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Autograph: Zürich StA, E II 351, 41f (Siegelspur) Druck: Vadian BW VI 682-685, Nr. 1597
[J] Vadian hat Bullingers Brief [nicht erhalten] empfangen und sich besonders über dessen
letzten Abschnitt gefreut. Dort schrieb Bullinger, dass die Helvetier the [schon von alters her
bestehenden] vagen Verträge [die sie einander verpflichten] keineswegs in Frage stellen,
usw 2 und dass die noch bestehende Hoffnung, ihre Heimat doch noch [vor einem kaiserlichenBriefe_Vol_20-695 arpa
Angriff] schützen zu können, durch nichts Besseres gestärkt und stimuliert werden kann als
durch das Vertrauen in ihre Eintracht. Denn ohne diese zusammenschweißende Zuversicht
nützt ihnen der Ruf bereits während dreier Jahrhunderte den Angriffen der Feinde durch ein
beinahe unglaubliches Glück unversehrt standgehalten zu haben, nichts! -[2] Die anderen
von Bullinger mitgeteilten Nachrichten erfuhr Vadian ebenfalls von einem Ratsgesandten [...].
Den St. Gallern wird vieles brieflich aus der Fremde zuteil. Davon will nun Vadian einiges
berichten, auch wenn Bullinger schon etliches aus den Briefen seiner Freunde erfahren haben
wird. - [3] Die Konstanzer sollen sich mit Kaiser Karl V. versöhnt und sich entschlossen
haben, diesem den Fußfall zu leisten, 3 obwohl sie von ihm nicht die erbetenen Geleitbriefe
erhalten haben. Dass sie sich den Eidgenossen gegenüber so zurückhaltend gezeigt haben, 4
erklärt sich wohl aus ihrer Überzeugung, dass die Eidgenossen angegriffen würden, und es
ihnen demnach nicht dienlich wäre, sich diesen anzuschließen. Es ist doch ärgerlich, dass sie
so wenig von den Eidgenossen halten, als ob sie schon wüssten, dass diese einem Angriff des
Kaisers nicht standhalten würden! -[4] In Ulm sollen erfahrene Kriegsleute gesagt haben,
dass die Unterwerfung der Schweizer dein Kaiser viel mehr Mühe bereiten wird als die der
Reichsstände, dass jener jedoch davon nicht absehen und seinen Angriff besser als die früheren
vorbereiten werde. -[5]Die Lindauer sollen durch eine wichtige Gesandtschaft einen
inhaltlich unbekannten [kaiserlichen]Befehl erhalten haben. 5 König Ferdinand soll die Bregenzer
und die Feldkircher dazu aufgefordert haben, sich zu rüsten und mit Vorräten einzudecken.
Auch sollen einige Fähnlein dorthin geführt, etliche hochrangige Personen als deren
Hauptleute ernannt und den Letzteren verschiedene Aufgaben zugewiesen worden sein. Wo und
wozu, ist unbekannt. -[6] Der Kaiser soll schwer an der Gicht leiden und sich einige Tage
nicht mehr gezeigt haben. 6 Die Stände sollen sich ihm gegenüber durch einen zweijährigen
Bund verpflichtet haben, 7 was sehr bedauerlich ist! Doch es war zu erwarten, dass er trotz des
ihm entgegengebrachten Widerstands seinen Willen durchsetzen würde. -[7]Der Bischof von
Trient, Kardinal Cristoforo Madruzzo, ist in Rom angekommen und wurde von Papst Paul III.
schlecht empfangen. 8 [Zwischen Kaiser und Papst]sei man sich allein darüber einig, dass das
Konzil dazu dienen müsse, die Wahrheit auszutilgen. Doch wegen des [durch den Kaiser
veranlassten]Mordes an dem pädophilen 9 Herzog von Piacenza, Pier Luigi Farnese, ist der
Papst über den Kaiser sehr erzürnt, so dass es vermutlich zu einer fatalen Auseinandersetzung
zwischen den beiden kommen wird. Man ist jedoch der Meinung, dass zu Lebzeiten des Kaisers
der Papst Piacenza nicht mehr zurückerhalten wird, ja, dass er vielmehr der Gefahr ausgesetzt
ist, ail seine Territorien in Italien zu verlieren, wenn er sich nicht dem Kaiser anschließt.
-[8]Magdeburg soll den Kurfürsten Moritz von Sachsen angegriffen haben. Das soll diesen
dazu veranlasst haben, Augsburg am 29. November, um sechs Uhr morgens, zu verlassen. 10Briefe_Vol_20-696 arpa
Andere behaupten aber, dass der Kaiser ihn beauftragt habe, einige tausend Reiter anzuwerben.
-[9] Das Kammergericht soll seine Geschäfte wieder aufgenommen haben. Es wird sich
bestimmt an dem Willen des Kaisers orientieren müssen, besonders in den Religionsangelegenheiten,
die auf dem. Konzil als verbindlich beschlossen werden. Wer sich dabei weiterhin
den Mönchen, Nonnen und Pfaffen entgegensetzt, wird geächtet werden. Alles zielt daraufhin,
den gottlosen Haufen des Antichristen mit der Rückerstattung von dessen Gütern zufriedenzustellen.
Es ist zu befürchten, dass der Einspruch der Reichsstädte 11 den Kaiser nicht von
seinen Absichten abhalten wird. Zwar behauptet diese,; er wolle niemanden mit Gewalt von
seiner Religion abbringen, doch werden die Rechtssprüche des Kammergerichts unerbittlich
ausfallen. Gott möge eingreifen! - [10] [Die Statthalterin der Niederlande], Königin Maria
von Ungarn, hat sich zu ihren Brüdern [Kaiser Karl V. und König Ferdinand] nach Augsburg
begeben. 12 Sie kam zusammen mit zwei Witwen, nämlich mit der Herzogin von Lothringen,
[Christina von Dänemark], 13 und mit der Prinzessin [Anna] von Oranien 14 . König Ferdinand
organisiert des Öfteren Bankette für sie. Kardinal Otto Truchsess von Waldburg, Bischof von
Augsburg, ist Maria entgegengeritten und hat für sie in einer seiner Residenzen (in "Rüßmershausen"
15) ein pompöses Festgelage organisiert, an dem viele geistliche und weltliche
Persönlichkeiten aus dem Adel teilnahmen. Kurz: Alle wollen erhabener erscheinen, als sie es
sind! 16 - [11] Viele hoffen, dass Kurfürst Johann Friedrich von Sachsen noch während des
laufenden Reichstags aus der Gefangenschaft entlassen werde, doch niemand erwartet, dass
dies auch auf Landgraf Philipp von Hessen zutreffen könnte. Man ist der Meinung, dass es
dem Letzteren nicht so schlecht geht, dass aber eigenartige Machenschaften im Gange seien,
die sich hinter glänzenden Täuschungen abspielen. Nur wenige Leute haben eine gute Meinung
von Herzog Moritz von Sachsen. Das trifft auch auf einige kastrierte Hähne 17 zu.
-[12]Es soll gewiss sein, dass die Schotten im Begriff waren, sich samt ihrem Königreich und
der jungen, verwaisten Königin [Maria Stuart]18 dem König Eduard VI. von England zu
ergeben, um aus den beiden Königreichen nur noch eines zu machen, das weder England noch
Schottland, sondern Britannien hätte heißen sollen. Allerdings wollten sie ihr Land und ihre
junge Königin nicht preisgeben, ehe diese und der König von England 19 volljährig würden,
was aber die Engländer nicht annehmen wollen., da sie schon jetzt alles regeln möchten. 20Briefe_Vol_20-697 arpa
-[13]Gruß. -[14][P.s...] Vadian bittet Bullinger ganz besonders, den beigelegten Brief nach
Basel an Francisco de Enzinas weiterzubefördern. Dieser befand sich vor einigen Tagen in
Konstanz bei den Blarers. Warum er nicht wie geplant 21 wieder nach St. Gallen zurückkehrte,
inn von dort durch Zürich nach Basel zurückzureisen, weiß Vadian nicht. Vermutlich ist etwas
Unerwartetes passiert. Hieronymus Sailer stellte ihm einen Reiter [...] als Reisebegleiter zur
Verfügung. Zuvor aber hatte Enzinas ganz freundlich aus Memmingen an Vadian geschrieben
und ihm dabei einen Gruß an Bullinger aufgetragen. 22 Er ist wirklich ein liebenswürdiger
Mensch! -[15]Bullinger sei erneut gegrüßt! -[16] Vom Zürcher Chorgericht 23 hat Vadian
noch keinen Brief erhalten, sonst hätte er diesen weiterbefördert. Er wird Bullinger auf dem
Laufenden halten. -[17]Wenn Bullinger vorhatte, sich auf das Konzil zu begeben, soll er dies
Vadian mitteilen. Würde er ihn als Begleiter mitnehmen? Bestimmt besteht noch kein Grund
zur Eile, denn wenn es dem Papst mit seiner Einladung an die Eidgenossen, doch das Konzil
zu besuchen, ernst gewesen wäre, hätte er diesen bereits Geleitbriefe zukommen lassen. 24 Doch
bis dann werden die protestantischen Orte ihn eines Besseren belehren 25 und ihm im Einzelnen
darlegen, unter welchen Umständen (von denen er weder etwas gehört hat noch hören will) es
wirklich erforderlich wäre, christliche und gültige Konzilien zu organisieren. Gott möge uns
befähigen, die Wahrheit zu lieben!