Heinrich-Bullinger-Briefwechseledition, Universität Zürich © Heinrich Bullinger-Stiftung Arpa Bibliothek Textbreite Schriftgröße

[2185]

Georg Frölich an
Bullinger
[Augsburg],
20. Juni 1545

Autograph: Zürich StA, E II 346, 160 (Siegelspur) Ungedruckt

Frölich ist von der freundlichen und frommen Antwort Bullingers [nicht erhalten] so beeindruckt, dass er sich kaum getraut, den Briefwechsel mit Bullinger weiterzuführen, zumal er wegen Zeitmangels, Arbeitsüberlastung und seiner geringen Fähigkeiten nicht angemessen antworten kann. Er ist bereit zu bestätigen bzw. zu wiederholen, was er über das [,,Warhaffte Bekanntnuß"]geschrieben hat, um damit der Nachwelt ganz offen seinen Glauben zu bekunden. Er dankt Bullinger, dass er ihn zu den Seinen rechnet. Er stimmt völlig mit den von Bullinger in seinem Brief formulierten Außerungen zum kirchlichen und politischen Zustand der Welt überein. Der Antichrist lockt die Menschen mit der einen Hand und droht mit der anderen. Da die von Gott vor tausend Jahren übermittelten, rätselhaften Prophezeiungen nun zum größten Teil entschlüsselt sind, ist Frölich der Überzeugung, dass die babylonische Dirne [der Offenbarung]bald vernichtet wird. Er hätte Bullinger gerne Bucers [,,Ein Christlich ongefährlich bedencken"]geschickt, doch hat er kein Exemplar davon zur Hand. Die in [Augsburg zirkulierenden] Exemplare stammen aus Straßburg. Frölich wundert sich, dass [Anton]Fugger sich bemüht, [Konrad] Gessner als Pädagogen für seine Söhne und Neffen zu gewinnen, und erhofft sich großen Nutzen davon. Die Neffen neigen offen dem [evangelischen Glauben] zu, so dass man sich um sie sogar Sorgen macht. Sie hatten [Ludwig] Carinus als Lehrer, der wohl die Berufung Gessners gefördert haben wird. Was Bullinger über Matthias Erb schreibt, freut Frölich. Da aber der zweite Bürgermeister [Jakob Herbrot] wegen einer Krankheit nicht ansprechbar ist und die Angelegenheit [der Berufung eines im Sinne von Zürich predigenden Prädikanten nach Augsburg] dem Rat noch nicht vorgelegt wurde, kann Frölich zurzeit [hinsichtlich einer Berufung Erbs] nichts Konkretes erreichen. Er würde aber Erb eine von sich aus unternommene Reise nach Augsburg anraten. Frölich würde sich dann um Erb kümmern und ihn empfehlen. Sollte dieser den Augsburgern gefallen und geneigt sein, in Augsburg zu wirken, würde man angemessene Anstellungsbedingungen aushandeln. Käme es aber nicht dazu, würde man Erb die Kosten seiner Reise großzügig erstatten. Wenn [Erh]

5 Die Sendung enthielt: "Der alt gloub", den "Bericht der krancken"und die "Hoffnung der Glöubigen"; s. unten Nr. 2195, 4-21. Die ersten beiden Schriften wurden 1544 neu aufgelegt, während die dritte im gleichen
Jahr zum ersten Mal auf Deutsch erschien.
6 Georg Frölich.
7 Katharina, geb. Ryff.


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dieser Plan nicht gefallen sollte, soll Bullinger ihm weiterhin Hoffnung machen und ihn zum Warten bewegen, bis Frölich mit den Bürgermeistern [Hans Welser und Jakob Herbrot] verhandelt haben wird. Frölich fürchtet aber, dass die Augsburger kaum jemanden berufen werden, den sie zuvor weder gesehen noch gehört haben. Erfreut sich über die Einhelligkeit der Eidgenossen, umso mehr, wenn diese erkannt haben, dass es sich [bei der Auseinandersetzung mit dem Kaiser] nicht bloß um eine Religionsangelegenheit handelt, sondern auch um die Freiheit des [deutschen Reichs]. Wenn die Helvetier sich genauso wie die Schwaben, die Meißener und die Sachsen als Germanen empfanden, würde man sich endlich gemeinsam [gegen Karl V.] wehren. Frölich hofft, Bullinger, [Kaspar]Megander, [Rudolf] Gwalther, [Konrad] Pellikan, [Theodor] Bibliander, [Konrad] Gessner und die anderen Brüder [in Zürich] nach Abschluss des todbringenden Reichstags [von Worms] zu besuchen. Man berichtet über einen (von Frölich bezweifelten) Waffenstillstand des Kaisers [Karl V.] und des Königs [Ferdinand I.] mit [Sultan Suleiman I.], dessen Bedingungen beschämend sind. Das schon zur Genüge preisgegebene Deutschland kann nur noch auf den Herrn zählen.

S. Ad literas tuas 1, vir incomparabilis, pro decoro et dignitate respondere nec temporis angustia nec moles negotiorum nec ingenii mei parvitas sinit, adeo enim me oblatione amicitia et pietatis obruisti, ut satius sit obmutescere, quam quidquam responsi tibi dare. Persuadeas ergo tibi, nisi eruditio tua spectabilis, nisi, inquam, celestis gratia et inde nascens pietas et humanitas tua a me animaret et certum faceret te meam simplicitatem equa mente laturum, iamiam desisterem tecum literis agere. Gratia autem deo nostro, qui sublimioribus animis humilium parvitatem tolerandi donum dedit.

Quantum nunc ad epistolam tuam attinet, volo ea, que antea de confessione Tigurina scripsi, 2 non solum ratificata, sed etiam repetita esse ad perpetuam sequatium memoriam, ita etiam, ut, si mihi brevi vel post multos annos emigrandum sit, totus mundus fidei mee rationem inde testari possit et id quidem non in tenebris, sed in propatulo. Deinde gratias tibi ago immortales, quod me tam pie atque humaniter inter tuos numeraveris. Spero te olim sensurum tibi non levem neque inutilem contigisse amiculum.

Reliqua tue episto[lae]b omnia ad communem reipublice christiane, tum partim prophana statum pertinent, in quibus nihil est, quo cum tibi vel in minimo dissentiam. Antichristus 3 manu una panem, altera lapidem ostentat 4 nimirum id solum innuens, quod si eius praeceptis obtemperaverimus, se nobis thesauros terre 5 daturum, sin minus, caminum ignis 6 Deus autem, pater celestis, oraculorum abstrusa mille annis retroactis delineata iam tam late dispersit, ut firmiter credam meretricem istam Babilonicam propediem interituram; 7 in quo nihil preter domini voluntatem fieri precor.

a tua über der Zeile nachgetragen.
b Randtext beschädigt; fehlende Buchstaben ergänzt aus dem Kontext.
1 Die nicht erhaltene Antwort Bullingers auf Brief Nr. 2164.
2 Siehe oben Nr. 2128, 17-22; 2164, 17-22.
3 Der Papst.
4 1, 8, 29 (ASD 11/2 250, Nr. 729).
5 Vgl. Adagia, 3, 1, 24 (ASD 11/5 54, Nr. 2024). Vgl. Mt 6, 19.
6 2,9 (ASD II/I 221, Nr. 109). — Vgl. Dan
7 Apk 13, 8; 17-19.


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Buceri concordiam 8 te videre libenter velim et ob id tibi eam transmisissem c , c , si ad manus fuisset. Sed quia non amplius eam habeam nec multum curem, nolo te fasce d hoc onerare. Argentorati repperiuntur exemplaria hoc.

Dominum Fuggerum 9 suis filiis 10 et nepotibus 11 d. d. Gesnerum pedagogum accire plurimum miror. 12 Gratulor autem nobis, quod is vir apud vos suis pignoribus praeceptorem querit. Utinam contingat illi Gesnerus! Sperarem profecto multum emolumenti hinc nasciturum. Nepotes siquidem Fuggeri alioqui natura ad pietatem sunt propensi seque tam aperte declarant, ut quidam timeant, ne propter veritatem periculum incurrant. Usi sunt enim antehac illi adulescentes praeceptore banne Carino 13 , viro iuxta pio et docto. Hinc mihi colligere est, quod consilio Carini Gesnerus ad id muneris vocetur. Dominus illi functionem honestissimam secundet. Ego vellem, ut tantus vir tantis iuvenibus proficeretur.

Ceterum, que de Mathiä Erbio theologo scripsisti, 14 valde me exhilararunt, neque praetermisi meum in hoc offitium praestare. Sed quia alter consulum 15 per egritudinem hisce diebus edes non egressus neque cum ipso

c mi in transmisissem über der Zeile nachgetragen.
d In der Vorlage facsce.
8 Wahrscheinlich das im März 1545 erschienene "Christlich ongefährlich bedencken wie ein leidlicher anefang Christlicher vergleichung in der Religion zu machen sein möchte" von Bucer, das in Straßburg gedruckt wurde (s. Nr. 2128, 24f und Anm. 9), und nicht die im März/April 1545 ebenfalls von Bucer verfasste Schrift (s. oben Nr. 2131, Anm. 35): "Wie leicht unnd füglich Christliche vergleichung der Religion und des gantzen kirchendiensts Reformation bey unß Teutschen zu finden und in das werck zu bringen".
9 Anton Fugger (1493-1560). — Dessen Neffe Johann (Hans) Jakob Fugger (1516— 1575), der zwar Vater von Eleonora (1541— 1576) und Sigmund (1542-1600) war, hatte zu diesem Zeitpunkt noch keine Neffen.
10 Anton Fuggers Söhne Marx (1529-1597) und Hans (1531-1598). — Der dritte Sohn Jakob (1542-1598) kommt nicht in Frage, weil er erst drei Jahre alt war.
11 Anton Fuggers Neffen Johann Jakob (1516-1575), Georg (1518-1569) und Ulrich (1526-1584), deren Vater Raymund bereits 1535 gestorben war.
12 Konrad Gessner reiste im Juli 1545 nach Augsburg und durfte die Privatbibliothek des 29jährigen, bibliophilen Neffen von Anton Fugger, Johann Jakob, benutzen; s. unten Nr. 2203, 2-19; Hanhart 115-118; Amerbach Korr. VI, Nr. 2761, S. 202, Z. 3-6.
13 Ludwig (nicht Johannes) Kiel (Carinus) aus Luzern. Er war von Februar 1539 bis zum Sommer 1541 Studienbegleiter des oben erwähnten Ulrich Fugger in Padua gewesen und hatte sich 1544 zusammen mit diesem in Bologna immatrikuliert; s. Contemporaries 1268; Benjamin Scheuer, Memoria an der Zeitenwende. Die Stiftungen Jakob Fuggers des Reichen vor und während der Reformation (ca. 1505— 1550), Berlin 2004, S. 264.
14 Bullinger hatte in seiner nicht erhaltenen Antwort (s. oben Anm. 1) auf Frölichs Gesuch nach einem Prediger für Augsburg (s. oben Nr. 2164, 23-42) Matthias Erb vorgeschlagen; s. Bähler, Haller 2. —Erb sollte aber dieses Angebot freundlich ablehnen; s. unten Nr. 2213.
15 Jakob Herbrot. —Der erste Bürgermeister Augsburgs, Hans Welser, schrieb am selben Tag wie Frölich einen Brief (unten Nr. 2186) an Bullinger.


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quidquam tractandum fuit, res autem ad senatum nondum deferri consultum fuit, ||160V nihil potui solidi in ea re tractare. Hoc autem pro et per me tibi scribo, id mihi valde placere, si Erbius tanquam proprio motu sibi iter ad nos institueret e , se mihi insinuaret. Tum ego is essem, qui copiam dicendi et audiendi illi faceret. Quod si tum nostris acceptus ipsi quoque apud nos versari visum fuerit, equis conditionibus contrahemus; sin minus, cum viatico non illiberali ad sua redibit. Verum si id consilii displicet (quanquam vereor non visum neque inauditum f quenquam g apud nos non intromitti)h, oro, ut virum bonum bona spe pauxillum temporis fulcias atque suspendas. Interim ego negotium cum consulibus nostris diligenter exequar et tibi ipsorum sententiam proprio cum tabellario scriptam transmissurus sum.

Confederatorum i16 unanimitatem lubens audio, presertim si agnoscunt non solum de religione, sed etiam de libertate Germanorum rem agi; cumque tam Suevi, Misnenses, Saxones quam Helvetii Germani simus, unum cor, una manus tandem erimus.

Dabo operam, ut finitis laetalibus his commitiis 17 Bullingerum meum videam, videam quoque d. Megandrum, Gvalterum, Pellicanum, Bibliandrum, Gesnerum et reliquos in domino fratres, quibus ex me plurimam salutem dicito.

Novarum rerum nihil habemus preter inducias cesaris 18 et regis 19 cum Turca 20 ignominiosissimas, 21 quarum etiam conditiones me scribere pudet. Sunt mere conspirationes adversus dominum et adversus Christum eius. 22 O mi Henriche, quam rara est pietas in terris! Germania terque quaterque prodita a solo domino celi adhuc fulcitur. Indutias tamen, quas fere universi predicant veras et certas esse, apud me dubium est.

Vale iterum atque iterum.

20. iunii 1545, celeriter et citra relectionem 23 .

Tuus ex animo Georgius Letus,

archigrammateus Auguste Vindelicorum.

e In der Vorlage instueret.
f in in inauditum über der Zeile nachgetragen.
g quenquam am Zeilenende nachgetragen.
h Klammern ergänzt.
i In der Vorlage Conferedaratorum.
16 Die Eidgenossen.
17 Der Reichstag zu Worms, der mit dem Reichsabschied vom 4. August 1545 beendet wurde; s. RTA JR XVI/2 1657— 1669 Mr 341
18 Karl V.
19 Ferdinand I.
20 Sultan Suleiman I.
21 Zu einem provisorischen dreimonatigen Friedensabkommen kam es am 19. Juni 1545; s. NBD VIII 219, Anm. 4. Erst am 10. November 1545 wurde ein anderthalbjähriger Frieden geschlossen; s. unten Nr. 2301, Anm. 33.
22 Ps 2, 2; Apg 4. 26.
23 citra relectionem: ohne den Brief nochmals gelesen zu haben.


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[Adresse k auf f. 163b,v.:] [Dem christlichen un]d 1 hochgelerten herren [Hennrichen Bullinger], vorgeern 24 der christ[enlichen Kirchen zu Zürch], meinem vertrau[ten besonnders lieben herrin und freundt.