Heinrich-Bullinger-Briefwechseledition, Universität Zürich © Heinrich Bullinger-Stiftung Arpa Bibliothek Textbreite Schriftgröße

[2342]

Joachim Vadian an
Bullinger
St. Gallen,
[Anfang]1 Februar 1546

Abschrift von Johann Rudolf Stumpf: Zürich StA, E II 351, 22v.—28r.; [zwei Beilagen 2 von zwei unbekannten Schreibern:] [1.] Epigramm "De Luna, Aquila et Gallo": Zürich StA, E II 356a, 1002f 3 , [2.] Epigramm "Qualis nostri seculi abbas esse debeat, ad exemplar Ambrosii abbatis Blauburensis 4 graphica hypotyposis 5 ": Zürich StA, E II 441, 567 6 Druck des Briefes (ohne Beilagen): Vadian BW VI 496-504, Nr. 1445 Teildruck des Briefes: Vadian DHS II LXVIII—LXXIII

Vadian hat Bullingers Brief [nicht erhalten] am Vortag empfangen. Das Schreiben erfreute ihn umso mehr, als Bullinger sich darin trotz allen Lobes sehr offen [über Vadians "Kleine Chronik"] äußerte. Möge Vadians Beitrag zur ["Eidgenössischen Chronik"] von [Johannes]

1 Der Brief bezieht sich zweimal auf eine heute verschollene Antwort Bullingers auf Vadians undatierten Brief Nr. 2318. Ferner scheint Vadians Brief vom 12. Februar 1546 (Nr. 2352) auf eine Antwort Bullingers auf den vorliegenden Brief anzuspielen.
2 Die Sendung der beiden Beilagen wird im vorliegenden Brief angekündigt. In der Sammlung Johann Jakob Simlers (18. Jh.) sind auch deren Abschriften unmittelbar nach der Abschrift von Vadians Brief eingefügt (Zürich ZB, Ms S 59, 75—77). Die im StA aufbewahrten Abschriften sind wohl kaum, zumindest nicht beide zugleich, die urspünglichen Beilagen des autographen Briefes (nicht erhalten) von Vadian, zumal die an diesen Dokumenten angebrachten Versiegelungsschnitte nicht miteinander übereinstimmen. Demzufolge wird Bullinger das eine oder das andere Dokument auch noch durch einen anderen Korrespondenten erhalten haben (s. dazu auch Anm. 3 in fine).
3 Das Epigramm ist mit den Initialen "VX" oder "MX" unterschrieben, die zwischen "15" und "44" (wohl das Entstehungsjahr) eingefügt wurden. Darunter von einer späteren Hand (17. Jh.?): "Vadianus ad Bullingerum 1546. Epigramma hoc Philippi [Melanchthonis] esse dicitur;
quod Ratisbono Schnepfius amiculis quibusdam Stutgardiam misit, etc."; wobei der Satzteil von Philippi bis misit ein fast wörtliches Zitat aus vorliegendem Brief ist. Darunter, von späterer Hand (Simler?), der Verweis: "Vide et p. 996". Damit ist auf E II 356a, 996, verwiesen, wo am Schluss des von Vadian verfassten und unbekannten Gedichts "Laetare Hierusalem" (s. dazu Nr. 2425, Anm. 5) dieselbe Hand wie die der vorhergehenden Notiz folgende Anmerkung anbrachte: "Vadiani manus. Is ad Bullingerum anno 1546. Mitto epigrammata, quae concionatoris [Kaspar Gräter] esse principis Wirtembergensis, minime inelegantis hominis existimantur, quanquam alterum 'De Luna, Gallo et Aquila' Philippi esse dicatur, etc. Frigidulum mihi visum est alterum 'De Luna, Gallo et Aquila', id est de Turca, Franco, caesare; sed habet tamen laudem non ineptam ordinum imperii, etc." Die beiden letzten Sätze sind gleichfalls aus dem vorliegenden Brief entnommen und haben nichts mit Vadians Gedicht zu tun. Bullinger erhielt dieses erst später, zumal er es erst mit seinem Brief vom 17. April 1546 (Nr. 2425) verdankte. —Einige schrieben damals die Epigramme "De Luna" und "Qualis nostri seculi abbas"Kaspar Gräter oder Philipp Melanchthon zu (s. unten bei Anm.


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Stumpf vielen nützlich werden, zumal Vadian sich bemüht hat, gemäß der Empfehlung von Horaz zugleich auf instruktive und angenehme Weise zu schreiben. Zu Bullingers Bedenken ist Folgendes zu sagen: Zu Recht beschwert Bullinger sich über die Länge zweier Kapitel, 8 doch wurde Vadian [indirekt] von Stumpf dazu gezwungen, insofern dieser ihm bei seinem Besuch [in St. Gallen]erklärt hatte, dass er für seine "Chronik" nicht eine höhere Anzahl von Kapiteln wolle als geplant. Da Vadian bereits dem Mönchsstand und dem hl. Gallus zwei Kapitel gewidmet hatte, konnte er wegen der vorgegebenen, beschränkten Kapitelanzahl seine weiteren Ausführungen nicht nach Belieben in Kapitel aufteilen. Da Stumpf nun weiß, dass Bullinger vorhat, [den Inhalt der "Eidgenössischen Chronik" anders anzuordnen], ist es nicht mehr erforderlich, sich so genau an die [ursprünglich]festgelegte Anzahl von Kapiteln zu halten, zumal es [bei Querverweisen innerhalb der "Eidgenössischen Chronik"]genügt, auf Buch und [angesprochenes] Thema, und nicht auch noch auf Kapitel, Bezug zu nehmen. Wichtig ist, dass man der von Bullinger vorgesehenen Einteilung zustimmt. Vadian ist beeindruckt, dass Bullinger diesem Unternehmen so viel Zeit widmen konnte, und er unterstellt sich gänzlich dessen Urteil. Seine Abhandlung über Vogteien und Klostervogteien, die er im Abschnitt über Abt Nortpert untergebracht hatte, weil er dort außer einigen Ereignissen nichts Weiteres anzuführen hatte, bittet Vadian, nun als Kapitel 21 nach Bullingers geplantem Kapitel 20 über Lehen einzufügen, zumal sich diese Ausführungen dort thematisch gut einreihen lassen. Bullinger hält Vadian vor, den Äbten zu viel zugestanden zu haben, wo doch aus Vadians biographischen Darstellungen gut ersichtlich wird, dass dieser den Papisten feindlich gesinnt ist (was Letztere auch wissen). Bestimmt hat Vadian sich als großmütig erwiesen, indem er dem Papst die dreistufige Tiara zugesteht, doch nur, wenn dieser ein Nachfolger der Lehre Christi wird. Bullinger darf aber die Stelle umschreiben bzw. auslassen, da Vadian seine Bedenken verstehen kann. Vadian hat sich beim Schreiben wie ein Erzähler und nicht wie ein Ankläger verhalten, um bei den Liebhabern von Chroniken, die sonst die [Protestanten] als Häretiker betrachten, Interesse zu wecken. Die Marginalien, [die anstößig sind], dürfen also entfernt werden, wenn nur damit nicht alle Randbemerkungen verschwinden, weil diese die Aufmerksamkeit des Lesers auf sich lenken. Es sei Vadian gestattet, anderer Meinung als Bullinger über das Gründungsdatum der Kirchen Zürichs und Luzerns zu sein und bei dieser Frage Stumpf als Schiedsrichter heranzuziehen. 9 Es stimmt nicht, dass er dieses Datum auf die Zeit des [Frankenkönigs]Ludwig I= Chlodwig] II. (des Sohns von Dagobert I.) ansetzt! Mit "Ludwig" dachte er an Ludwig [IlI.], einen Sohn Theuderichs [III.]. Ludwig III. folgte seinem Vater auf den Thron 10 nur wenige Jahre nach dem Tode des [Bischofs] Leodegar [von Autun]11 , und dies, nachdem sein Vater (ein Bruder Chlothars [III.] und ein Sohn Ludwigs [II.])
37). Allerdings entsprechen die Initialen dieser Namen nicht den oben erwähnten, die in der erhaltenen Abschrift am Schluss des Gedichts angebracht sind; demzufolge wird Letztere nicht mit der von Vadian an Bullinger gesandten Abschrift identisch sein (s. schon Anm. 2).
4 Ambrosius Scheerer, Abt von Blaubeuren, s. Anm. 39.
5 graphica hypotyposis: anschauliche Skizze.
6 Zum möglichen Autor des Epigramms s. unten bei Anm. 37.
7 Diese wurde mit Nr. 2318 nach Zürich gesandt.
8 Die darauffolgenden Überlegungen Vadians zeigen, dass damit die Kapitel (Bücher)
"Von dem Mönchsstand" und die biographischen Darstellungen über die Äbte von St. Gallen gemeint sind. Vadian hatte Bullinger die erste Abhandlung am 30. September 1545 (s. HBBW XV, Nr. 2257 und 2280), die zweite im Januar 1546 (mit Brief Nr. 2318) zukommen lassen.
9 Bullinger scheint Vadian ein inhaltlich ähnliches, wohl aber mehr ausgearbeitetes Gutachten als in HBBW XIV, Nr. 2020, zugeschickt zu haben.
10 690 oder 691 n. Chr.
11 Gest. zwischen 677 und 679. Bullinger setzte aber Leodegars Tod bereits auf das Jahr 615 an; s. HBBW XIV 481.


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sehr lange regiert hatte. Was Bullinger in dieser Angelegenheit übermittelt, steht für Vadian in Widerspruch zu den chronologischen Angaben der Chronisten. Bullinger führt in diesem Zusammenhang [Königin] Brunhilde an 12 , als hätte diese zu Zeiten Leodegars oder zumindest nicht so lange vor Leodegars Tod noch gelebt, was unhaltbar ist! Glaubwürdige Quellen belegen eher, dass Brunhilde von Chlothar [II.] etwa im Jahre 618 (also fast sechs Jahre nach dem Regierungsantritt des byzantinischen [Kaisers Flavius] Heraclius 13 ) umgebracht wurde. Dies geht aus den ["Historiae Francorum"] des französischen [Chronisten] Annonius [= Aimion de Fleury]hervor, dessen Schrift Vadian Stumpf ausgeliehen hat. 14 Das Gleiche [bestätigt] der gewissenhafte Chronist Sigebert [von Gembloux]. Von Brunhildes Tod bis zum Märtyrertod des Leodegar vergingen also etwa 67 Jahre, da Letzterer etwa 685 starb. Für solche chronologischen Fragen zieht Vadian französische, nicht etwa italienische oder deutsche Autoren heran. Dabei entdeckte er, dass Brunhilde durch [ihren Enkel] Theuderich [II.] die Ermordung von Desiderius, dem Bischof von Vienne, veranlasste, nicht aber die von Leodegar. Sigebert bestätigt dies nämlich. Nach dem Tode Ludwigs [II.] und nach dem Ableben des treuen [Hausmeiers]Erchinoald ernannte Chlothar [III.]Ebroin zum [neustrischen] Hausmeier, welcher mit seinen unerhörten Machtansprüchen jahrelang Unruhe in Frankreich stiftete. Als Chlothar [III.] gestorben war und sein Bruder [Childerich Il.] sich bemühte, Theuderich [III.] zum König [des gesamten Frankenreichs] zu machen, wurde Ebroin im Kloster von Luxeuil eingesperrt, während Theuderich sich als geschorener Mönch in der Abtei Saint-Denis [nördlich von Paris] verstecken musste. Ebroin und Theuderich hassten die Bischöfe, weil diese versuchten, ihr tobendes Treiben in Grenzen zu halten; deshalb auch die durch Ebroin verursachte Hinrichtung Leodegars. Dies geschah kurz vor der Zeit, als Pippin [II. oder der Mittlere, von Heristal], Sohn des [fränkischen Gefolgsherren]Ansegisel, Hausmeier von Austrasien, Nachfolger von Wulfoald wurde. Ebroin bekämpfte Pippin ebenfalls, doch gelang es diesem, ihn um 688 15 durch Ermenfred ermorden zu lassen. Vadian hat Stumpf seine sorgfältige, chronologische Aufzeichnung der fränkischen Könige geschenkt. 16 Wenn Bullinger diese doch nur auch gesehen hätte! In diesen Sachen ist Vorsicht geboten. Man sollte sich vor den Verfassern großer Werke hüten, denn sie haben für ihre Arbeit [Hilfs]schreiber herangezogen. Schon der Glarner Ägidius Tschudi musste bald feststellen, dass die von [Beatus] Rhenanus benutzte Geschichtsquelle 17 , in der [die im Luzerner Traditionsrodel erwähnten] Wichard und Rupert als Herzöge des [Kaisers]Ludwig des Frommen 18 betrachtet und dem Jahre 905 zugeordnet werden, unzuverlässig ist, zumal Ludwig der Fromme nicht einmal hundert Jahre nach Leodegar lebte. 19 Der [im Luzerner Traditionsrodel erwähnte] Ludwig kann auch nicht Ludwig II. sein, da dieser etwa 27 Jahre vor der Ermordung Leodegars starb. 20 Vielmehr ist damit Ludwig III. gemeint, der nach seinem Vater Theuderich III. und dessen Bruder Chlothar III. (beide Söhne Ludwigs Il.) regierte und um 696, also etwa 10 Jahre nach Leodegar und etwa 18 Jahre vor dem Amtsantritt des [Hausmeiers] Karl Martell, 21 des Begründers der Karolinger[dynastie], starb. 22 Die [Gründung] der Zürcher und Luzerner Kirche ist also auf die Zeit [Ludwigs III.] anzusetzen. Doch ist Vadian nicht so dumm zu
12 Gest. 613. Bullinger setzte deren Tod auf das Jahr 630 an; s. HBBW aaO.
13 Er hatte aber die Regierung bereits 610 angetreten.
14 Vgl. HBBW XV 390, wo allerdings diese Quelle nicht namentlich genannt wurde.
15 Korrekt 680 oder 681.
16 Vgl. HBBW XV 390.
17 Mit dem Wort "Geschichtsquelle" wird hier und unten das im Original verwendete Wort "tabula" übersetzt.
18 Geb. 778 und bereits 781 von Papst
Hadrian I. zum König gesalbt, auch wenn er erst 814 allein regierte; s. LMA V 2171.
19 Im Luzerner Traditionsrodel, der auf die Zeit eines Königs Ludwig datiert ist, sind sowohl ein Wichard und ein Rupert wie auch der hl. Leodegar erwähnt; s. HBBW XIV 480f.
20 Laut Vadian starb Ludwig II. also um 658 (685—27). — Heute wird dessen Tod auf das Jahr 657 angesetzt.
21 Karl Martell wurde 717 Hausmeier Austrasiens


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glauben, dass die erste Kirche Zürichs identisch mit dem Großmünster gewesen wäre, da Letzteres von einem anderen Herzog aus einer bescheidenen, ursprünglichen Kirche von Grund auf erneuert und eingerichtet, später auch von Karl dem Großen erweitert wurde. Dies geht ebenfalls aus den Geschichtsquellen hervor, die Vadian vor Jahren von den Zürchern erhalten hatte. 23 Vadian lernte doch von Bullinger selbst, dass sowohl in Bregenz als auch in anderen Ortschaften der Region das Christentum schon zur Zeit der Römer Fuß fasste; ja, dass nicht nur die Kirche, sondern auch die Stadt Zürich schon vor den Überfallen der Alemannen existierten und Zürich von den Letzteren auf die Größe eines kleinen Dorfes reduziert wurde. Demzufolge sind die Stiftungen der Franken vielmehr [Wieder]errichtungen als Gründungen. Und es ist den Franken hoch anzurechnen, dass sie, nachdem sie sich dem Christentum zugewandt hatten, die Kirchen sogleich wieder auf bauten, welche ihre gottlosen Vorfahren (um mit Paulus zu sprechen [Eph 2, 12]) zerstört hatten. Es waren auch die Franken, die den [Bischofs]sitz von Vindonissa 24 nach Konstanz verlegten, und es waren Dagobert [I.] und später Berta [Bertrada], die Mutter Karls des Großen, die Konstanz mit Kirchen und Pfründen versahen. Auch in anderen Rheinstädten wurde das Christentum wieder eingeführt, wie dies [Beatus] Rhenanus bereits gut nachgewiesen hat. Es ist auch nicht notwendig, die Gründung des Fraumünsters in Zürich einem anderen Herrscher [als gemeinhin angenommen] zuzuschreiben, zumal feststeht, dass [König]Ludwig der Deutsche, der Enkel Karls des Großen, das Stift gründete. Vadian hofft, dass Bullinger nach einiger Überlegung seine etwas gezwungene Vermutung aufgeben wird, besonders da die Argumente, die dieser anführt, nicht überzeugend sind. 25 Bullingers Argument, nach dem es nicht möglich sei, dass Leodegar schon kurz nach seinem Tod verehrt wurde, ist nämlich nicht zwingend, besonders wenn man beachtet, wie sehr die Franken zur Verehrung neigten und auch sonst die Heiden überhaupt Lebende beinahe schon verehrten. Man denke daran, was Sulpicius Severus diesbezüglich über Martin von Tours berichtet. Laut Tertullian hätte der [römische Kaiser] Tiberius sich schon zu Lebzeiten verehren lassen wollen. Man denke an den [hl.] Gallus: Kaum war er gestorben, wurde er schon verehrt und vom [Bischof] Boso [von Merseburg] als heilig angesehen. Die Chroniken des Klosters St. Gallen bezeugen ferner, dass Abt Konrad von Bussnang 26 der [hl.] Elisabeth, der Frau des [Landgrafen] Ludwig [IV.] von Thüringen, kurz nach ihrer Heiligsprechung [1235] ein Heiligtum errichtete (Abt Konrad [von Bussnang], ein Hofrat des [Kaisers] Friedrich II., war am Hofe von dessen Sohn, dem König Heinrich [VII.], bereits zu Lebzeiten Elisabeths deren Fürsprecher, was auch Stumpf bestätigen kann). Schließlich berichtet Sigebert [von Gembloux] in seinem Eintrag unter dem Jahr 688, dass schon [Pippin II.]Leodegar verehrte und diesen vielen anderen [Heiligen] vorzog. Jedoch wird die Behauptung von Antonino [Pierozzi, dem Bischof von Florenz], laut der Leodegar schon zu Lebzeiten ein Heiligtum erhalten hätte, kaum stimmen. Vadian weiß schon, dass die Karolinger nicht Nachkommen der Merowinger sind! Die römischen Päpste werden ja bezichtigt, in ihrem eigenen Interesse die Dynastie der [karolingischen] Pippine zur Krone befördert zu haben, obwohl sie doch nicht durch Verwandtschaft dazu bestimmt waren. Die Karolinger aber unterwarfen ihre Vorgänger nicht; vielmehr gewannen sie deren Vertrauen. Sie wollten, dass man sie für Nachkommen des fränkischen Königshauses und für Nachfolger der Merowinger hielt.
und 718 Hausmeier des gesamten fränkischen Reichs.
22 Ludwig III. starb 694.
23 Vgl. HBBW XI 40—72, Nr. 1460.
24 Windisch (Kt. Aargau).
25 Bullinger datierte die Schenkung an das Fraumünster auf das Jahr 838 (statt 853), also noch in die Zeit Ludwigs des Frommen, des Vaters von Ludwig dem Deutschen; s. Hans Ulrich Bächtold, Geschichte in der Gegenwart — Gegenwart
in der Geschichte. Heinrich Bullinger und das Großmünsterstift, in: HBLife I 125 und Anm. 36. Trotz der hier geäußerten Kritik scheint Vadian sich doch noch Bullingers Meinung angeschlossen zu haben, da er in seiner "Großen Chronik der Äbte" die Stiftung des Fraumünsters auf "Ludwig des Großen Karlis son" zurückführt; s. Vadian Grosse Chronik I 192.
26 Abt von 1226—1239.


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Zweifelt Bullinger dies an, so wird der von den Karolingern gehaltene Diskurs ihn davon überzeugen. Demzufolge ist Bullingers Kritik nicht fundiert. Unberechtigt ist auch, was Bullinger über den ersten Herzog (dux) der Alemannen 27 vorbringt. Es steht fest, dass die Franken, nachdem sie die Alemannen unterworfen hatten, in Alemannien nicht Fürsten (principes), sondern Herzöge ernannten. Diese waren für das Militärwesen zuständig, doch erst etwa seit der Zeit Pippins 28 und der Karolinger. Die Herzöge handelten nicht selbstständig. Auch in Kirchenangelegenheiten warteten sie auf Anordnungen der [Herrscher], wie dies aus den alten Geschichtsquellen hervorgeht. Bullinger sollte sich lieber an die etablierte [Chronologie] halten statt reine Vermutungen vorzubringen, 29 die mit den Geschichtsquellen der Zürcher nicht übereinstimmen. Deshalb will Vadian das [bislang angenommene] Alter der Zürcher Kirche, ja auch jenes der wiedererrichteten Zürcher Kirche (viel älter als die Luzerner Kirche) nicht in Frage stellen. Soviel zur Gründung [der Kirche von Zürich] und zu Leodegar. Sollte Bullinger die Ausführungen Vadians ablehnen, ist dieser bereit, sich dem Urteil des gemeinsamen Freundes Stumpf zu beugen. Wenn nur Bullinger einen Nachfolger für Stumpf finden würde, so dass dieser sich mit seiner Frau [Regula, geb. Brennwald] und den Kindern von [Stammheim] nach [Zürich]begeben könnte, sobald [Christoph] Froschauer die ["Eidgenössische Chronik"] zu drucken beginnt! Bei solch einem komplexen Werk wird Froschauer wohl Stumpfs Hilfe benötigen. Vadian wartet gespannt auf [die lateinische Übersetzung] der von Theodoret von Kyrrhos verfassten Schrift ["De providentia sermones X"]. Da er kaum Griechisch kann, wusste er nicht, [als er Bullinger dieses Buch zukommen ließ], ob es sich dabei um ein anderes Werk als das der ["Rerum ecclesiasticarum libri quinque"]30 handelte oder nicht. Einige Baal-Greuel 31 : Bullinger soll wissen, dass der Abt St. Gallens, [Diethelm Blarer von Wartensee], verordnet hat, den gefangenen Priester [Heinrich Sailer]32 von [dem Schloß St. Anna in]Rorschach an [Johann von Weeze], den Bischof von Konstanz, auszuliefern. [Sailer] soll längere Zeit seine uneheliche Tochter [...] missbraucht und dies auch zugegeben haben. Der Priester von Goldach [Johannes Truth?]33 soll seine Schwester [...]geschwängert und auch die zweite Schwester [...]verführt haben. Vadian versucht ferner, Weiteres über die Angelegenheit zu erfahren, über die er schon geschrieben hatte. Doch alles,
27 Bullinger mag Konjekturen über "dux Rupert" (s. HBBW XIV 480,26) formuliert haben, den er als "dux militum Sueviae", also als "dux" der Alemannen (deren Gebiet größtenteils mit dem späteren Herzogtum Schwaben übereinstimmt) betrachtete (s. aaO, 479,11). Diese Vermutung wird durch Bullingers handschriftliche Abhandlung von 1571 "Von dem allten Volck der allmanniern und allmanischen hertzogen, welche zu letst alein hertzogen zu Schwaben genempt wurdent" (Zürich ZB, Ms A 142, Nr. 2, bes. f. 81v.) erhärtet. Dort aber setzt Bullinger Herzog Rupert etwa um 700 an; später also, als er dies 1544 (HBBW XIV 479) und wahrscheinlich in seinem nicht erhaltenen Brief an Vadian tat. Die Umdatierung wird auf Vadians Einfluß (s. oben bei Anm. 21) zurückzuführen sein.
28 Vadians Äußerung ist zeitlich vage (möglicherweise wegen der zeitlich ebenfalls vagen Hypothese von Bullinger), so dass
er hier kaum an einen bestimmten Pippin, etwa an Pippin II., gedacht haben wird.
29 Vgl. HBBW XIV 479,11—15. 481—483.
30 Vadian wird hier an diese damals gut bekannte und öfters nachgedruckte Schrift Theodorets gedacht haben (s. GG 410f) und nicht an die von Bullinger in seinem Dankschreiben erwähnte und damals kaum bekannte "Graecarum affectionum oratio" (s. Nr. 2326, Anm. 1).
31 Damit sind Vergehen der "Papisten" (Anhänger eines falschen Gottesdienstes) gemeint.
32 Siehe Rudolf Henggeler, Professbuch der Fürstlichen Benediktinerabtei der Heiligen Gallus und Otmar zu St. Gallen, Zug [1930] — Monasticon Benedictinum Helvetiae [1], S. 243f, Nr. 84; S. 438, Anm. 124 (dort weitere Lit.).
33 Er wurde am 15. Juni 1539 katholischer Pfarrer in Goldach; s. Josef Reck, Die Reformation in Goldach, in: Rorschacher Neujahrsblatt 1958, S. 39.


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was man seitdem darüber hört, stimmt mit dem bereits Berichteten überein. 34 Der [katholische] Pfarrer [Johann Heckler]35 zu Arbon, der [in seinem Inneren] über die Wahrheit wohl Bescheid weiß, wird vom Teufel geplagt. Um dem abzuhelfen, ließ er öfters den evangelischen Prädikanten [Anton Zilli oder Johannes Tecker]36 zu sich rufen. Er soll nun nicht mehr von Erscheinungen gequält werden. Möge er sich Gott zuwenden! Vadian hat mit großem Interesse das Inhaltsverzeichnis von Bullingers Werk "De sacramentis"gelesen und würde gern ein gedrucktes Exemplar davon erhalten. Luthers Schrift ["Contra 32 articulos Lovaniensium theologistarum"] hätte man nicht drucken müssen, weil sie nichts Neues enthält. Darin wird ein fleischliches Thyestes-Mahl befürwortet, an dem Vadian keinesfalls teilnehmen würde. Erfreut sich über die gute Aufnahme von [Johannes]Haller in Augsburg. Ferner bedankt er sich für Bullingers Sendungen. Was dieser wieder zurückerhalten wollte, liegt diesem Brief bei. Damit schickt Vadian auch zwei Epigramme, die [Kaspar Gräter]37 , dem [Hof]prediger des Herzogs [Ulrich] von Württemberg [in Stuttgart], zugeschrieben werden. Es wird aber auch behauptet, dass [Erhard]Schnepf das Epigramm "De Luna, Aquila et Gallo" von Regensburg aus an Freunde in Stuttgart geschickt habe, und dass es von Philipp [Melanchthon] sei (der Inhalt des Gedichts würde dafür sprechen). Andere meinen, es wäre von einem Schüler [Melanchthons], nämlich vom [Hof]prediger [Gräter]. 38 [Das zweite Epigramm]wurde anlässlich des Todes des Abtes von Blaubeuren [Ambrosius Scheerer]39 geschrieben, nachdem man in dessen Kloster einen recht großen Geldbetrag gefunden hatte, wo sich doch der Abt zu Lebzeiten stets über seine Armut beschwerte! In Lindau arbeitet man an den Stadtmauern, genauer an den Türmen und an dem nach der Brücke gelegenen Tor. Der Kaiser [Karl V.]soll nämlich heimlich erprobte Soldaten im Walgau und im Allgäu angeworben haben. Die Vorsicht der Lindauer gefällt Vadian gut. Zu Recht hat Bullinger die [mit Brief Nr. 2318 erfolgte] letzte [Sendung Vadians] an Stumpf weitergeleitet; dieser soll ja auch alles begutachten. Vadian lässt die Bürgermeister [Johannes] Haab und [Hans Rudolf] Lavater grüßen. [1. Beilage:] "De Luna, Aquila et Gallo". f2. Beilage:] "Qualis nostri seculi abbas esse debeat".
34 Wohl über die Verfolgungen in den südlichen Niederlanden, besonders über die Hinrichtung des [Antwerpener] Druckers [Jacob van Liesvelt]; vgl. Nr. 2326, Anm. 4.
35 Johann Heckler wurde am 24. November 1536 katholischer Pfarrer in Arbon. Erst 1547 ist ein Nachfolger bekannt; s. Willy Wuhrmann, Geschichte der Evangelischen Kirchgemeinde Arbon, Arbon 1922, S. 13. Von 1526 bis 1542 bezog er auch ein Messeinkommen von der nahegelegenen Schlosskapelle in Roggwil; s. Konrad Kuhn, Thurgovia Sacra. Geschichte der katholischen kirchlichen Stiftungen des Kantons Thurgau, Frauenfeld 1869, S. 17. Heckler scheint ab 1542, und zwar bis 1571, auch die Pfarrei von Wasserburg, die am Bodensee gegenüber von Arbon liegt, versehen zu haben, es sei denn, es handle sich in diesem Falle um einen anderen Priester gleichen Namens; s. Karl Heinz Burmeister und Manfred Tschaikner, Die fuggerische Herrschaft Wasserburg und die Hexenverfolgungen,
Lindenberg 2008, S. 55, Anm. 483.
36 Vgl. Kessler, Sabbata 444f. — lecker (auch Teker oder Decker) war seit 1536 Prädikant in Sommeri (14 km von Arbon). Sollte es stimmen, dass Tecker auch den Vornamen Benedikt trug (so das in Anm. 32 angeführte Buch), wird er 1566/67 noch gelebt haben (s. Kessler, Sabbata 622f) und käme hier eher als Zilli in Frage.
37 Kaspar Gräter, der kurz nach dem Tod des danach angeführten Abtes Scheerer und bestimmt noch vor Juli 1544 erneut Hofprediger des Herzogs Ulrich von Württemberg wurde; s. Pf-BadenWürtt I/2 253f, Nr. 1075; MBW-Reg XII 173.
38 Gräter war allerdings kein Schüler Melanchthons, zumal er nie in Wittenberg studierte. —Zur Unangemessenheit dieser Vermutungen über den Autor des Epigramms "De Luna, Aquila et Gallo" s. Anm. 3.
39 Gest. am 7. Januar 1544; s. Pfeilsticker II 3333.