Heinrich-Bullinger-Briefwechseledition, Universität Zürich © Heinrich Bullinger-Stiftung Arpa Bibliothek Textbreite Schriftgröße

[3097]

Joachim Vadian
an Bullinger
St. Gallen,
21. Dezember 1547

Autograph: Zürich ZB, Ms F 62, 521 (Siegelspur) Druck: Vadian BW VI 686-688, Nr. 1581

[1] Seitdem Vadian [dein Boten]Alexius [Knoblauch] seinen für Bullinger bestimmten Brief [nicht erhalten] /mitgegeben hat, erhielt er nichts mehr von Bullinger. Er weiß auch nicht, ob Alexius wieder zurückgekommen ist. Unterdessen aber haben Vadian und der St. Galler Rat an Bullinger und an den Zürcher Rat 2 wegen einer dringenden Angelegenheit geschrieben. Die St. Galler Handelsleute, die gestern [von der Lyoner Allerheiligen-Messe]zurückgekehrt sind, hatten nämlich [auf der Durchreise]den Berner Rat und sogleich danach 3 brieflich auch den St. Galler Rat auf das traurige Los des gewandten und vorbildlichen Handelsmannes aus Tours namens Octavien Blonde! 4 aufmerksam gemacht. Kurz nach dem 1. Dezember wurde dieser von einem abgebrühten französischen Adligen [Gabriel de Saconay]5 (der sich in der gleichen Herberge ["La Couronne"] 6 wie Blondel aufhielt und sich als Förderer des christlichen Glaubens ausgab) als Zwinglianer und Lutheraner, der sich überhaupt nicht an die liturgisch bedingten Speiseverbote halte, beim Vikar 7 des Bischofs [Ippolito II. von Este]verklagt. Die

1 Vgl. Nr. 3096,[2].
2 Diese(r) Brief(e) wurde(n) spätestens am 17. Dezember ausgefertigt; s. Nr. 3096, Anm. 3.
4 Zwingend mindestens vier Tage vor dem 17. Dezember (vgl. oben Anm. 2), in Anbetracht der Beförderungszeit eines Briefes zwischen Bern und St. Gallen.
4 Er hatte sich nach Lyon auf die am Allerheiligentag beginnende Messe begeben. Nach seiner Verhaftung schwor er zunächst seinem Glauben ab, bereute es aber und wurde am 1. Februar 1548 in Paris verbrannt. Sein Hab und Gut wurde auf Geheiß König Heinrichs II. von Frankreich Antoine de Bourbon (1518- 1562), damals Graf von Vendome, vermacht; s. Vadian BW VI 704, Nr. 1595; Henrich, Myconius BW 1018, Nr. 1132; Jean Crespin, Histoire des martyrs, hg. y. Daniel Benoit, Bd. 1, Toulouse 1885, S. 528f; Théodore de Bèze, Histoire ecclésiastique des Eglises réformées au Royaume de France, hg. y. Wilhelm Baum und Eduard Cunitz, Bd. 1, Paris 1883, 5. 88f; Catalogue des actes de Henri II, Bd. 2: 1 er janvier 31 décembre 1548, hg. y. Marie-Noëlle Baudouin-Matuszek und Anne Merlin-Chazelas, Paris 1986, S. 99, Nr. 2403.
5 Sacon(n)ay (Saconnex), gest. 1580, der gerade erst am 29. Oktober zum Domkantor ernannt worden war und sich deshalb in einer Lyoner Herberge aufhielt. Im August 1572 wurde er Archidiakon und im September 1574 Domherr des Lyoner Doms St. Jean. Er sollte sich zu einem erbitterten Gegner der Hugenotten entwickeln; s. Crespin, aaO, S. 528; [Jean-Baptiste Monfalcon], Le nouveau Spon ou Manuel du bibliophile et de l'archéologue lyonnais, Lyon 1856, S. 179f; Georges Guigue, Notes sur la liste des Doyens de l'Eglise métropolitaine de Lyon du xve au XCIII e s., in: Revue d'histoire de Lyon, Bd. 1, 1902, S. 26.
6 Siehe Crespin, aaO.
7 Vermutlich Etienne Faye, gest. 1551 (s. Recueil de documents pour servir à l'histoire de l'ancien gouvernement de Lyon, hg. y. Louis Morel de Voleine und Hippolyte de Charpin, Lyon 1854, S. 132; Claude Longeon, Documents d'archives sur Etienne Dolet, Samt-Etienne 1977, S. 52, Anm. 4), und nicht Benoit Buatier, 1498-1575 (s. Bulletin de la Diana, Bd. 32/3, 1953, S. 76, wo keine Quellen angeführt werden und zwischen Benoit und Pierre Buatier vermutlich nicht unterschieden wurde).


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Denunziation erfolgte, weil Blondel diesem unlauteren Ankläger kein Geld borgen wollte. Bewaffnete Bedienstete, die von einer großen Anzahl von Menschen begleitet waren, drangen nachts in die öffentliche Herberge ein, nahmen den zusammen mit den St. Galler Kaufleuten speisenden Blondel fest, steckten ihn ins bischöfliche Gefängnis und behaupteten danach, auf Befehl König Heinrichs II. gehandelt zu haben. Der vortreffliche Mann modert im Kerker, nur weil er ein Christ ist! Die zurückreisenden St. Galler hielten den Berner Rat dazu an, sich für den guten Mann zu verwenden. Diese schrieben sogleich dem König und sandten den Brief an Louis [Daugerant, Seigneur de]Boisrigaut (doch ohne den Letzteren über den Briefinhalt zu informieren, da er den Protestanten feindlich gegenübersteht) mit der Bitte um dessen rasche Weiterbeförderung. Die St. Galler Händler baten sogleich auch ihren Rat [brieflich], die Zürcher ebenfalls zu einem derartigen Brief zu bewegen. Und so kam es zum oben erwähnten Schreiben an Zürich. Bullinger soll nun den Zürcher Rat dazu anhalten, sich für Blondel einzusetzen. Vadian selbst hat im Auftrag und im Namen seines Rates den Brief für den König verfasst. Er zweifelt nicht, dass die Zürcher diesen Brief zusammen mit dem ihren so schnell wie möglich Boisrigaut zukommen lassen werden. 8 Allerdings muss darauf geachtet werden, dass Boisrigaut nichts über den Anlass erfährt. -[2]Heinrich II. soll dem Leutnant von Lyon [Jean Du Peyrat]9 nachdrücklich befohlen haben, die eidgenössischen Gesandten, die zur Taufe seiner Tochter [Claude] kommen werden, ehrenhaft zu empfangen. Deshalb erkundigte man sich bei den St. Galler Kaufleuten, was denn den Eidgenossen am meisten Freude bereiten würde. Die Handelsleute antworteten, dass die Eidgenossen nicht auf Prunk ausgerichtet seien, aber einen freundlichen Umgang mit ihnen nie vergessen würden. -[3] In Frankreich soll wie nie zuvor hochgerüstet werden. Man habe vor, 3'000 Lanzenträger zu mustern. 15'000 Kavalleristen seien schon vorhanden. Der König habe zudem angeordnet, in Tours, Lyon und Turin je 200 größere und kleinere Kanonen zu gießen. 10 -[4]In Genf erzählte ein savoyischer Edelmann [...]den Geschäftsleuten, dass Kaiser Karl V. nicht in den Krieg gegen Papst Paul III. ziehen werde, wenn dieser das Konzil von Bologna wieder nach Trient verlegt. 11 Es soll jedoch stimmen, dass Kaiser und Papst aus weiteren Gründen gegeneinander erzürnt seien, ja dass es zu einem schlimmen Krieg kommen könnte, wenn dem nicht abgeholfen werde. Gott erbarme sich der Menschen! -[5] Die Konstanzer warten geduldig 12 und verhalten sich ruhig. In St. Gallen wird für sie täglich von der Kanzel aus gebetet. Soweit Vadian wejß, haben sie zu König Heinrich II. a noch keinen Boten entsandt, sondern mit diesem bis jetzt nur durch Vermittler verhandelt. 13 Die Zeit wird zeigen, was daraus wird. - [6] Die
a In Vadian BW wurde die von Vadian hier benutzte Abkürzung für "König" als "Kaiser" gedeutet, obwohl sie mit jener des dritten Abschnittes identisch und anders ais jene ist, die im vierten Abschnitt für "Kaiser" verwendet wurde.
8 Ehe der vorliegende Brief Vadians in Zürich eintraf, hatten die Zürcher am 23. Dezember den Entwurf ihres Schreibens bereits verfasst; s. Nr. 3096, Anm. 4.
9 Gest. Januar 1550, Leutnant von Lyon seit 1532; s. Antoine Péricaud, Notes et documents pour servir à l'Histoire de Lyon, 1547-1560, Lyon 1841, S. 1. 6; ders, Les gouverneurs de Lyon, in: Revue du Lyonnais XIII, 1841, S. 369.
10 Insofern hier nicht ein falsches Gerücht vorliegt, wird diese Kriegsvorbereitung in Zusammenhang mit dem Versuch Heinrichs II. gestanden haben, Boulogne
aus den Händen der Engländer zurückzuerobern und den Zusammenschluss der Königreiche England und Schottland (dessen fünfjährige Königin Maria Stuart eine Guise war) zu verhindern; vgl. Nr. 2996, Anm. 30; Nr. 3057, Anm. 15.
11 Siehe dazu Nr. 2908, Anm. 7; Nr. 2975, Anm. 7; Nr. 3092, Anm. 46.
12 Nämlich auf eine versöhnliche Antwort des Kaisers; s. dazu die in Nr. 3088, Anm. 10, angeführten Verweise.
13 Zu den zögerlichen Verhandlungen, die Konstanz mit Frankreich führte, s. zuletzt Nr. 3065,18-23; Nr. 3086, Anm. 4.


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Spanier und Italiener [der kaiserlichen Truppen] treiben überall ihr Unwesen, besonders mit jungen Leuten. 14 In Nürnberg ist man sich sicher, dass den Schweizern ein Krieg bevorsteht. 15 -[7]Gruß!