[3076]
Autograph: Zürich ZB, Ms F 62, 529f (Siegelspur) Auszüge in deutscher Ubersetzung von Bullingers Hand: Zürich ZB, Ms A 43, 19 1 Druck: Vadian BW VI 674-677, Nr. 1573 Teilübersetzung: Joachim Vadian. Ausgewählte Briefe, hg. y. Ernst Gerhard Rüsch, St. Gallen 1983, S. 98-100
[J]Als Vadian Bullingers letzten Brief [Nr. 3062 vom 31. Oktober und 4. November] beantworten
wollte, konnte er diesen nicht mehr finden. Vermutlich hat er ihn in der Eile versehentlichBriefe_Vol_20-661 arpa
[mit Nr. 3072] bei der Zurückerstattung der ihm von Bullinger zugestellten Beilagen 2
zurückgesandt. Doch ist das nicht schlimm, da er sich an dessen Inhalt noch sehr gut erinnert
und auch sonst Briefe Bullingers mit weniger vertraulichen Mitteilungen als der letzte dem
Ofen zu übergeben pflegt, um etwaigen Missbräuchen vorzubeugen. -[2]Der Sieg der Engländer
[über die Schotten]erfreut ihn sehr, da der englische König Eduard VI. die Wahrheit
liebt und die Irrtümer des römischen Papstes (des Todfeinds Christi), denen seine Vorfahren
noch ergeben waren, entkräftet und abschafft. Mögen die Liebhaber des Evangeliums überall
siegen! -[3]Aus Augsburg erfährt man, dass die beiden Hauptschuldigen an all den gegenwärtigen
Unruhen, nämlich der Augsburger Kardinal Otto Truchsess von Waldburg und der
Trienter Bischof Cristoforo Madruzzo, von Kaiser Karl V. unter Zustimmung der drei Reichsstände
(nämlich der schillernden bzw. kurzsichtigen Kurfürsten und Fürsten wie auch der
Prälaten 3 deren ungünstige Gesinnung Christus gegenüber allen bekannt ist) nach Trient
entsandt wurden, 4 um die Weiterführung des begonnenen Konzils zu bewirken. Unterdessen hat
der Kaiser einen Mönch [...] von seinem Hof 5 den Mainzer Weihbischof [Michael Helding]
und einen Doktor aus Köln (vielleicht Johannes Gropper 6 ) beauftragt, sich schon vor Abschluss
des Konzils von Trient über die Erhaltung der Religion zu beraten. Was diese vorhaben,
kann man schlechthin schon ahnen. Niemand von den anderen Ständen oder vom [protestantischen]
Lager wurde hinzugezogen. Die klügeren Städte haben zwar dagegen opponiert,
doch die Verachtung, die man ihnen und ihren Pfarrern entgegenbringt, zeigt, wie wenig
Gewicht das haben wird. -[4]Kurz gesagt, den Ersteren wird alles erlaubt, den [Protestanten]
aber nicht einmal das genehmigt, was sich ziemt. Viele sind der Meinung, dass diese
höchst ungünstige Lage noch einige Jahre anhalten wird, denn so sehr wüten Gräuel 7 und
Gottlosigkeit! Man darf nicht einmal erwarten, dass die Frömmigkeit sich auch nur teilweise
behaupten wird. Trotzdem bleibt Vadian zuversichtlich, da die Kirche Christi sich schon von so
mancher misslichen Lage erholt hat. -[5] Vadian schickt hier den für die Aufhängung Johannes
Hoffmeisters ausgesuchten Galgenbaum, 8 den Martin Frecht auf Vadians Bitte hin
(weiche Vadian in Hinblick auf Bullinger geäußert hatte) seinem letzten Brief beigelegt hat. 9Briefe_Vol_20-662 arpa
Vadian fügt dem Dokument noch einige Psalmen bei, die Frecht ihm ebenfalls zukommen
ließ. 10 -[6]In Ulm lässt die Pest nach, aber in Augsburg grassiert sie dermaßen, dass letzte
Woche täglich mehr als 50 Menschen daran starben. -[7]Angeblich bereitet Karl V. einen
riesigen Feldzug vor, während von König Ferdinand berichtet wird, dass er sich unerhört
herrisch aufführe. Der Kaiser soll die Hansestädte begnadigt haben, die ihre Garnisonen
zusammen mit dem Bremer Truppenführer [Christoph von Oldenburg] entlassen haben sollen.
11 Es heißt, der Kaiser leide stark an der Gicht. Man weiß noch nicht, wohin er sich im
nächsten Frühling mit seinen Streitkräften wenden wird: Vielleicht nach Helvetien, wie es von
allen Liebhabern der Freiheit befürchtet wird. Vadian zweifelt nicht, dass Machenschaften im
Gange sind, die viele dazu verleiten sollen, sich eine Unterwerfung der Helvetier zu versprechen,
zumal nicht nur der Kaiser danach trachtet, sondern auch alle, die auf die seit zwei
Jahrhunderten währenden Freiheiten der Eidgenossen voller Neid sind. -[8]Es ist also ganzBriefe_Vol_20-663 arpa
wichtig, dass die Eidgenossen weiterhin fest zusammenstehen. Nur ein solcher Zusammenhalt
kann sie retten. Dadurch wird ja weder der Glaube preisgegeben, noch folgt daraus, dass man
die Sitten der [Innerschweizer]12 übernehmen müsste. Ein Zerwürfnis mit diesen darf keinesfalls
in Kauf genommen werden, wenn die Eidgenossen ihre Freiheiten nicht verlieren wollen.
Vielmehr ist zu erwarten, dass die Gemütslage der [Innerschweizer]sich verbessert und
diese in zivilen Angelegenheiten schließlich enger mit den [Vier protestantischen Orten] zusammenarbeiten.
lin Evangelium hat der Herr den Gebrauch des Schwertes zugunsten des
staatlichen Wohls nicht verboten, ja sogar genehmigt und bestätigt. Und da Allianzen ganz
besonders die zivile Stabilität gewährleisten (was schon die von den innerschweizerischen
Vorfahren eingegangenen Bündnisse belegen), ist bestimmt kein Abkommen auszuschlagen,
weiches ehrenhafte Bedingungen im Hinblick auf Notfälle darbietet. 14 Auch die Entstehungsumstände
und die beschlossenen Klauseln des Schmalkaldischen Bundes waren ehrenhaft. 15
Doch hielten die Hauptverbündeten nicht zusammen! Im Falle der Eidgenossenschaft hingegen
geben sowohl das zu garantierende gemeinsame Heil des Vaterlandes als auch die in den
verschiedenen Orten der Eidgenossenschaft bereits bestehenden Blutsverwandtschaften guten
Grund zur Hoffnung, dass die Eidgenossen sich die Treue halten und sich nicht verraten
werden, auch wenn sie derzeit durch die ihnen angebotenen Geschenke in Versuchung geraten.
Demnach sollte Bullinger seine Obrigkeit dazu anhalten, nicht getrennte Wege zu gehen, wenn
in der gegenwärtigen Lage die anderen Orte der Meinung sind, dass ein Bündnis mit dem
französischen König Heinrich Il. einzugehen ist, zumal es sehr unanständig wäre, in so gewichtigen
staatlichen Angelegenheiten sich nicht an die Meinung der Mehrheit zu halten, und
man so Anlass zu Unmut und Argwohn geben würde. Bullinger wird noch erleben, wie Kaiser
Karl V. Forderungen an die eidgenössischen Orte stellen wird, um einen Vorwand zu einem
Krieg gegen sie zu haben und sie auf diese Weise wieder gefügig (wie es die Deutschen sagen)
zu machen. Er wird besonders an der Grenze des Rheins und des Bodensees sowie jenseits der
Alpen, am angrenzenden Gebiet zu Mailand, dafür sorgen, dass den Eidgenossen keine Lebensmittel
mehr zugeführt werden, und sie angreifen. 16 Wenn dann Frankreich den Eidgenossen
nicht offensteht, wird der Kaiser diese durch Hungersnot bändigen und bezwingen. Darum
ist es so wichtig, dass es zu einem Vertrag mit Frankreich kommt, der ohnehin schon existiert. 17
-[9]Den Ravensburgern wurden zwölf Halbfähnlein aufgezwungen: Im Ganzen 1'800 Garnisonssoldaten,
darunter 600 Kavalleristen. 18 Es soll sicher sein, dass die Lindauer sich von
diesen gottlosen, diebischen Knechten freigekauft haben. 19 - [10] Was Bullinger über die
Konstanzer schreibt, 20 stimmt. Es wäre nicht möglich, ihnen militärische Hilfe zu gewähren,
ohne zugleich den Krieg auf die Eidgenossenschaft heraufzubeschwören. Es wäre also weniger
gefährlich, wenn die vom Kaiser bedrängten Konstanzer Truppen anheuern würden, auch
wenn diese den Helvetiern zur Last fielen. Vadian befürwortet jedoch eine Vermittlung zugunsten
der Konstanzer beim Kaiser, sei es durch eine Gesandtschaft oder auf brieflichem Wege.
Die Helvetier hätten nämlich Grund genug, vom Kaiser zu verlangen, die Unversehrtheit derBriefe_Vol_20-664 arpa
[Vier protestantischen] Städte sicherzustellen. -[11] Wenn Papst Paul III. die Eidgenossen
mit Täuschungsmanövern zur Beschickung des Konzils anhält, 21 sollte die Angelegenheit bei
einem öffentlichen Treffen von Gelehrten (von den Kirchenvorstehern der Vier Städte und einer
Auswahl ihrer Landpfarrer) besprochen werden, damit es zu einem einmütigen Beschluss
käme. 22_[12]Gruß. Sobald Bullinger Nachrichten von der geplanten Tagsatzung 23 erhält, soll
er diese mitteilen. 2-I