Heinrich-Bullinger-Briefwechseledition, Universität Zürich © Heinrich Bullinger-Stiftung Arpa Bibliothek Textbreite Schriftgröße

[3094]

[Georg Frölich
an Bullinger]
[Augsburg],
17. Dezember 1547

Autograph: Zürich StA, E II 346, 231 (ohne Siegel) a Ungedruckt

[J]Frölich ist froh, dass Bullinger seinen letzten Brief [Nr. 3078?]erhalten hat. Wenn er sich recht erinnert, enthielt dieser eine wichtige Mitteilung. Nun hat er sich über den ihm von Christoph Froschauer übermittelten Brief Bullingers [nicht erhalten] sehr gefreut. Ein so wertgeschätzter Mann wie Bullinger braucht sich nicht für die ihm von Frölich erwiesene Treue und Gunst zu bedanken, zumal dieser nicht wüsste, wie er sich bei einem derartigen, ihm von Gott vermittelten Freund auf gebührende Weise revanchieren könnte. Bullinger darf allerdings stets auf Frölich zählen, auch wenn Himmel und Erde vergingen! [2] Die Reichsstände haben die Konzilsfrage gänzlich Kaiser Karl V. anvertraut, der wiederum die Lösung der Religionsfragen völlig dem Konzil von Trient anheimstellt. Dies würde auch Papst Paul III. gutheißen, solange ihm die Macht, die Heilige Schrift und die Konzilsbeschlüsse auszulegen, nicht streitig gemacht würde, solange nur die Kardinäle berechtigt blieben, den Papst zu wählen, und andere derartige Ansprüche nicht in Frage gestellt würden. Doch ist man sich über diese bereits alten Bedingungen nicht einig. Und solange sie dein Papst nicht gewährt werden, will Letzterer kein Konzil einberufen. Kardinal Cristoforo Madruzzo ist schon längst in Rom und hat den Papst vor die Wahl zwischen Frieden und Krieg gestellt, und zwar Krieg, wenn dieser nicht sofort die Wiederaufnahme des Konzils in Trient anordnet. [3]Zudem soll der Beichtvater des Kaisers, Pedro de Malvenda, sich mit anderen bemühen, ein "Interim" auszuarbeiten. Mit "Interim" ist eine provisorische Regelung gemeint, an die sich die protestantischen Kirchen halten sollen, bis das Konzil [über die strittigen Religionsfragen befunden hat]. Man kann sich wohl denken, was für ein "Interim" die damit beauftragten Theologen oder vielmehr Mörder hervorbringen werden! [4] So sehr die Eintracht den Helvetiern heilbringend ist, so sehr ist sie dem Feind ein Dorn im Auge. Allerdings glauben nur wenige, dass diese Eintracht so stark sei, dass ein mit Gold beladener Esel keinen Streit unter jenen auslösen würde. Die großen Fragen, denen die Kundschafter im Geheimen nachgehen, sind, ob die Helvetier sich auf den Krieg vorbereiten, ob sie Hilfttruppen von König Heinrich II. von Frankreich erwarten, usw. Man ist sich aber fast sicher, dass die Innerschweizer die anderen Verbündeten im Stich lassen werden. Die Taufe der Königstochter [Claude] könnte den Eidgenossen eine gute Gelegenheit bieten, sich näher zu kommen, es sei denn, dass es wegen des römischen Charakters der Taufzeremonie nicht dazu käme. Denn wenn Abgeordnete der protestantischen Orte an der Taufe teilnähmen, würden sie am Götzendienst Anteil haben. Wenn sie aber die ehrenhafte Einladung des Königs ausschlügen, würden sie diesen beleidigen. Frölich ist wirklich gespannt, was die Eidgenossen nun tun werden, wobei sie vielleicht die Zeremonien rund um eine Tauft' nicht als entscheidend betrachten. [5]Johannes Haller hat Frölich einen langen und freundlichen Brief geschrieben, den er beantwortet hätte, wenn er nicht so beschäftigt wäre, dass er kaum zur Ruhe kommt. Bullinger möge ihn also bei Hailer entschuldigen. Besonders erfreulich ist, dass nun beide der Zürcher Kirche als Kollegen dienen werden! Haller ermahnte Frölich, sich vor den Hunden zu hüten und nicht in die Fallen blutrünstiger Menschen zu tappen, damit er noch länger dem Gemeinwesen von Nutzen sein könne. Leider bedarf das Augsburger Staatswesen der Dienste des geringfügigen Frölich nicht mehr, und es warb stattdessen andere an, nämlich Verräter, die alles aufs Spiel setzen. Die Gottlosigkeit der Vorgesetzten hat Frölich zwei Mai dazu veranlasst, um seine Freistellung zu bitten. Ein drittes Mal flehte er die Ratsherren an, ihn doch nicht länger den Wölfen preiszugeben

a Ohne Schnitt- oder Nadelstichspuren.


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zumal er ihnen nicht mehr dienlich sein könne. Sie wollten aber nichts hören. Vor der sich anbahnenden Katastrophe würde er gänzlich verzweifeln, wenn er nicht wusste, dass Kraft und Rettung bei Gott bereitliegen. Alles andere wird der vertrauenswürdige Briefbote [Froschauer] der Reihe nach erzählen. -[6] Die Zürcher Pfarrer erhalten hiermit das Buch, das Johannes Pedioneus über den [Schmalkaldischen]Krieg zur Schande seines Vaterlandes und der Wahrheit verfasst hat! Dem ist eine Widerlegung beigefügt. Frölich wurde sich freuen, wenn diese so schnell wie möglich veröffentlicht würde, nachdem Rudolf Gwalther oder irgendjemand anderes sie stilistisch überarbeitet hat. Frölich ist gerne bereit, für die Kosten aufzukommen und als Entgelt nur einige Exemplare zu erhalten. Ein hervorragender Poet [Thomas Naogeorg] hat mit seiner Feder diesen undankbaren Menschen kurz und gebührend in die Schranken gewiesen! - [7] Gruß, auch an Haller, an dessen Familie und an aile Kollegen.

S. Te meas proximas 1 bona fide recepisse gaudeo. Inerat, ni fallor, illis aliquid alicuius ponderis. 2 Vicissim tuas 3 mihi per Froschouerum 4 tabellarium plus quam gratissimum accepi. Nec vero est, quod pro mea fide et benevolentia in te gratias agas, cum ea sint longe minora, quam ut apud te, virum incomparabilem et mihi desyderabilissimum, vel favorem vel gratiam mereantur. Fateor ingenue me tantis, quos dei benefitio habeo, amicis pro dignitate nihil gratificari posse. De animo autem et gratificandi voluntate, mi ornatissime Bullingere, nihil dubites! Ego perpetuo tuus ero. Vel si caelum ruat 5 vel elementa deficiant, fortissime tibi adherebo.

Consilii 6 negotium per imperii ordines caesari 7 penitus est commissum. 8 caesar vero Tridentino consilio summam relligionis committit, nec papa 9 renueret illud, 10 si ipsi potestas interpretandi scripturas et consilia, electio papae penes tantum cardinales, et eiusmodi praerogativae ante principia consilii salva et impetita manerent, id quod iamdudum ab imperatore flagitavit comminitans, nisi hoc prorsus sibi concedatur, se consilium non esse celebraturum. Certatur ergo in huncusque diem super hoc articulo. Abiitque cardinalis

1 Der letzterhaltene und vermutlich hier gemeinte Brief Frölichs war vom 19. November 1547 (Nr. 3078).
2 Vielleicht die Nachricht, dass die Ankunft der Königin Maria von Ungarn in Augsburg unmittelbar bevorstand (s. Nr. 3078,12f), was zur Folge hatte, dass Frölich sein Haus anderen zur Verfügung stellen musste (s. Nr. 3084,1 1f).
3 Ein nicht erhaltener Brief Bullingers.
4 Der Zürcher Drucker Christoph Froschauer hatte gerade die "Eidgenössische Chronik" von Johannes Stumpf (evtl. noch ohne Register) fertiggedruckt und brachte damals schon Exemplare (darunter die zwei, die Frölich vorbestellt hatte) nach Augsburg. Er traf zwingend vor dem 17. Dezember (dem Abfassungstag des vorliegenden Briefes) in Augsburg
ein; s. Nr. 3070,21-25; Nr. 3095,4-9. - Zur neu erschienenen "Chronik" s. Vadian BW VI 691, Nr. 1584; Nr. 3096; Urs B. Leu, Reformation als Auftrag: Der Zürcher Drucker Christoph Froschauer d.A. (ca. 1490-1564), in: Zwa XLV, 2018, 37-44. 66 und Anm. 285.
5 Vgl. Adagia 1, 5, 64 (ASD 11/1 540f, Nr. 464).
6 Im Sinne von concilii. - Zur Orthographie s. Nr. 2960, Anm. 22.
7 Karl V.
8 Siehe Nr. 3017, Anm. 10; Nr. 3023,13- 15; Nr. 3050,[4]; Nr. 3069,16-21; Nr. 3070,36f; Nr. 3076,[3].
9 Paul III.
10 Vgl. aber Nr. 2975, Anm. 7; Nr. 3090,[7]; Nr. 3092, Anm. 46; Nr. 3097.[4].


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Tridentinus 11 iamdudum Romam pape vel bellum vel pacem nunciaturus: helium nimirum, nisi Tridenti consilium quam ociissime congreget. 12

Caeterum neque hoc omnino vanum est, quod Malevenda 13 confessor et caeteri laborent modo, ut faciant unum Interim: Interim autem vocatur formula, secundum quam ecciesiae nostrae interea temporis, donec consilium habebitur, regantur. 14 Quale autem hoc Interim futurum sit, ex artificibus 15 ipsius, nempe interemtoribus, colligi potent.

Helvetios esse concordes ipsis saluberrimum, 16 adversariis vero ingratum est, quanquam pauci craedant omnino inter vos convenire vel concordiam ita firmam esse, quin asinus auro onustus non possit dissidium excitare. 17 Magna profecto quorundam exploratorum questio clam est, num Helvecii hello se parent, num a Gallo 18 auxiliares copias expectent, etc. In hoc quasi certi sunt: quinque Pagos ab aliis defecturos. Filiola Galli 19 commodam daret conveniendi occasionem, nisi caeremoniae Romane obstarent. Si miseritis 20 legatos, qui adsint baptismati, participabitis cum idololatris; si oblatos honores recusabitis, indigne rex feret. Avide igitur scire cupio, quid facturi

11 Cristoforo Madruzzo, Bischof von Trient; s. Nr. 3074, Anm. 27; Nr. 3076,[3]. Er war am 6. November aus Augsburg abgereist und am 23. November in Rom eingetroffen; s. Nr. 3092, Anm. 46.
12 Der Papst hatte nämlich das Konzil nach Bologna verlegt; vgl. Nr. 2908, Anm. 7.
13 Der Dominikaner Pedro de Malvenda.
14 Zur damals bereits begonnenen Arbeit an dem Interim s. Nr. 2908, Anm. 7; Nr. 2994, Anm. 2; Nr. 3017, Anm. 10. - Zunächst sollte es zu der handschriftlich gebliebenen "Dezemberformel" kommen, die vorsah, dass die Evangelischen sich an die Dogmen und Zeremonien der "Alten Kirche" zu halten hätten, bis es zu den definitiven Beschlüssen des Konzils kommen würde. Die "Dezemberformel" sollte daraufhin gekürzt und von den katholischen Theologen Julius Pflug und Michael Helding unter Beteiligung des brandenburgischen protestantischen Theologen Johannes Agricola bis März 1548 überarbeitet ("Märzformel") werden. Diese Überarbeitung wurde von Philipp Ulhard unter dem Titel "Formula reformationis per Caesaream Maiestatem statibus ecclesiasticis in comicus Augustanis ad deliberandum proposita et ab eisdem ... recepta" gedruckt (VD16 D967); s. Eike Wolgast, Die Formula reformationis,
in: Das Interim von 1548/1550. Herrschaftskrise und Glaubenskonflikt, hg. von Luise Schorn-Schütte, Heidelberg 2005, S. 3441.
15 Gemeint sind die Theologen, die vom Kaiser (der mit dem darauffolgenden ipsius gemeint ist) beauftragt wurden, das Interim auszuarbeiten. Darunter befanden sich die beiden Beichtväter des Kaisers, Malvenda und Pedro de Soto, die Mainzer und Hildesheimer Weihbischöfe, Michael Helding und Balthasar Fannemann, sowie der Kölner Karmeliterprovinzial Eberhard Billick; s. Horst Rabe, Zur Entstehung des Augsburger Interims 1547/48, in: ARG XCIV, 2003, 36.
16 Bullinger verbreitete damals gern die Nachricht von einträchtigen Eidgenossen, mit dem Ziel, die Feinde von einem Angriff abzuschrecken; s. Nr. 3088, Anm. 8; Nr. 3090,[1].
17 Frölich glaubt also, dass die Innerschweizer die protestantischen Orte fallenlassen würden, wenn der Kaiser ihnen eine Goldsendung zukommen ließe.
18 Heinrich II.
19 Claude. - Zu dieser Angelegenheit s. Nr. 3085,22-26; Nr. 3096,[5].
20 Subjekt sind die Vier protestantischen Orte der Eidgenossenschaft.


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sitis, quanquam forsan ceremoniae circa baptismum non magnopere referre videantur.

Dominus et frater meus Hallerus prolixam adeoque delectabilem ad me dedit epistolam, ad quam responsurus fuissem, nisi tot obruerer negotiis, ut fere vix locus sit corpori reficiendo. Amabo igitur, me apud illum excuses. Supra modum tibi et illi congratulor sanctissimum consortium 21 et ecclesiæ vestrae salubre ministerium. Commonefacit Hallerus me inter caetera, ut Caveam a canibus, 22 ne incidam in sanguineorum casses, 23 diutius reipublicae profuturus, etc. O mi Hallere, hec nostra respublica tenui Laeto nihil amplius opus habet! Alios nempe rubripileatos 24 sibi assumsit, penes quos stant et cadunt omnia. Ego bis indignabunde dimissionem pecii 21 et hoc propter primorum 26 impietates. Tercio enixissime oravi, ne me, qui nihil amplius prodesse possim, diutius inter lupos periclitari sinant, sed amandent. Verum neque hoc quidem impetrare potui, ita aspiciens ob oculos positam calamitatem et interitum, ut iamiam consumerer, nisi fortitudo et auxilium ex alto presto esset. 27 Reliquum optimus tabellarius 28 , cui, ut debes et soles, credito. Recensebit ex ordine.

Postremo en accipietis vos, fratres Tigurini, quem librum Pedioneus De bello Germanico scripserit, quasque notas tam patrie quam veritati inusserit. 29 Recipietis quoque hic epistolam apologeticam, quam velim, si fieri liceat vel possit, quam citissime excusam, ita tamen, ut per dominum Gvaltherum vel quempiam alium prius revideatur et limatior facta sit. Ego lubens numerabo pretium omne, ut tantum aliquot exemplaria percipiam. Est quidam insignis poeta 30 , qui brevi stilum in ingratum hominem digne stricturus est.

21 Johannes Haller wurde anstelle des Mitte Oktober verstorbenen Heinrich Buchter (s. Nr. 3041,13-22) zum ersten Archidiakon des Zürcher Großmünsters ernannt und demzufolge Bullingers Kollege. - Dass er diese Stelle erhalten würde, wurde schon Ende Oktober vermutet; s. Nr. 3054,4-6. Wann genau er angestellt wurde (vermutlich Ende November/Anfang Dezember), ist unbekannt.
22 Phil 3, 2.
23 Vgl. z.B. Ps 59 (Vulg. 58), 2-4.
24 Gemeint sind Verräter bzw. Bösewichter; vgl. Wander III 1250f. - Dass rotes Haar als Hinweis auf einen unaufrichtigen Menschen galt, zeigt schon die mittelalterliche Vorstellung, wonach Judas Iskariot rothaarig gewesen sei; s. Peter Dinzelbacher, Judastraditionen, Wien 1977.
25 =petii.
26 Die politischen Hauptakteure der Stadt Augsburg, darunter Hans Welser, dem Frölich misstraute.
27 Vgl. Ps 121 (Vuig. 120), 1f; 144 (Vuig. 143), 7.
28 Der schon oben erwähnte Froschauer.
29 Angesprochen ist Johannes Pedioneus' Schrift De bello Germanico liber (VD16 P1110f) die Ende Juli oder Anfang August in Ingolstadt erschienen war; s. Nr. 3023, Anm. 29.
30 Der damals in Kaufbeuren wirkende Thomas Naogeorg. - Am 19. Januar 1548 erkundigte sich nämlich Frölich erneut über die dem vorliegenden Brief beigelegte Widerlegung von Pedioneus' Darstellung des Krieges. Dabei gab er die Information, dass diese Widerlegung aus 1'270 Versen bestand, und fügte hinzu: "genus carminis est iambi ad trimetrum scazon" (Zürich StA, E II 346, 240b). Demnach kann hier nur die später ohne Orts- und Datumsangabe veröffentlichte Schrift De bello germanico in laudem Joannis Pedionaei, eiusdem belli scriptoris. Carmen iambicum trimetrum scazon autore


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Vale et Hallerum cum domo sua caeterosque fratres singulos saluta. 17. decembris 1547. Ignoscae incuriae et festinationi.

[Ohne Unterschrift.]

[Ohne Adresse.]31