 zurück.
42 Ludwig Kürnstaller; s. oben Nr. 2041, Anm. 3.
43 König Ferdinand I.
44 Hans Lochinger; s. oben 2041, Anm. 40.
45 Valentin Gottfried; s. oben 2041, Anm. 18.
46 Worms; auf dem kommenden Reichstag.
47 Der "Gemeine Pfennig" zur Finanzierung des Türkenzuges, welcher in Speyer dem Kaiser von den Ständen zugesprochen wurde; Nr. 1878, 1-6 mit Anm. 7; RTA JR XV/1 66, Anm. 62.
48 Die ebenfalls in Speyer bewilligte Finanzierung des Krieges gegen Frankreich; s. oben Nr. 1878, 3f und ebd., Anm. 7; RTA JR XV/1 66, Anm. 61. 119-127; RTA JR XV/3 941f und passim.
49 Vgl. oben Nr. 2041, 42-49 mit Anm. 38.
50 Unbekannt.
51 Nicht ermittelt.
52 Vgl. oben Nr. 2041 mit Anm. 7.
53 kainer ungnad annemmen: nicht feindlich erweisen; hier mit Bezug auf die Unfähigkeit


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wie ir schreiben, durch alle mögliche mittel underston, die selbigen im anhengig zemachen etc.

Waß aber minen herren uss sölichem, wa sy sich des kriegs tailhafftig machen wurden, nachtailigs und verderplichs im end ervolgen wurde, das haben ir in ewerm schreiben ordenlich erzelt. Und ich hab mermal etwan in geselligen gsprächen verstendige bey unß der gestallt ouch davon hören reden; und zwyfel ouch nitt, söllich kunfftig gefarlichait werden in berathschlagung der sachen fleyssig ermessen. So hab ich ouch byß daher by ettlichen sonderbaren vertrauwten rathspersonen andorst 54 nit verston können, wie b ich euch das hievor ouch bericht, dann das die räth mehr usß christelichen dann menschlichen ursachen zu kainem krieg, sonder allain zu frid und ru genaigt seyen.

Aber wie dem allem, so stat es zu gott, was gute wort, gnedig verhaissungen und tröwung entlich 55 by den räthen vermögen werden. Damitt aber das, so wir für das best und christlichest erkennen, by inen in der ratstuben fürwäge 56 , acht ich diß das fürnemst und nützlichest mittel sein, gott mitt ernst bitten, das er inen den gaist seiner wyshait verliche, 57 604 || der senfft, still und rüwig seye, nitt uffgeblassen, 58 nitt ehr noch rum girig, und sonderlich, das er inen diß gnad gebe, das sy aller aliter und newer beschwerden, die inen vylfeltig begegnet seind, vergessind und nitt begerind, sich selbs zerechen, 59 sonder alle rach gott bevelchen und sich anderer leut ungluck nitt fröwind. So wir das mitt unserem gepett zu gott erlangen köndten, so wurden wir gottes segen erfaren, und ir hetten yetzo ewern nutz, des in vorhin offtermal wenig geachtet, on ainichen gegenwerd ouch geschaffet. 60

Zum letsten ewers anschlags halber, und das in zu wissen begeren, was desshalb by den unseren zuerheben, das ich ouch desshalb mitt ettlichen vertrauwten reden möchte etc., füg ich euch zu wissen, das ich mitt nieman von diser sach gereddt; dann ich hab sorg getragen, es seye myner person halber kains wegs zethain. So hette es ouch die kurtze der zyt nitt erlyden mögen, sonderlich den tag, da man die newen räth wellt. 61 Darum kan ich euch in der warhait nitt berichten, was ewerhalb zethain oder by den unseren

b Vor wie gestrichenes das.
der Stadt, ihre Steuern zu bezahlen; s. oben Nr. 2041 mit Anm. 5.
54 anders.
55 schließlich.
56 überwiege.
57 Dtn 34, 9; Eph 1, 17.
58 1Kor 13, 4.
59 Mt 5, 38-42; 1Thess 5, 15.
60 ohne [Konstanz] irgendeinen Nachteil[?] zu verursachen.
61 Jedes Jahr wurden die Mitglieder des Rates neu gewählt. Der Wahltermin lag zwisehen
dem 19. und 25. Dezember und seit 1528 auch kurz danach an einem Donnerstag und Freitag (s. Peter Meisel, Die Verfassung und Verwaltung der Stadt Konstanz im 16. Jh., Konstanz 1957 - Konstanzer Geschichts- und Rechtsquellen 8, S. 30 und Anm. 22). Da Blarer den Zürcher Boten nicht lange warten ließ (s. oben Z. 6f), muss diese Wahl 1544 am Donnerstag und Freitag, den 25./26. Dezember stattgefunden haben und der Bote aus Zürich an einem dieser Tage (frühestens schon am 24. Dezember) in Konstanz eingetroffen sein.


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zuerlangen sein wurde. Mich geduchte 62 aber, wann ir besser anlaitung haben wellten, so wäre vyllicht zethain, das ewere herren allain oder sampt anderen aidgnossen meinen herren, den gehaimen räthen, ainen fruntlichen brieff geschriben und sy vermanet hetten, das sy sich wider ain lobliche aidgnoschafft nitt bewegen liessen; so wurden ir alls dann usß der widerantwurt vyllicht mehr anweysung uberkommen. Oder das ir meinem bruder 63 , der yetzund uff nechst Trium regum 64 widerum das burgermaisterampt tragen wurt, deren sachen halb selbs geschriben; dem wurde es dann gepuren, mitt anderen vertrauw[ten]c ||605 ouch davon zereden und euch wytern bschaid wissen ze lassen. Wann ir aber deren kains thain wellen, so wird ich hernach miner pflicht halb diß ewer d schreiben minem bruder und, wa es inn für gut ansicht, ouch anderen vertrauwten anzögen etc.

Wann aber die statt Costenz mein aigen were, wie gern ich dann sechen wellte, das sy und ain aidgnoschafft in rechter freuntschafft und nachpurschafft verainbart weren, so köndt ich doch in meiner ainfalt nitt gedencken, das sölichs diser zeyt und by yetzigem gschray dergestallt fürzenemen were; dann damitt wurde das fuhr 65 erst recht angezundt und gewisslich ursach geben ainem e kunfftigen krieg. So kundt ich och mich und myn statt (ja, wann sy myn were) um sölichs geringen nutz und vortails willen, wie der vyllicht yetz by den aidgnossen zu erlangen und ir zum tail meldent, in kain soliche treffeliche far 66 setzen. Und ob mir dann glich nach meines hertzen willen nutzliche ding begegnen möchten, so hette ich doch groß bedencken, ob es mir diser zyt offenlich anzunemmen were.

Es ist in summa meines erachtens schwär in diser sach zuhandlen nach menschlicher wyß. Dann soll die statt Costentz yetz zur ernd zeyt 67 , und so sy by yetwederem 68 tail etwas erlangen möchte, nitt schniden 69 , und allso rüwig seyn und sich kains tails annemmen, so uberkompt sy nichts, und wirt vyllicht des by entwederem 70 tail geniessen. Henckt sy sich an kaiser und uberkompt vyl, so waist nieman, wie lang es ir belypt 71 , und kofft ir aigne servitut und dienstbarkait. Soll sy sich den aidgnossen anhengig machen, so musß sy das thain mitt klainem vortail und doch grosser gefar; dann die aidgnossen wellen 606 || den nutz, so inen usß der statt Costentz verainigung entspringen mag, und hinwider die gefarlichait, in die sich die statt versteckt 72 , mines bedunckens nitt verglichen.

c Textverlust am Rande.
d ewer korrigiert aus eweren.
e ainem korrigiert aus aines.
62 Mir würde scheinen.
63 Thomas Blarer, der am St. Barbara-Tag (4. Dezember) gewählt wurde; s. Meisel, aaO, S. 45.
64 Heilige Drei Könige (6. Januar).
65 Feuer.
66 treffeliche far: außerordentliche Gefahr.
67 Erntezeit; metaphorisch.
68 jedem (von beiden).
69 ernten.
70 keinem (von beiden).
71 bleibt.
72 verwickelt; bringt.


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Über das bedunckt mich, das man fur und fur weder zu rechter zyt noch bequeme mittel handlen welle. Daher ich dann ye abnemmen 73 muß, das es von gott anderst angesechen seye. Ich hab euch verruckter zeyt 74 geschrieben und ettlicher mittel halber ouch mundtlich mit euch gereddt, 75 die zu diser sach, wa man sy nitt in wind geschlagen, wol dienstlich gewesen weren, und es wirt die zeyt kommen, das irs ouch erkennen und bekennen werden, wie ichs yetz spur und zum tail vor augen sich 76 ; gott verlyche unß sein gnad, das wir in allweg uff rechter ban belybind.

Uff Trium regum ist ain gemainer stetttag aller erbarn frey und reychstett gen Ulm angesechen 77 worden ettlicher gemainer beschwerden halber, so inen begegnent. Da möcht meines bedunckens nitt böß 78 sein (damitt ich mein dorhait 79 aber an tag gebe), wann die aidgnossen den gesandten uff denselben tag 80 freuntlich geschriben hetten auff ain sölche mainung ungefarlich uff das kurtzest, dann 81 das ist muster: Es langte sy 82 durch ain gassengschray 83 an, alls ob die stend des reychs darum, das ettliche ire verwandte die reychssteur nitt bezalen weiten, krieg wider sy fürnemmen wurden. 84 Wie wol sy nun in ansechen 85 irer habenden freyhaiten und vyl anderer billichen ursachen sich des weder zu kai. mt. noch anderen stenden, und sonderlich den erbarn frey und reychstetten versechend, 86 ye doch diewyl sy vernomen, das yetzo die bemeldten erbarn frey und reychstett beyainander ||607 versamlet, hetten sy nitt underlassen wellen, inen derhalben ze schreiben, mitt ganntz freuntlichem pitt, sy wellen sich zu unwillen und vyl minder thatlicher handlung wider ain aidgnoschafft nieman bewegen lassen. So wellen sy sich hinwider gegen inen und den iren ouch so freuntlich und nachparlich erzögen, das man spuren solle, das sy zu fürderung und erhaltung gemaines fridens und den erbarn, frey und reychstetten zu allem guten genaigt seyen.

Wann nun die stett uff sölich schreiben antwurten oder schweygen wurden, möchten die aidgnossen yedes falls die sach dester baß 87 verston und

73 vermuten, entnehmen.
74 verruckter zeyt: früher.
75 In Stammheim, im Mai 1544; s. oben Nr. 1906, 11-19.
76 sehe.
77 vorgesehen, bestimmt. -Zum Städtetag s. oben Nr. 2036, Anm. 11.
78 schlecht, falsch.
79 Einfalt; Naivität.
80 Städtetag. -Zu den Namen der Gesandten Straßburgs, Frankfurts, Memmingens, Konstanz' und Lindaus zu den Städtetagen von 1495 bis 1545 s. Georg Schmidt, Der Städtetag in der Reichsverfassung. Eine Untersuchung zur korporativen Politik der
Freien und Reichsstädte in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts. Stuttgart 1984. - Veröffentlichungen des Instituts für Europäische Geschichte Mainz, Abt. Universalgeschichte 113. Beiträge zur Sozial- und Verfassungsgeschichte des Alten Reiches 5, S. 127-131.
81 als.
82 die Eidgenossen.
83 Gerücht. - Zu verstehen: Sie erfuhren durch ein Gerücht.
84 Vgl. oben Nr. 2041, 31-35.
85 in Anbetracht des.
86 erwarteten.
87 umso besser.


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sich demnach weyter zerichten wissen. Der tag wurt gewisslich nitt lang weren 88 etc.

Verzicht 89 mir, das ich gleych allso ain form fürschreib; 90 es beschicht 91 gegen euch in vertrauwen und bester mainung, dabey es ouch blyben soll; sonst möcht es mir in ain vermessenhait gedeut werden. Darin werdt ir in meinem vertrauwen nach wol wissen recht zethain; sonst wurde ich min torhait fürohin 92 mir seib behalten. Gott waist, das ichs doch gar gut und getrulich main.

Der von Miss 93 ist ettlich tag, wie ich vernymm, zu Merspurg 94 by dem bischoff 95 gewesen und in ainer nacht usgelassen und hinweg gefürt worden. Es ist aber die sag, er habe bevolchen, Spanyer und Ytalianer anzunemen.

Unser liebster fridfurst Christus Jesus 96 welle getrulich ob unß halten 97 und under seinem schutz zeytlich und ewig sicherhait verleychen.

Datum in yl, Costantz, den 28. decembris 1544.

Wellt meinem gunstigen lieben herren, baiden burgermaistern 98 , mein gantz gutwillig christlich dienst mitt wunschung vyl gluckhaffter jar, und alles guten anzögen.

[Ohne Adresse.] 672

|| [1. Beilage f : ] Lasst euch hertzlich meinen l[ieben] vetter Conraten Zwicken in ewern getruwen furpitt bevolchen sein, dann es mir gantz schwär ist, das er disen reychstag besuchen soll, sonderlich ouch von der sach wegen, davon ir wisst. 99 Dann die weyl kö. mt. und ouch der landgrauff 100 davon wissen, wurt er unangestrengt 101 nitt beleyben. So ist das menschlich gemüt beweglich etc., wiewol ich ime alles guts trauwen. Aber ob er gleych steyff belebt, so wurt im doch daher farlichait 102 uff den hals wachsen, 103 das er frommer leut fürpitt gar wol bedorffen würt.

f Darunter von Traugott Schieß' Hand: zu 1544 Dec. 28.
88 währen.
89 Verzeiht.
90 Für ein ähnliches Verfahren s. oben Nr. 1890 mit Anm. 25.
91 geschieht.
92 fortan.
93 Der ehemalige Kastellan von Musso, Gian Giacomo de' Medici. Die Burg Musso war nach dem Friedensvertrag 1532 zerstört worden. Medici befand sich seither als Feldherr in den Diensten Kaiser Karls V.
94 Meersburg (Baden-Württemberg), Sitz der Fürstbischöfe des Bistums Konstanz.
95 Johann von Weeze.
96 Vgl. Jes 9, 6; Eph 2, 14.
97 ob uns halten: [sich] über uns halten; uns schützen.
98 Johannes Haab und Hans Rudolf Lavater.
99 In Bezug auf die von Konrad Zwick erfundene Kriegskunst s. HBBW XIII 348-351; oben Nr. 1836, 36-111; 1838, 2-21; 1879, 56-58.
100 Philipp von Hessen.
101 unbedrängt.
102 Gefahr.
103 Damit befürchtet Blarer, dass die Lage für Zwick lebensgefährlich werden könnte.


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Grüzt alle ewer hausgesind mitt wunschung guter jar und aller fridlicher gottgefelliger zeyt.

||610 [2. Beilage g : ] Wellte gott, das die eweren meinem getruwen und gegrundten rath, den ich euch vergangens jars geben 104 , gevolgt hetten. Dardurch were dise sach nach ewerm und unserm willen nunmehr zum end gebracht, oder man hette doch des Ferdinandi und anderer herren 105 fürnemmen 106 verhindert. Item meine herren wurden sydher by dem kaiser und konig um nachlassung der reychssteur nitt angesucht, 107 noch uff den rychstag geschickt, 108 oder doch 109 minen vetter 110 dahin nitt verordnet haben. Daruß were gevolgt, das der kaiser dest minder ursach gehapt hette, minen herren vyl gnad ze thain und hinwider von inen vyl zd begeren. So hette man sich ouch mitt minem vetteren dest weniger in handlung inlassen können. 111 Des hab ich euch zufelliger weyß 112 daran erinneren wellen, dann ich befind ye lenger ye mehr, wie diser weg so ain stills erschiesslichs 113 mittel gewesen were; und bekümeret mich, das daruff nitt hat wellen gehandelt werden.

[Beide Beilagen ohne Adresse.]