Heinrich-Bullinger-Briefwechseledition, Universität Zürich © Heinrich Bullinger-Stiftung Arpa Bibliothek Textbreite Schriftgröße

[3071]

Oswald Myconius
an Bullinger
Basel,
6. November 1547

Autograph: Zürich StA, E II 336a, 280 (neu: 295)(Siegelspur) Zusammenfassung: Henrich, Myconius BW 1001f, Nr. 1117

[1]Myconius schätzte die Konstanzer anders ein, bis Bullinger ihn über die erfolglosen Bemühungen der Zürcher aufklärte, was ihn nun dazu veranlasst, die ganze Angelegenheit Gott anzuvertrauen. Er kann nicht begreifen, warum die Konstanzer so lange einer Versöhnung [mit Kaiser Karl V.] aus dem Weg gegangen sind, wenn sie im Reich bleiben wollen! Gewiss wollten sie ihrem Namen bei den Schwaben gerecht werden, weil sie als standhaft gelten wollten. Einige [Konstanzer], die zur Basler [Martini]messe kamen, erzählten, wie die Fünf Orte ein Mandat erließen, mit dem den Thurgauern verboten wurde, den Konstanzern zu Hilfe zu eilen, außer im Falle eines Brandes. Das entspricht doch nicht den Gepflogenheiten der Eidgenossen! - [2] Dass die Zürcher den Fünf Orten allzu ergeben sind, ist schon lange unbestritten! Myconius könnte von Zürchern berichten, die ihm erklärten, dass sie einen Feldzug der Ihren gegen diese nie zulassen würden, weil die fünf Niederlagen, die die Zürcher gegen sie einstecken mussten, gezeigt hätten, dass das Glück nicht auf ihrer Seite stehe. Daher müsse man vielmehr auf den Erhalt der Freundschaft mit den Innerschweizern achten. Doch darf Bullinger weder diese noch die in seinem letzten Brief [Nr. 3057, 11-15] durch ein [an

29 werden besteuert; s. Lexer II 673 s.v. schatzen, schetzen.
30 Sultan Suleiman I. - Das Thema der Türkenhilfe war nach dem im Juni geschlossenen Friedensvertrag mit Suleiman (s. dazu Nr. 2949, Anm. 16) in den Hintergrund gerückt, zumal diesbezüglich der Kaiser auf die Ankunft Ferdinands in
Augsburg warten wollte. Am 24. Oktober erfuhr man dann, dass Ferdinand eine neue Proposition zu dieser Frage vorlegen wolle (s. Venetianische Depeschen II 364, Anm.). Doch dazu kam es erst am 22. Mai 1548; s. RTA-JR XVIII/1 61; XVIILI3 2213-2217, Nr. 264.


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ihn gerichtetes] Schreiben veranlasste Äußerung als Ausdruck eines etwaigen Missfallens auffassen, zumal der Zusammenhalt zwischen Nachbarn bzw. Verbündeten begrüßenswert ist. Myconius wollte beides dem Freunde Bullinger gegenüber lediglich nebenbei erwähnt haben. Da aber dieser ihn nun liber die tapfere Haltung der Zürcher aufgeklärt hat, wird er nichts mehr dazu sagen. Gott erhalte und stärke jene Gesinnung zum Ruhme seines Namens! Weil die Eidgenossen Angriffen von allen Seiten her ausgesetzt sind, bedarf es nämlich mehr als je solcher mutigen, standhaften und gottesfürchtigen Männer! Den Eidgenossen hat es nur allzu lange an derartigen Menschen gefehlt, was wiederum viel Unheil mit sich brachte, sich jedoch dadurch erklärt, dass Gott dieser Welt solche Männer zu entziehen pflegt, wenn er vorhat, das Volk zu strafen. Umso inständiger muss man also heute um fromme, tapfere Männer beten, sonst ist es um die Eidgenossen geschehen! -[3] Über die Frage, ob Bündnisse [init fremden Fürsten eingegangen werden dürfen oder nicht], kann Myconius nichts sagen. Wenn die Eidgenossen sich nicht mit anderen verbünden, sind sie verloren, es sei denn, es werde ihnen erneut eine vermehrte Gottesfurcht zuteil! Doch auch wenn sie sich anderen Mächten anschließen, sind sie der Vernichtung nicht weniger ausgesetzt. Was also tun? Sich dem Herrn anvertrauen, denn dies ist am sichersten. Was aber, wenn alle anderen Orte, allen voraus die Nachbarn von Zürich, ein Abkommen mit König Heinrich II. von Frankreich schließen? Können dann die Zürcher dieses im Alleingang ausschlagen, ohne sich dadurch die anderen Orte zu Feinden zu machen? Und wenn man schon jeglichen Bund ablehnt, warum dann nicht auch den Bund zwischen den Eidgenossen, zumal er so unangemessen ist? -[4]Es schmerzt Myconius, dass Bullinger ihm mit einem Abbruch der Korrespondenz droht, falls er etwas Vertrauliches nach Straßburg berichten würde. Was für eine hässliche Unterstellung! Als wäre er so leichtsinnig! An Martin Bucer, Kaspar Hedio, Petrus Dasypodius, Theobald Nigri und an andere sendet er nur Nachrichten, die bereits in der Öffentlichkeit kursieren. Den Straßburgern verdankt er nämlich viele Informationen sowohl zum Schmalkaldischen Krieg als auch zu Frankreich, England und Schottland. Demnach antwortet auch er mit entsprechend inhaltsvollen Briefen. Doch dass er ihnen dabei Geheimnisse mitteilen würde, die Bullinger ihm anvertraut, könnte kein anständiger Mensch behaupten! Er weiß doch schon seit Langem, dass einige Eidgenossen einen sehr schlechten Ruf in Straßburg haben. Nur in Briefen an Dasypodius, der auch ein Eidgenosse ist, beklagt er sich ein- bis zweimal im Jahr über die Fünf Orte und deren Komplizen, doch nicht ohne diesen zum Schweigen zu ermahnen. Nur im letzten Fall also könnte er sich schuldig gemacht haben. Bullinger schreibt, er wisse, dass Myconius öfters an Bucer schreibe. Das stimmt. Doch die Anschuldigung, er würde diesem Inhalte aus Bullingers Briefen übermitteln, kann er nicht hinnehmen! Was denkt sich Bullinger dabei? Myconius weiß doch auch, dass es Deutsche gibt, die den Eidgenossen nicht wohlgesinnt sind. Kürzlich berichtete ein junger Schweizer [...] aus Straßburg, dass es dort Menschen gebe, die sich über einen Angriff des Kaisers auf die Eidgenossen sehr freuen würden. Soll er etwa solchen Leuten heimliche Angelegenheiten verraten? Wenn Bullinger ihn weiterhin für unzuverlässig hält, wäre ihm die Einstellung des Briefwechsels lieber! Möge Gott ihr gegenseitiges Verhältnis bessern! -[5]Seltsam, dass Bullinger nichts über das Konzil schreibt, mit dem man nichts Gutes vorhat. Es soll in der Tat schon fast beschlossene Sache sein, dass alle sich den dort gefassten Entscheidungen unterwerfen müssen. Myconius könnte mehr darüber berichten, aber es ist schon spät, da er gegen seine Gewohnheit nach dem Abendessen schreibt. -[6]Grüße, auch an Rudolf Gwalther.

S. Equidem aliter senseram de Constantia, 1 verum persuasisti, 2 rem omnem domino permittam, postquam intelligo, quam frustra cum eis actum est hactenus. Sed illud miror tarnen: Dum volunt esse imperii, 3 quare tamdiu recusarint

1 Myconius bezieht sich hier auf seine Bemerkungen in Nr. 3057,1-16.
2 In Nr. 3065,1-7.
3 Vgl. Nr. 3065,22f.


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pacem? Nimirum, ut tantillus populus nornen sibi faceret inter Suevos constantiae dicereturque esse, quod audit. Qui ad nundinas 4 venerunt huc, queri narrantur de Quinquepagicis 5 , quod mandatum miserint ad Durgeanos, ne subveniant Constantiensibus, qualiscunque necessitas incidat, nisi sit incendium: 6 Tum enim possint adcurrere situlis absque armis. Mirabile mandatum, si verum illi narrant, et contra morem Helveticum!

Porro devotos vos esse nimium Quinquepagicis 7 iampridem constitit: Novi ex vobis, qui coram rne aliquando dixerunt se in perpetuum non concessuros, ut Tigurini contra illos aliquid armati tentent; videre nanque post quinque congressus infelices 8 fortunam a se nunquam staturam; sic igitur agendum cum eis, ut in amicicia persistatur utrinque. Sed ego neque illud neque hoc eo animo dico, tanquam consilium displiceat (vicini enim, ne dicam foederati, debent inter se arctissime cohaerere) a , sed permotus ex literis huc perscriptis 9 ad amicum sic effutivi potius quam loquutus sim. 10 Quiesco praeterea, mihi crede, melius, ubi animos tum fortes tum christianos in tuis esse praedicas."11 Orabimus dominum, ut ita perdurare benigne concedat, imo ut, quod dedit, deinceps foveat et augeat in immensum ad suam gloriam. Video namque, ut opus sit vins hodie cordatis. Impetimur undique; et qui fieri possibile, ut perduremus, nisi per tales, ut quibus est robur animi et cognitio dei et Christi. Huiusmodi nanque deficientibus experti sumus iam aliquanto tempore, quae calamitates ingruant. Et solet certe dominus eripere 12 tales, dum calamitatibus obprimere populum intendit. Orandum est itaque et devotius et crebrius deinceps pro piis ac fortibus, vel periimus.

De foederationibus 13 non est, quod dicam. Si manebimus soli, de nobis actum est, nisi pietas reddatur in nobis auctior. Si iungemus nos aliis, fieri potest, ut itidem actum sit. Utrum igitur eligendum? Nimirum, quod tutius:

a Klammern ergänzt.
4 Gemeint ist die Basler Martini-Messe, die jeweils am Abend des 27. Oktober begann und bis zum Abend des 11. November dauerte; s. Jakob Ruf Laaßbüchlin sampt der schrybtafel, massen und jarmarckten uffs jar M.D.LIX., [Zürich, Christoph Froschauer d.J., 1558] (VD16 ZV2685), wo die Markttermine am Schluss angegeben werden.
5 Die Fünf Orte, die seit 1461 den Thurgau gemeinsam mit Zürich und Glarus verwalteten.
6 Wie dies kurz zuvor der Fall gewesen war; s. Nr. 2968,25-37.
7 Myconius bezieht sich hier auf seine frühere Äußerung in Nr. 3057,10f, sowie auf Bullingers Entgegnung in Nr. 3065,29-43.
8 Gemeint ist die Serie von Niederlagen
der Zürcher im Alten Zürichkrieg, der von 1436 bis 1450 vor allem zwischen Zürich und Schwyz sowie der Herrschaft Österreich ausgetragen wurde (s. dazu HLS I 273f), sowie auch die Niederlagen der Zürcher im Zweiten Kappelerkrieg.
9 Ein an Myconius gerichteter und nicht mehr erhaltener Brief; s. Nr. 3057,14f.
10 Vgl. schon Nr. 3057,15f. -Mit dem amicus ist Bullinger gemeint.
11 In Nr. 3065,33-43.
12 Zu verstehen: aus dieser Welt (durch den Tod) zu entreißen.
13 Angesprochen sind hier Bündnisse mit fremden Fürsten, wie etwa mit König Heinrich II. von Frankreich oder dem Kaiser. - Myconius nimmt hier Bezug auf Nr. 3065,53-65.


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Adhaerere nanque domino bonum est. Quid vero, si reliqui, inprimis autem vicini vestri, foedus cum Gallo percusserint et vos recusabitis? Annon habituri estis illos pro hostibus? Aut dum foedera omnia reiicimus, quid non et nostrum, 14 postquam est tam b inaequale 15 ? Hae itaque sunt causae, cur nesciam, quid sit dicendum. Sed de his satis.

Unum dolet, quod minaris nihil te scripturum amplius, 16 siquid mysteriorum mittam Argentinam, etc., quasi ego sim tam vanus, ut scribam non scribenda! Vere tu mihi inuris maculam satis turpem. Scribo ad Bucerum et ipse contra ad me. Scribo ad Hedionem, 17 ad Dasypodium, 18 ad Theobaldum Nigri, 19 etc., sed ea, quae nunc sunt ante oculos. Ex Argentina habui usque huc pleraque, quae per totum hoc bellum acta sunt. quae in Gallia, in Anglia, in Scotia aguntur adhuc, inde sunt similiter. Atque illis respondeo, ut par est. Sed quod scribam mysteria, quae tu committis, id vero nemo bonus dicit! Scio enim, quam male sint 20 quidam Helvetii illic, atque id quidem ohm expertus sum. Ad Dasypodium 21 , ut Helvetium, aliquando misi de Quinquepagicis et eorum complicibus querelas, ita tamen ut contineret apud se (atque hoc quidem feci per annum semel atque iterum, non amplius !) c . In his si peccavi, peccatum ||280v. fateor. Aliud si impingeretur, vix ferrein ab his, qui tibi dixerunt! Ais enim aliunde habere te, quod ad Bucerum scribam frequenter. Hoc ut negare nob, ita ferre non possem, si quis diceret me scribere, quae conferuntur inter te et me. Quid putas? Et ego novi Germanos, et quidem tales, qui nobis favere vix possunt. Scripsit his diebus adulescens Helvetius 22 ex Argentina: Esse ibi, qui plus quam gaudeant, dum audiunt cesarem3 petiturum Helvetios. Ego in istos effunderem, quae apud nos d geruntur clam? Si scirem ergo, quod me male fidei hominem censeres, mallem silentium tuum quam malam de me suspicionem. Sed deus meliora 24 de utrisque nobis.

De concilio quod taces, miror. Adeo male instituta audio omnia: quae decernentur Tridenti, his reliquos stare oportebit, ita nunc propemodum conclusum. 25 Plura de his scriberem, si plus temporis superesset. Praeter morem enim hec post coenam. 26

b Über der Zeile nachgetragen. -
c Klammern ergänzt. -
d Am Rande nachgetragen.
14 Gemeint ist das Bündnis zwischen den Eidgenossen.
15 Im Sinne von unangemessen, da die Verbündeten nicht die gleichen religiösen Ansichten teilten; vgl. Nr. 2967,12-20.
16 In Nr. 3065,66-72.
17 Aus dieser Korrespondenz sind einige Briefe Kaspar Hedios an Myconius erhalten; s. Henrich, Myconius BW (Reg.).
18 Myconius' Briefwechsel mit Petrus Dasypodius ist verloren.
19 Aus dieser Korrespondenz ist nur noch ein Brief Nigris erhalten.
20 Hier wohl im Sinne von male audiant.
21 Der aus Frauenfeld (Thurgau) stammte und einige Jahre Schulmeister in Zürich gewesen war; s. HBBW I 65, Anm. 164.
22 Unbekannt. 23 Karl V.
24 = Deus det meliora.
23 Vgl. auch Nr. 3066,63-65. 68-72. - Zum weiteren Verlauf des Konzils s. Nr. 2971, Anm. 24; Nr. 3005, Anm. 41; Nr. 3021, Anm. 18.
26 Vgl. HBBW XI 347,45; XVIII 297,22f; und Nr. 2943,1.


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Vale itaque in Christo feliciter cum Gvalthero. Basileae, 6. novembris anno 1547.

Tuus O. M.

[Adresse darunter:] D. Heinricho Bullingero, viro doctissimo, ministro Christi optimo, fratri in domino venerando suo.