Heinrich-Bullinger-Briefwechseledition, Universität Zürich © Heinrich Bullinger-Stiftung Arpa Bibliothek Textbreite Schriftgröße

[3073]

[Ambrosius Blarer]
an Bullinger
[Konstanz],
9. November [1547]

Autograph: Zürich StA, E II 357a, 791f (Siegelspur) Teildruck und zusammenfassende Ubersetzung: Blarer BW II 671f, Nr. 1491

[1]Blarers Cousin Konrad Zwick äußerte gestern seine Befürchtung, dass Bischof Johann von Weeze gegen Konstanz intrigieren könnte [indem er auf eine Zuspitzung der Lage von Konstanz bei Kaiser Karl V. hinwirkt]. Denn als die Konstanzer vergebens auf eine Antwort auf das an Nicolas de Perrenot, Herrn von Granvelle, adressierte Gesuch [um eine Aussöhnung mit dem Kaiser und König Ferdinand] warteten, wurden die Mandate [des Kaisers] gegen die Stadt verkündet. Nun, da sie auf eine Antwort auf ihr Versöhnungsangebot warten, hören sie wieder nichts! - [2] Die spanischen Söldner sind jetzt nach Ravensburg gelangt. Zwick befürchtet, dass sie innerhalb einer Nacht nach Konstanz vordringen und die Vorstadt Petershausen überfallen könnten. Um diese feindlichen Pläne vereiteln zu können, sollte die Konstanzer Obrigkeit beizeiten Hilfstruppen anwerben. -[3]Da man aber solche Truppen nur von den Eidgenossen bekommen könnte, bittet Zwick um Folgendes: Bullinger möge doch vorsichtig in Erfahrung bringen, ob die Zürcher es den Konstanzern erlauben würden, die Untertanen der aus Konstanz stammenden Gerichtsherren im Thurgau als Söldner einzuziehen, oder ob eine Möglichkeit bestünde, dass die Konstanzer auf eigene Kosten zwei- bis dreihundert Mann bei den Eidgenossen anwerben. Zwick erkundigt sich vorsorglich, aus eigener Initiative, und ohne Wissen der anderen, nicht einmal des Bruders Thomas von Ambrosius Blarer, nämlich genauso wie schon einst, als weder Bullinger noch die Zürcher Räte es ihm glauben wollten, und es deswegen zu bedauerlichen Missverständnissen kam! Falls nun die Zürcher Räte der Meinung sind, dass auf Zwicks Bitte eingegangen werden könnte, würde er gegebenenfalls den Konstanzer Rat dazu anhalten, ein solches Gesuch [bei den Eidgenossen] zu stellen. -[4] Wären aber die Zürcher der Meinung, dass diese Bitte keine Chance habe, und es besser wäre, auf eine solche zu verzichten, so würde Zwick diesbezüglich schweigen, bis andere Ratspersonen auf die Idee kämen, einen solchen Antrag [bei den Eidgenossen] zu stellen. Dann aber würde er im Interesse von Zürich und von Konstanz davon abraten, damit es nicht zu einer Absage [von Seiten der Eidgenossen] kommen musste, was sowohl für [die Zürcher] als auch für die Konstanzer schlimme Folgen haben wurde. -[5] Blarer schickt diesen Brief mit einem eigenen Boten [...], denn die Angelegenheit ist gewiss zugleich für Zürich als auch für Konstanz wichtig. Die spanische Kavallerie könnte leicht in einer Nacht nach Konstanz gelangen und der Stadt jegliche Erkundung unmöglich machen. Und wird Petershausen besetzt, ist Konstanz verloren! Blarer hatte schon immer diesen hinterhältigen Plan des Bischofs befürchtet. Wenn [der Angriff auf Konstanz]gelingt, würde das dein Kaiser gut passen. Wenn nicht, wurde dieser sich mit Ausreden entschuldigen. Das Ausbleiben von dessen Antwort ist wirklich sehr verdächtig! Gott beschütze die Konstanzer, und Bullinger bete für diese. -[6] Geschrieben um zehn Uhr vormittags. Blarer hat dem Boten gegenüber vorgegeben, ein

4 Der 6. November. - Diese Angabe kann aber nicht stimmen; s. oben Anm. 1.
1 Das Jahr ergibt sich aus dem Briefinhalt.


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Brief aus Augsburg sei an Bullinger zu übermitteln. Letzterer soll entscheiden, ob der Bote in Zürich warten oder sogleich wieder fortziehen soll. - [7] Grüße an Sebastian Schertlin und Marcell Dietrich von Schankwitz. -[8][P.S..] Haben die Drei Orte Truppen nach Bellinzona geschickt?

Furgeliepter herr und br[uder], es hat min l[ieber] v[etter]C[onrad]Z[wick] uff gesstert mitt mir gereddt, er trage groß sorg, der bischoff 2 habe ain untrüw 3 wider die statt im synn. Dann vorhin, wie sy vom Granvella uff ain antwurt gewartet, 4 seyen die mandata 5 ussgangen. Yetz aber, so sy sich der aussönung halber entlieh erpotten und wartind abermal uff bschaid und antwurt, 6 so komme nichts.

Dieweyl dann yetz die Spanyer gen Ravenspurg schon kommen 7 und in amer nacht a byß her auch kommen mögind, so furchte er 8 nitt unbillich 9 , man berathschlage ain überfal Peterßhaussen 10 unser vorstatt halber, und darum bedunckt inn", es were wol von hochen nöten, das sych unsere herren 12 mitt ainem zusatz 13 by zyt versechind, damitt sy dem find seinen anschlag brechind.

Diewyl er aber nitt gedencken kan, wa 14 sy amen uberkommen kondten dann allain usß den Aidgnossen, so ist syn b gantz fruntlich bitt, ir wellind ewer hofliche 15 nachfrag haben, ob litt möglich were zu erlangen, das man minen herren vergundte 16 , aintweders ire gerichtsleut 17 , die sy im Turgöw habend, zu inen in die statt ze nemmen, oder ob sy by euch ain mann, zwayoder dreihundert 18 uff iren costen ankommen mochten 19 , kainer anderen

a In der Vorlage nach. -
b In der Vorlage sy.
2 Johann von Weeze.
3 Verrat.
4 Die Konstanzer hatten an Nicolas de Perrenot, Herrn von Granvelle, am 24. September geschrieben; s. Nr. 3021,1-6; Nr. 3053, Anm. 3. Sie versicherten ihren guten Willen gegenüber Kaiser Karl V. und König Ferdinand I. und erklärten, solange gewartet zu haben, weil sie sich vor Bedingungen fürchteten, die ihr Gewissen verletzten. Sie baten zudem Granvelle, ihre Aussöhnung beim Kaiser und beim König zu erwirken; s. Zürich StA, A 205.2, Nr. 21b. - Erst am 27. Oktober war in Konstanz eine indirekte, von Georg Gienger verfasste Reaktion auf die von ihnen am 23. und 24. September verfassten Schreiben eingetroffen; s. Nr. 3059, Anm. 36.
5 Siehe dazu Nr. 3053, Anm. 4.
6 Nämlich die Antwort auf das Ende Oktober von den Konstanzern beim Kaiser eingereichte Versöhnungsgesuch; s. Nr. 3059, Anm. 37. - Die Konstanzer muss-
ten noch lange darauf warten, wie es aus den in Nr. 3088, Anm. 10, verzeichneten Verweisen hervorgeht.
7 Am Tag vor der Niederschrift dieses Briefes erreichten die spanischen Söldner Ravensburg; s. Nr. 3040, Anm. 6.
8 Zwick.
9 nitt unbillich: nicht zu Unrecht.
10 Heute ein Konstanzer Stadtteil, nördlich der Altstadt und des Rheins.
11 bedunckt inn: scheint es ihm.
12 Die Konstanzer Obrigkeit.
13 Hilfstruppen; s. Fischer VI/I 1381.
14 wo.
15 vorsichtige; s. Fischer III 1738. - Erwartet wurde also, dass Bullinger sich bei den Zürcher Geheimen Räten erkundigt.
16 gestatten würde.
17 Untertanen von (Land)gerichten; s. Grimm V 3667. - Konstanz und einige Patrizier besaßen im Thurgau Landsitze, Vogteien und Gerichtsherrschaften; s. Maurer, Übergang 40: Dobras, Ratsregiment 31f, Anm. 33.


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ursach, dann sich vor ainem uberfal zu beschirmen. Und diß thut myn lieber vetter usß getruwer fürsorg und für sich selb 20 , on aller menschen vorwissen. Das ist so war, alls es vormals etwan 21 auch war gewesen, ir aber oder die ewern nitt haben glouben wellen; darusß dann in ettlichen sachen vyl unguts missverstands gevolget. 22 Aber, so war gott lebt, so war waist ouch min aigner bruder 23 , noch nieman, nichts davon, etc. Aber min lieber vetter wolts darum gern wissen, dann so er vermainte, das es möchte erlangt werden oder das ain sölich pitt ewern herrn nitt zuwider were, so wurde er allsdann darzu rathen und es uff die ban bringen 24 .

Vermainte man aber, es möchte nitt erlangt werden und das besser were, ain solich ansuchen bescheche litt, so wurde er schweygen, und wann dann vylicht sölichs von anderen angeregt wurde, weilte er, sovyl im möglich, davor sein 25 , das es nitt bescheche. Und das were für ewere und unsere herren, das sölich ansuchen nitt geschäche, wa 26 es sollte abgeschlagen werden, dann usß dem abschlag wurde ain grosser unwill erwachsen, der mitt der zeyt weder den ewern noch unsern möchte zu gutem, aber wol zu vyl unrath 27 kommen.

Ich schick euch hieruff disen aignen potten 28 , dann gewisslich euch und unß etwas an disem uberfal gelegen. Es möchtend die reuter amer nacht

18 ain mann, zway- oder dreihundert: etwa 200 oder 300 Mann; s. SI I 273 (unter "ein").
19 ankommen mochten: erhalten könnten; s. Fischer I 228.
20 für sich seib: von sich selbst aus.
21 einst.
22 Am 30. Dezember 1546 hatte Blarer im Namen seines Cousins Zwick an Bullinger geschrieben (HBBW XIX, Nr. 2731) und nach einer Lösung für Konstanz gesucht, die unter anderem aus einem Darlehen der Vier protestantischen eidgenössischen Städte bestehen sollte, um den Konstanzern die Aufnahme einer Garnison und die Verstärkung ihrer Festungsanlagen zu ermöglichen. Dabei betonte aber Blarer, dass Zwick ohne Wissen der anderen Räte handelte (aaO, S. 461,68- 71). Mitte März 1547 erschien dann Georg Müller vor dem Konstanzer Rat und bot diesem (der nichts von Zwicks früheren Gesuchen wusste) Geld für die Anwerbung von Truppen an; doch stieß er dabei nicht auf die erwartete Begeisterung: Weder schlug der Rat das Angebot ab noch nahm er es an; s. aaO, S. 454,77- 79 und Anm. 76; Nr. 3062,34-42; Nr. 3065,11-18.
23 Thomas Blarer, damals Bürgermeister von Konstanz.
24 uff die ban bringen: in die Wege leiten; zur Sprache bringen; s. SI IV 1269.
25 weilte er davor sein: würde er [eine offizielle Anfrage des Konstanzer Rats bei dem Zürcher Rat] verhindern. - Zwick kam noch vor dem 20. November 1547 nach Zürich, um auf die Gefahr, der Konstanz ausgesetzt war, hinzuweisen und um Truppen zu bitten. Seine Bemühungen blieben allerdings erfolglos; s. Nr. 3083,12f; Nr. 3085,10-13; Nr. 3099,29- 35; EA IV/1d 884, Nr. 408; Maurer, Übergang 38f.
26 wenn.
27 Unheil. -Am Tag nach diesem Schreiben bot ein nicht näher genannter Freiherr von Schwarzenberg der Stadt Konstanz die Lieferung von Geld und Truppen an; s. Maurer, Übergang 40. Schwarzenberg, der vermutlich identisch ist mit Friedrich Spedt (Spät), einem Abenteurer und Betrüger (s. ADB XXXV 88-92), wiederholte sein Angebot im August 1548, wurde jedoch vom Konstanzer Rat abgewiesen; s. Maurer, Übergang 59.
28 Unbekannt.


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lichtlich von Ravenspurg byß zu unß her kommen und all kuntschafft uffhalten 29 . Nemmen sy dann Petershusen in, so wirts mitt unß gethon sin. Ich hab ||792 allweg 30 diß untrüw besorgt. Furcht nun, es seye mir allso vorgesein 31 , der bischoff wurde disen possen reyssen 32 . Gerieths im, so wers dem k[aiser]33 wol gemacht 34 . Wa nitt, so wirt sich der k. entschuldigen. 35 Es ist warlich gantz argwönig 36 , das meinen herren als gar kam 37 antwurt kompt. Gott well unser wächter, schutz und schirm seyn hie und ewigklich! Dem sind sampt den ewern allen getrulich bevolchen und bittend on ufffhören für unß.

Datum den 9. Novembris zu zeche uren vor mittag. Den botten mögt ir uffhalten oder hinziechen lassen, nachdem 38 euch die sachen ansend 39 . Ich hab gegen dem botten dergleychen thon, alls ob ich euch brieff von Augspurg zuschicken müsse.

Sagt dem h. S. Schärtlin und Marcellen 40 vyl dienst, gutz und grütz.

[Ohne Unterschrift.]

Lasst mich wissen, ob die drei Ort 41 gen Pellitz 42 gezogen.

29 all kuntschafft uffhalten: jeden von der Stadt zur Erkundung ausgesandten Boten festnehmen.
30 stets.
31 es seye mir allso vorgesein: ich habe es geradezu vorhergesehen; s. Fischer 1152 (s.v. also); und Grimm XXVI 1554 (s.v. vorsein).
32 disen possen reyssen: diesen üblen Anschlag ausführen. - Zwick fürchtete also, dass der Konstanzer Bischof für die späten Antworten der kaiserlichen Kanzlei auf die jeweiligen Gesuche der Konstanzer verantwortlich sein könnte, um so indirekt den erzürnten Kaiser zu einem Angriff auf Konstanz zu veranlassen und dem Bischof eine Rückkehr nach Konstanz ermöglichen.
33 Die Auflösung "k[önig]" wäre auch möglich. - Konstanz befand sich im vorderösterreichischen Gebiet, das von König Ferdinand abhing.
34 so wers dem k[aiser] wol gemacht: so käme es dem K[aiser] wohl gelegen.
35 Nämlich indem er sagen könnte, er hätte nichts vom Angriff gewusst.
36 verdächtig.
37 als gar kam: überhaupt keine.
38 je nachdem wie.
39 erscheinen.
40 Sebastian Schertlin hatte am 22. Oktober 1547 (ausgerechnet am Tag, an dem die Konstanzer die Zürcher über ihren Entschluss informierten, sich wenn möglich mit dem Kaiser zu versöhnen; s. Nr. 3053, Anm. 3) dem Rat von Konstanz mitgeteilt, dass er die Stadt verlassen wolle; s. Karl Friedrich Vierordt, Geschichte der Reformation im Großherzogtum Baden, Karlsruhe 1847, S. 369; Maurer, Übergang 40. Daraufhin zog er über Zürich (von wo er am 27. Oktober die Erlaubnis zu einer Durchreise erhalten hatte; s. Zürich StA, B IV 17, 185r.) nach Basel, wo er am 19. November eintraf und im Gasthof "Zum [Roten] Ochsen" in Kleinbasel unterkam; s. Nr. 3081,36-38. In Basel hielt er sich bis Mitte Februar 1551 auf; s. Nr. 2929, Anm. 1. - Marcell Dietrich von Schankwitz hingegen, der damals der vorliegenden Stelle zufolge Schertlin mindestens bis nach Zürich begleitet hatte, lebte weiterhin bis März 1548 in Konstanz und in Stein am Rhein; s. HBBW XIX 165, Anm. 98.
41 Uri, Schwyz und Unterwalden.
42 Bellinzona. - Zur Angelegenheit s. Nr. 3062,93-99; Nr. 3065,95-104.


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[Adresse auf f. 792a,v. :] Dem ehrwirdigen, hochgelerten herrnn Hainrich Bullinger zu Zürich, meinem fürgeliepten, vertrauten herrnn und brüder.