[3097]
Autograph: Zürich ZB, Ms F 62, 521 (Siegelspur) Druck: Vadian BW VI 686-688, Nr. 1581
[1] Seitdem Vadian [dein Boten]Alexius [Knoblauch] seinen für Bullinger bestimmten Brief
[nicht erhalten] /mitgegeben hat, erhielt er nichts mehr von Bullinger. Er weiß auch nicht, ob
Alexius wieder zurückgekommen ist. Unterdessen aber haben Vadian und der St. Galler Rat an
Bullinger und an den Zürcher Rat 2 wegen einer dringenden Angelegenheit geschrieben. Die St.
Galler Handelsleute, die gestern [von der Lyoner Allerheiligen-Messe]zurückgekehrt sind,
hatten nämlich [auf der Durchreise]den Berner Rat und sogleich danach 3 brieflich auch den
St. Galler Rat auf das traurige Los des gewandten und vorbildlichen Handelsmannes aus Tours
namens Octavien Blonde! 4 aufmerksam gemacht. Kurz nach dem 1. Dezember wurde dieser
von einem abgebrühten französischen Adligen [Gabriel de Saconay]5 (der sich in der gleichen
Herberge ["La Couronne"] 6 wie Blondel aufhielt und sich als Förderer des christlichen Glaubens
ausgab) als Zwinglianer und Lutheraner, der sich überhaupt nicht an die liturgisch
bedingten Speiseverbote halte, beim Vikar 7 des Bischofs [Ippolito II. von Este]verklagt. DieBriefe_Vol_20-716 arpa
Denunziation erfolgte, weil Blondel diesem unlauteren Ankläger kein Geld borgen wollte.
Bewaffnete Bedienstete, die von einer großen Anzahl von Menschen begleitet waren, drangen
nachts in die öffentliche Herberge ein, nahmen den zusammen mit den St. Galler Kaufleuten
speisenden Blondel fest, steckten ihn ins bischöfliche Gefängnis und behaupteten danach, auf
Befehl König Heinrichs II. gehandelt zu haben. Der vortreffliche Mann modert im Kerker, nur
weil er ein Christ ist! Die zurückreisenden St. Galler hielten den Berner Rat dazu an, sich für
den guten Mann zu verwenden. Diese schrieben sogleich dem König und sandten den Brief an
Louis [Daugerant, Seigneur de]Boisrigaut (doch ohne den Letzteren über den Briefinhalt zu
informieren, da er den Protestanten feindlich gegenübersteht) mit der Bitte um dessen rasche
Weiterbeförderung. Die St. Galler Händler baten sogleich auch ihren Rat [brieflich], die
Zürcher ebenfalls zu einem derartigen Brief zu bewegen. Und so kam es zum oben erwähnten
Schreiben an Zürich. Bullinger soll nun den Zürcher Rat dazu anhalten, sich für Blondel
einzusetzen. Vadian selbst hat im Auftrag und im Namen seines Rates den Brief für den König
verfasst. Er zweifelt nicht, dass die Zürcher diesen Brief zusammen mit dem ihren so schnell
wie möglich Boisrigaut zukommen lassen werden. 8 Allerdings muss darauf geachtet werden,
dass Boisrigaut nichts über den Anlass erfährt. -[2]Heinrich II. soll dem Leutnant von Lyon
[Jean Du Peyrat]9 nachdrücklich befohlen haben, die eidgenössischen Gesandten, die zur
Taufe seiner Tochter [Claude] kommen werden, ehrenhaft zu empfangen. Deshalb erkundigte
man sich bei den St. Galler Kaufleuten, was denn den Eidgenossen am meisten Freude bereiten
würde. Die Handelsleute antworteten, dass die Eidgenossen nicht auf Prunk ausgerichtet
seien, aber einen freundlichen Umgang mit ihnen nie vergessen würden. -[3] In Frankreich
soll wie nie zuvor hochgerüstet werden. Man habe vor, 3'000 Lanzenträger zu mustern.
15'000 Kavalleristen seien schon vorhanden. Der König habe zudem angeordnet, in Tours,
Lyon und Turin je 200 größere und kleinere Kanonen zu gießen. 10 -[4]In Genf erzählte ein
savoyischer Edelmann [...]den Geschäftsleuten, dass Kaiser Karl V. nicht in den Krieg gegen
Papst Paul III. ziehen werde, wenn dieser das Konzil von Bologna wieder nach Trient verlegt. 11
Es soll jedoch stimmen, dass Kaiser und Papst aus weiteren Gründen gegeneinander erzürnt
seien, ja dass es zu einem schlimmen Krieg kommen könnte, wenn dem nicht abgeholfen
werde. Gott erbarme sich der Menschen! -[5] Die Konstanzer warten geduldig 12 und verhalten
sich ruhig. In St. Gallen wird für sie täglich von der Kanzel aus gebetet. Soweit Vadian
wejß, haben sie zu König Heinrich II. a noch keinen Boten entsandt, sondern mit diesem bis
jetzt nur durch Vermittler verhandelt. 13 Die Zeit wird zeigen, was daraus wird. - [6] DieBriefe_Vol_20-717 arpa
Spanier und Italiener [der kaiserlichen Truppen] treiben überall ihr Unwesen, besonders mit
jungen Leuten. 14 In Nürnberg ist man sich sicher, dass den Schweizern ein Krieg bevorsteht. 15
-[7]Gruß!