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Autograph: Zürich ZB, Ms F 62, 315 (Siegelspur) Ungedruckt
[1] Hailer ist seit einiger Zeit bereit, [aus Augsburg]abzureisen. Allerdings ergab sich noch
keine passende Gelegenheit, um [von der Augsburger Obrigkeit]verabschiedet zu werden. Er
weiß nicht, woran es jetzt wieder hapert. Dabei hatte ihm ja Hans Welser so viel versprochen,
wie Haller es schon mit dem durch den offiziellen [Zürcher] Boten [Andreas Müller] übermittelten
Brief [Nr. 2978] berichtet hat. Angesichts der aktuellen Lage wird er auf seine
Entlassung dringen. Auch der Stadtschreiber Georg Frölich rät ihm nicht mehr davon ab.
Demnach wird Hailer bei der erstbesten Möglichkeit abreisen. -[2]Am vergangenen Sonntag
[18. September]begab sich Kaiser Karl V. mit einem prächtigen Gefolge und in Begleitung
der Reichsstände, vor allem der Kurfürsten, in den Mariendom. Pfalzgraf Friedrich II., Kurfürst
Moritz von Sachsen und der junge Markgraf [Johann Georg] von Brandenburg (der
ältere Kurfürst Joachim II. von Brandenburg ist nicht anwesend) wurden zur Teilnahme an der
Messfeier gezwungen, nachdem sie die evangelische Predigt besucht hatten. Soweit sind diese
armseligen Fürsten gekommen! Und wenn sie sich darauf eingelassen haben, werden auch
Menschen eines geringeren Standes ihrem Beispiel folgen. Haller ist völlig entmutigt!
-[3]Auf dem Reichstag wird zwischen den Fürsten und den Ständen immer noch über die
Glaubensfrage debattiert. Doch werden dabei die Gesandten der Reichsstädte fast nicht konsultiert.
Erst wenn die Fürsten einen Beschluss gefasst haben, werden sie diesen den Städten
unterbreiten. -[4] Der Kaiser hat an Papst Paul III. bezüglich eines neuen, in Trient abzuhaltenden
Konzils geschrieben. Er selbst wolle dabei den Vorsitz übernehmen und beide SeitenBriefe_Vol_20-482 arpa
anhören. Der Papst wird ihm wohl niemals seine Einwilligung dazu geben! Und täte er es,
wäre vom Kaiser nichts Gutes zu erwarten, auch wenn viele dumme Leute sich viel von ihm
[für die Protestanten]versprechen, da er sich bislang bemüht hat, diesen falschen Eindruck zu
erwecken. Haller aber lässt sich nicht beirren, zumal der Kaiser sich stets mit 6, 8, 12 und
sogar mehr Bischöfen umgibt (ganz zu schweigen von den Pfaffen niederen Ranges), deren
böses Wesen ihm ja nicht verborgen ist. Trotzdem vertraut er ihnen seine Seele und seinen
gebrechlichen, halbtoten Körper an, damit sie ihm nichts Böses antun und er weiterhin von
ihnen verehrt werde. Zudem ist sein Beichtvater [Pedro de Soto]. dem er völlig ergeben ist, ein
ganz übler Schuft. Und kann man denn Gutes von Nicolas de Perrenot, Herrn von Granvelle,
von Fernando Alvarez, Herzog von Alba, und den anderen erwarten? Gestern begab sich der
Kaiser für 14 Tage zur Jagd nach Bayern. -[5]Seitdem er an den Papst geschrieben hat, ist
etwas Unerhörtes passiert, das Zündstoff für einen neuen Krieg sein könnte. Am 10. September
wurde der uneheliche Sohn des Papstes, Pier Luigi Farnese, wegen seiner grausamen Tyrannei
von Adligen, die sich gegen ihn verschworen hatten, in Piacenza ermordet (diese mächtige und
wohlbefestigte Stadt liegt an der Grenze zum Herzogtum Mailand). Als die Mordtat bekannt
wurde, schrien die Bürger: "Herrsche! Herrsche!", und es wurde ein Bote [...] an Ferrante
Gonzaga, den Statthalter von Mailand, abgefertigt, der am dritten (andere sagen, am zweiten)
Tag danach mit 3'000 Mann die Stadt für den Kaiser einnahm. Als die Päpstlichen davon
erfuhren, stationierten sie in der Stadt Parma (welche ebenfalls unter der Herrschaft des
Ermordeten gestanden hatte) eine Garnison. Am 14. September wurde dem. Kaiser die Nachricht
überbracht. Alle sind der Meinung, dass die Folgen des Schmalkaldischen Krieges dem
Papst, dem Drahtzieher dieses Krieges, zum Verhängnis werden. -[6] Die See- und Hansestädte
haben sich, mit Ausnahme von Hamburg, nicht ergeben. Sie sollen sich erneut verbündet
und Herzog Heinrich von Braunschweig-Wolfenbüttel, der sein Territorium zurückerlangen
wollte, in einer Schlacht vertrieben haben. Dies berichtete gestern ein vertrauenswürdiger
Mann [...]. -[7]Aus Basel schrieb Myconius, dass ein Gesandter [...]des Kaisers in Zürich
war, doch sei die Gesamtheit der Eidgenossen noch nicht über das Anliegen dieser Gesandtschaft
informiert worden. Doktor Wolfgang [Wissenburg] schrieb an Sixt Birck, dass der
Kaiser ein Bündnis mit den Eidgenossen schließen wolle. Da lauert verborgene Gefahr, zumal
in Augsburg viel von Kriegsrüstungen gegen die Eidgenossen die Rede ist! Der Kaiser soll
Geschütze in ihre Nähe rücken lassen. Hoffentlich trauen ihm die Eidgenossen nicht, sondern
Gott allein! Denn es ist gewiss, dass alle Kaiserlichen an der Freiheit der Eidgenossen,
genauso wie an der Freiheit aller anderen, Anstoß nehmen. -[8]Daher will auch Hailer nicht
mehr länger in Augsburg bleiben, wo er gezwungen wird, scharfe Anfeindungen zu schlucken!
-[9] Wie er hörte, versuchen die Konstanzer, einen solchen fairen Frieden zu erwirken, den
der hochmütige Kaiser ihnen bestimmt niemals zugestehen wird. -[10]Dies wollte Haller mit
diesem gelegen kommenden Boten [...]mitteilen, zumal er weiß, dass Bullinger sich über seine
langen Briefe freut. Auch Haller ist es angenehm, sich auf diese Weise mit ihm unterhalten zu
dürfen. Hoffentlich wird dies bald mündlich möglich. Sollte sich eine gute Botengelegenheit
bieten, soll Bullinger erneut schreiben. Vor dem 6. Oktober wird Haller Augsburg nicht verlassen.
-[11]Grüße, auch an die Familie und an die Kollegen. Birck und Sebastian Lepusculus
lassen ebenfalls grüßen.
S. Quamvis saepius nunc pararim abitum, tamen eum commoda occasione
hactenus nondum impetravi. Promiserat Welserus, uti per tabellarium publicum
scripsi, 1 multa, sed nescio, quid nunc denuo monstri alant. Video,
quid sit res; ideo urgebo, ut me dimittant. Non disuadet nunc archigrammataeusBriefe_Vol_20-483 arpa
2 , qui hactenus aliquantisper restitit. Captabo tamen occasionem honestam.
Caesar 3 proxima die sous 4 cum pompa imperiali magnificentissima ad templum Marianum 5 profectus est comitantibus eum omnibus imperii statibus, maxime electoribus. Coacti sunt et ipsi principes Palatinus 6 , Mauritius 7 et marchio Brandenburgensis iunior 8 (narn senior 9 non adest) interesse officio missae, qui prius audierant conciones evangelicas. Eo redacti sunt miserrimi illi! Facient hoc omnes alu minores, si hoc faciunt principes, modo eis imperatum fuerit. Ademit hoc mihi factum omnem spem!
Agitatur adhuc articulus religionis. Disceptatur inter ipsos status et principes multum. 10 Urbium legati nullis prorsus adhibentur consiliis. 11 Si quid inter principes fuerit decretum, tandem referetur ad illos.
Scripsit imperator pontifici 12 de novo concilio celebrando Tridenti, cui ipse praeesse veut et utramque audire partem; quod pontifex nunquam faciet,
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nec, si faceret, illo praesidente boni aliquid sperandum esset, quamvis multi imprudentes multa sibi promittant de caesaris erga nostras partes benevolentia, quia dissimulat ita hactenus. Sed ego plane nihil fidei tribuo his opinionibus. Video enim, quam sit cinctus undique pfaffis, quorum etsi sentiat improbitatem, tamen ne quid ab eis patiatur aut existimationi suae decedat, animam et corpusculum gracile et semivivum illis curandum tradit. Nunquam enim vidi, quin 6, 8 aut 12 etiam et aliquando plures secum habeat episcopos - de inferioribus nihil dico. Praeterea poenitentiarium 13 habet pessimum nebulonem, cuius arbitrio totus regitur. Nihil dico de Granvella 14 , duca Albano 15 et aliis, ut mihi nihil de illius promittere possim bona voluntate. Heri egressus est venatum in Bavariam. Aiunt intra 14 dies rediturum. 16
Interim, dum ipse scribit pontifici, mirabile quiddam accidit et novi maximique fomentum belli. Placentiae 17 in Italia Aloysius, papae spurius, a quibusdam nobilibus propter crudelissimam eius tyrannidem coniuratione facta confoditur 10. septembris. Est autem ea urbs maxima et munitissima ducatuique Mediolanensi contigua. Extemplo facinore manifestato clamant cives: "Imperi, imperi!"18 Mittitur posta 19 ad gubernatorem Mediolanensem 20 , qui tertio post factum die (alu secundo dicunt) cum tribus millibus urbem hanc 21 in fidem caesaris accepit. Pontificii re percepta illico Parmam, quae etiam sub huius confossi potestate fuit, muniunt praesidio. 22 14. septembris caesari allatum est nuncium. Omnium nunc iudicio convertetur huius belli 23 catastrophe in pontificem, qui eius author fuit primus.
Cimbricae urbes 24 praeter Hamburgum se non ||v. dediderunt. De novo (ut aiunt) coniurarunt et Heinrychum Brunsvicensem 25 suam repetentem provinciam facto conflictu repulerunt. 26 Ita quidem bonae fidei homo 27 heri mihi narravit.
Ex Basilaea scribit mihi Myconius legatum caesareanum 28 apud vos esse Tiguri, sed quid agat, nihildum communiter ad Helvetios relatum esse. Doctor
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Wolfgangus 29 Xysto 30 scribit eum 31 cupere mire foedus cum Helvetiis. Metuo ne lateat anguis in herba. 32 Multa enim hic communiter sparguntur de apparatu aliquo bellico contra Helvetios; 33 bombardas eum plurimas in vicina admovere Helvetiis loca. Utinam non fidant ei Helvetii, sed fidant soli deo! Nam profecto eorum sicut omnium invident libertati omnes caesareani.
Hoc facit, ut et ego minus hic manere velim, 34 cum cogor devorare tam acerbas insultationes.
Constantienses, ut audio, quaerunt pacem aequis tamen conditionibus, 35 quas nunquam impetrabunt ab illo insolenti supercilio 36 . Haec nolui te latere, cum haberem nuncium opportunum 37 . Nam scio tibi non ingratum esse, si scribam multa. Mihi vero etiam volupe est multis tecum confabulari, quod, ut spero, brevi fiet coram. Velim te, si posses, per commodum rescribere nuncium. Ante 6. enim octobris hinc non solvam. 38
Vale cum familia et fratribus omnibus. Salutat te Xystus et Lepusculus foster. A[ugustae] V[indelicorum], 20. septembris 1547.
Tui studiosissimus J. H. 29 Gemeint ist Wolfgang Wissenburg, Pfarrer
zu St. Peter in Basel und seit 1540 Dr.
theol. Er war mit Sixt Birck bekannt, zumal
dieser als Student in Basel seinen
Mathematikunterricht besucht hatte; s.
Bircks Autobiograhie in seiner Laktanzausgabe
("L. Coelii Lactantii Firmiani
opera"), postum erschienen in Basel 1563
(VD16 L42), f. B4v. 30 Sixt Birck. 31 Hier ist der Kaiser gemeint. 32 Zu dieser Redensart s. Nr. 2879, Anm. 8. 35 Vgl. Nr. 2953, Anm. 4; Nr. 2957,[2]; Nr.
2971,1-8; Nr. 2983,[3]; Nr. 3001,17-23;
Nr. 3005,157-160; Nr. 3012,[5]; Nr.
3015 [2]f. 34 Laut seinem letzten Brief hatte Haller
noch vor, bis November in Augsburg zu
bleiben; s. Nr. 3005,145-148. 35 Diese Nachricht stimmt. Der Konstanzer
Rat war an einem ehrenhaften Frieden
mit dem Kaiser interessiert. Er bemühte
sich seit Mitte Juni 1547, durch Mittelsmänner
am Kaiserhof zu sondieren, zu
welchen Bedingungen eine Aussöhnung
möglich wäre. Die Konstanzer Heimlichen
aber wollten die Entscheidung über
eine Unterwerfung solange aufschieben,
bis ein solcher Frieden die Reichsfreiheit
und die Religion der Stadt gewährleisten
würde. Diese Taktik wurde allerdings
dem Großen Rat und der Bevölkerung
vorenthalten; s. Konstanz 136f. 36 Gemeint ist der Kaiser. 37 Wohl der unbekannte offizielle Zürcher
oder Augsburger Ratsbote, dem ebenfalls
der am 20. September verfasste Brief an
den Zürcher Rat (Zürich StA, A 202.1,
Nr. 29) betreffend unangemessene Geldansprüche
des Zürchers Jakob Reinhart
anvertraut wurde. Letzterer hatte während
des Schmalkaldischen Krieges als
Hauptmann gedient; s. HBBW XVII und
XVIII Reg. 38 Dies ist der letzte aus Augsburg geschriebene
Brief Hallers an Bullinger. Am 3.
Oktober verfasste der Augsburger Rat ein
Schreiben an den Zürcher Rat (Zürich
StA, A 202, Nr. 30), in dem Haller mit
Dank und Lob verabschiedet wurde (das
in Scheurer, Haller 498f veröffentlichte
angebliche Zeugnis des Augsburger Rates
zugunsten von Haller ist von Samuel
Scheurer aus dem oben genannten Brief
vom 3. Oktober ausgearbeitet bzw. erdichtet
worden). Am 6. befand er sich im
63 km südlich von Augsburg gelegenen
Kaufbeuren; s. Nr. 3034. Am 11. reiste er
durch Konstanz, s. Nr. 3040,1-4. Er und
seine Familie werden also am 12. oder
13. Oktober in Zürich eingetroffen sein.
Und ehe dies der Fall war, wurde er auf
Jodocus Kilchmeyers Betreiben schon
am 9. Oktober zum Pfarrer in Bern gewählt;
s. Nr. 3036,2-5.
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[Adresse darunter:] Clarissimo viro d. Bullingero, suo tanquam patri venerando. Zürich an M. Heinrych Bullinger.