Heinrich-Bullinger-Briefwechseledition, Universität Zürich © Heinrich Bullinger-Stiftung Arpa Bibliothek Textbreite Schriftgröße

[2297]

[Gervasius Schuler] an
Bullinger
Memmingen,
25. November 1545

Autograph: Zürich StA, E II 361, 336 (Siegelspur) Gedruckt: Culmann, Schuler 167-169 a

Schuler hat auf die beiden Briefe Bullingers [nicht erhalten] nicht geantwortet. [Johannes] Reinbold Funk ging [leider] ohne Wissen Schulers nach Zürich. Auch trafen Johannes Haller, Huldrych Zwingli [d.J.] und der Zürcher Patrizier [Hans Wilpert Zoller] am Abend des 14. November unerwartet ein, um schon am nächsten Morgen weiterzureisen. Da sie ferner nicht über Memmingen, sondern über Ulm nach Zürich zurückkehren werden, kann Schuler auch nicht durch diese schreiben. Schuler, mit Aufgaben überhäuft, schreibt in Eile. Bullin gen, der Schuler Vernachlässigung der Freundschaft vorwirft, möge dessen Amtsgeschäfte in Betracht ziehen. Schulen hat Haller einen Brief an Musculus mitgegeben, der dementsprechend Haller freundlich behandelt hat und dies wohl auch weiterhin tun wird. Die Freude der [Zürcher] über den Sieg des hessischen [Landgrafen Philipp] ist nicht verwunderlich, dient diese heroische Tat doch dem Ruhme des Evangeliums. Nach dem Sieg über das Heer des Braunschweigers [Herzog Heinrich] ist [Philipp von] Hessen gegen Graf [Otto] von Rietberg gezogen, den er von seinem Sitz vertrieben hat und dessen Herrschaftsgebiet er besetzte, da dieser den Braunschweiger gegen [die Protestanten] unterstützt hatte. Nun beruft [der Landgraf] alle Protestanten auf den [6. Dezember] zum [Schmalkaldischen Bundes]tag nach Frankfurt ein, wo über den Brieffund beim Herzog und über die Verlängerung des Bundes beraten werden soll. Von den [Memmingern] ist Balthasar Funk dorthin abgeordnet worden. [Karl V.] hat zu Regensburg ein [Religions]gespräch angesetzt; doch wird dies wohl nichts zum Ruhme Christi beitragen. In Nördlingen wollten dieser Tage die Stände des alten Schwäbischen Frieden mit [Albrecht] von Rosenberg schließen; aber-man ging ohne Ergebnis auseinander. Die neuen Spannungen, die daraus entstehen, sind wohl auf den Ratschluss des Kaisers zurückzuführen, der die Deutschen schwächen will. Kaspar Schwenckfeld beschwerte sich am 23. November durch den Abgesandten Hans Wilhelm von Laubenberg beim [Memminger] Rat über Schulers Predigt gegen ihn. Er erhebt Anspruch auf eine öffentliche Disputation und fordert den Rat auf Schulen zum Schweigen zu bringen. Die Behörden baten Schuler diesbezüglich um Rat. Schuler wird mit dem nächsten Boten den Wortlaut von Schwenckfelds Supplikation mit seiner eigenen Antwort und der des Rates senden. Da Schwenckfeld den [protestantischen] Gottesdienst in Frage stellt, sollte man diesen Heuchler auf einer öffentlichen oberdeutschen Synode widerlegen. Zwingli [d.J.] ist unterrichtet, wie es um den [Anna Bullinger]bestimmten Flachs steht; seit zwei Monaten liegt er gepackt bereit. Eigentlich wollte [Johannes Reinbold] Funk den Transport zu [Bullinger] besorgen. Warum es dazu nicht kam, wird jener vor Schulen verantworten müssen. Gerade wird Schuler wegen des Falles Schwenckfeld in den Rat gerufen. Schulers Frau [..., geb. Lübegger] ist sehr krank; Bullin gen soll für sie beten. Sie grüßt Bullinger und [Anna]. Grüße, u.a. von Bürgermeister [Balthasar] Funk und von Bartholomäus Bertlin.

Gratiam et innocentiam vitae a deo patre per Iesum Christum. Accepi iam binas abs te literas 1 , dilecte frater, quibus non respondi, fateor. Reinboldus

2287. 2289-2291. 2293-2295 wurden Bullinger durch Zwingli d.J. überbracht; s. oben Nr. 2290, 57f; unten 2302, 1-9; 2303.
a Culmanns Abdruck des Textes ist fehlerhaft
und weist Lücken auf Deshalb wird der Brief hier neu ediert.
1 Beide Briefe sind unbekannt. —Der zweite Brief wurde durch Johannes Haller überbracht; s. oben Nr. 2290, 8-13.


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Funckius 2 me inscio Tigurum abiit et sic forte per oblivionem fefellit me; nam ex animi sententia factum nequaquam puto. Postea venit ad me frater bannes Hallerus una cum Huldricho Zwinglio atque quodam patritio Tigurino , 4 5 quos tanquam mea viscera excepi una cum reliquis meis fratribus et symistis. Tandem Augustam abituri pollicebantur se per Ulmam, non per Memmingam Tigurum reversuros, 6 unde et sic spe mea ad te scribendi frustrabar. Porro decima b quarta novembris 7 nimis sero Memmingam me nihil tale sperante veniunt, postero die mane abituri.

Ego multis negotiis occupatus festinanter scribo et velut postliminio redeo. Incusas me negligentiae atque times mutuum inter nos amorem refriguisse. Quoad primum nolo tecum contendere, mi Bullingere, modo admisceas aliquot meorum negotiorum, quibus disturbor. De secundo vellem apud te tales de me suspitiones penitus evanescere; nichil enim minus tibi persuadeas velim. Ioannem Hallerum Augustam ablegavi meis literis ad Musculum 9 is per me tuo nomine commendatum hominem 10 christianice tractavit ac deinceps tractabit sine dubio.

De Catorum principis 11 victoria 12 audio vos supra modum gaudere neque id mirum puto, ut qui pro vestra prudentia heroicum illud factum ad propagandam latius gloriam evangelii a domino nobis concessum agnoscitis. Optas illum hac victoria bene uti, quod cum primis mi necessarium esse et nos fatemur atque paribus votis optamus omnes. Sensim apricantur pontificiorum techno, quibus nobis interitum minabantur simul et evangelii; sed dominus, cui soli accepta omnia sunt referenda, adfuit nobis. Post profligatum

b decima korrigiert aus vicesima.
2 Johannes (Hans) Reinbold (Rembold) Funk (1515-1587), Handelsmann von Memmingen, der mit seinem entfernten Verwandten Balthasar Funk als Angehöriger der Funk-Gesellschaft nachgewiesen ist. Seine Eltern waren Valentin Funk und Anna Stüdlin. Im Jahr 1535 heiratete er Elisabeth Gerold, geb. 1515 in Knittelfeld (Steiermark). — Lit.: Raimund Eirich, Memmingens Wirtschaft und Patriziat von 1347 bis 1551. Eine wirtschafts- und sozialgeschichtliche Untersuchung über das Memminger Patriziat während der Zunftverfassung, Weißenhorn 1971, S. 193f. 196. 198. 202f (Stammbaum). 278.
3 Huldrych Zwingli d.J.
4 Hans Wilpert Zoller.
5 Deren Reise nach Augsburg (s. oben Nr. 2284, 34-37) führte über Konstanz (s. oben Nr. 2286, 18f), Ravensburg (s. oben
Nr. 2290, 4) und Memmingen, wo sie am 14. November eintrafen und von wo sie am 15. November abreisten (s. unten Z. 9f).
6 Dies betrifft Zwingli d.J. und Zoller. Die Behauptung in Bähler, Haller 15f, Zwingli d.J. wäre erst im Januar 1546 mit Haller nach Zürich zurückgereist, ist falsch; s. oben Nr. 2287, Anm. 25.
7 Vgl. auch oben Nr. 2290, 8.
8 nach langer Zeit; s. Adam Friedrich Kirsch, Abundantissimum cornu copiae linguae latinae et germaniae selectum quo continentur vocabula omnis aevi, Wien 1775, Sp. 2212, s.v.
9 Unbekannter Brief Schulers an Musculus; vgl. oben Nr. 2287 und Anm. 2. —Zu Hallers Aufnahme durch Musculus s. oben Nr. 2290, 18-40.
10 Gemeint ist Haller.
11 Philipp von Hessen.
12 Siehe dazu zuletzt oben Nr. 2289, 34-41.


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Brunzwicensis 13 exercitum, simul et captos principes, colecto milite Catorum princeps comitem quendam a Rieperg 14 adortus est, quem propria sede fugavit atque illius ditionem bellica vi obtinuit, eo quod partes Brunzwicensis contra nos adiuvit. 15 Nunc convocat 16 omnes protestantes Francfordiam ad diem Nicolai. 17 Illic consultabitur de inventis litteris quibusdam ducis Bruntzwicensis 18 et de prorogando foeder[e]c19 Balthazar Funckius a nostris ablegatus est. Dominus det nobis haec que illi grat[a] sunt, meditari.

Caesar 20 ° colloquium indixit nostris Ratispone 21 ; nostri vero glorie Chris[ti] parum vel nichil inde accessurum verentur. Pontificia imposture sunt [...]respirationes inpiae. Inpius enim, cum in profundum ceciderit, contemnit 22 , Nostri [....]d detrectant. Dominus est, cui uni causa universa committenda est.

Hisce [diebus] Nordlinge convenerant omnes status olim Suevici foederis pro com[ponenda] pace inter se et nobilem a Rosenberge. Sed re plane infecta discessum est; 25 que res novos pariet tumultus in Germania. Vereor caesaris consilio factum esse, qui cupit Germania vires sic debilitari sensim,

c Hier und unten beschädigter Randtext durch Ausschnitt des Siegels. Einige Fehl-stelle konnten aus dem Kontext, aus Culmanns Druck und aus Johann Jakob Simlers Abschrift (Zürich ZB, Ms S 58, 128) ergänzt werden; andere bleiben offen.
d Hier wird etwa autem non zu vermuten sein; vgl. oben Nr. 2225, 10-15.
13 Herzog Heinrich d.J. von Braunschweig-Wolfenbüttel.
14 Graf Otto IV. von Rietberg.
15 Zum Zug Landgraf Philipps gegen Graf Otto IV. von Rietberg, der Herzog Heinrich unterstützt hatte, s. oben Nr. 2287, Anm. 17.
16 Gemeint ist der Landgraf.
17 Zum Schmalkaldischen Bundestag in Frankfurt s. oben Nr. 2285, 70-77 und Anm. 37.
18 Die im Zelt Herzog Heinrichs gefundenen Schriftstücke; s. oben Nr. 2285,66-69 und Anm. 34.
19 Siehe oben Nr. 2285 und Anm. 39.
20 Karl V.
21 Zum Zweiten Regensburger Religionsgespräch s. oben Nr. 2221, Anm. 5.
22 Spr 18, 3.
23 Der im Jahr 1534 zerbrochene Schwäbische Bund.
24 Albrecht von Rosenberg. Er machte Forderungen
gegen die Städte des ehemaligen Schwäbischen Bundes wegen der Zerstörung seines Schlosses Boxberg geltend; s. dazu Volker Press, Albrecht von Rosenberg. Reichsritter an der Schwelle der Zeiten, in: ders., Adel im Alten Reich. Gesammelte Vorträge und Aufsätze, hg. v. Franz Brendle und Anton Schindling in Verbindung mit Manfred Rudersdorf und Georg Schmidt, Tübingen 1998 — Frühneuzeit-Forschungen 4, S. 367f.
25 Der Tag zu Nördlingen (angesetzt auf 12. November 1545; s. PA 1469, Nr. 742) war auf dem Schwäbischen Bundestag in Donauwörth im September 1545 geplant worden. Damals wurde mit Albrecht von Rosenberg nur ein Interimsvergleich getroffen; s. Paul von Stetten, Geschichte der Heil. Röm. Reichs Freyen Stadt Augspurg, Frankfurt/Leipzig 1743, S. 383f; oben Nr. 2227, Anm. 29. Am 15. und 16. November 1545 wurde in Nördlingen ohne Erfolg verhandelt. Ein neuer Tag wurde auf den 17. Januar 1546 nach Nürnberg angesetzt, doch auch dort kam es zu keinem Ergebnis; s. Karl Hofmann, Albrecht von Rosenberg. Ein fränkischer Ritter und Reformator, in: Neues Archiv für die Geschichte der Stadt Heidelberg 7, 1907, 225.


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donec ab eo penitus subigatur et in servitutem redigatur. Sed de his providebit omnibus dominus.

Caspar Svenckfeld 23. novembris per legatum Ioannem Wilhelmum a Laubenberg ad senatum nostrum misit conquestus de sibi per me illata injuria pro publica contione Memminge. 26 Cupit causam seu potius errorem suum coram defendere. Petit michi a senatu nostro silentium imponi. Quid super haec illi respondendum, senatus meum consilium cupit audire, cui morem gerere non gravabor. Tenorem Svenckfeldianae suplicationis misissem, nisi nunctius 27 festinasset abitum, sed proximo nunctio mittam una cum responsione mea atque senatus nostri. 28 Undique profecto et clam turbat ecclesias versipellis hypochrita. Lubricus est sicque omnia agit, ut adortus possit elabi. Conqueritur se nullibi ad audientiam admissum. Omnes dehortatur a contionibus nostris et nostrorum usu sacramentorum. Dicit nostras ecclesias Christo carere simul et souda cognitione iustificationis. Cuperem ex animo cum illo in publica aliqua synodo agi, ubi saltem superioris Germanic ecclesiarum ministri convenirent ad profligandam hanc, quam sparsim seminat, heresim. Sed de his proximis literis forte maiora dabimus.

De lino uxori tue mittendo 29 novit Zwinglius, ut res se habeat. Paratum et compactum est vel ante duos menses. Functius 30 °promiserat se curaturum, ut ad te deferretur e ; sed unde factum sit, ut hactenus aliter f evenerit, ipse fortassis coram me declarabit. Proximis literis 31 ad te omnia.

Iam, dum haec scribo, ad senatum vocor in causa Svenckfeldii. Dominus det, ut g in sui gloriam tractentur omnia!

Uxor mea 32 valde egrotat. 33 Ora dominum, ut, si e re glorie illius fuerit, vita superstitem suis liberis 34 esse concedat. Salutat te tuamque coniugem 35 .

e In der Vorlage deferreretur.
f aliter vor der Zeile nachgetragen.
g ut fehlt in der Vorlage.
26 Die beiden Vertrauten Schwenckfelds, Hans Wilhelm von Laubenberg und Jakob Held von Tiefenau, waren im November 1545 vor dem Memminger Rat erschienen, um sich mündlich und schriftlich über gegen Schwenckfeld gerichtete Predigten in Memmingen zu beschweren. Der Rat reichte die Angelegenheit an den kritisierten Pfarrer Schuler weiter, der eine Antwort entwarf, die der Rat abmilderte. Lauenberg wurde zugesagt, dass man Schuler von übertriebenen Polemiken abhalten werde; s. Gritschke, Schwenckfeldertum 395.
27 Unbekannt.
28 Johannes Haller wurden die hier genannten Dokumente um den 7. Januar 1546 anvertraut; s. Schuler an Bullinger, 17. Februar
1546 (Zürich StA, E II 345, 316). Damals reiste Haller nach seiner am 2. Januar 1546 erfolgten endgültigen Anstellung in Augsburg über Memmingen nach Zürich zurück, um seine Familie zu holen.
29 Als Gegenleistung für die übermittelten Glarner Schabziger (Kräuterkäse); s. oben Nr. 2121, 84-87; 2225, 3-9.
30 Wohl Johannes Reinbold Funk; s. oben Anm. 2.
31 Im Brief Schulers vom 17. Februar 1546 (Zürich StA, E II 345, 316) heißt es: "De lino respondebit Funkius, presentium lator".
32 [...], geb. Lübegger; s. HBBW 1222, Anm. 4.
33 Siehe dazu oben Nr. 2121, 71f und Anm. 48; 2225, 33-35.
34 Im Jahr 1543 zählte Schulers Familie sechs Kinder; s. Culmann, Schuler 76.
35 Anna, geb. Adlischwyler.


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Vale, mi charissime frater, et me, ut soles, ama. Date Memminge, 25. novembris 1545.

Salutat h te Funckius consul 36 , Bartholomeus Bertlinus et fratres omnes.

[Adresse auf der Rückseite:]Clarissimo viro Heinricho Bullingero, Tigurine ecclesiae antistiti vigilantissimo, domino et fratri atque veteri amico in Christo charissimo.