Heinrich-Bullinger-Briefwechseledition, Universität Zürich © Heinrich Bullinger-Stiftung Arpa Bibliothek Textbreite Schriftgröße

[2182]

[Ambrosius Blarer] an
Bullinger
[Konstanz],
18. Juni 1545

Autograph: Zürich StA, E II 357, 96; [Beilage:] 135 1 (Siegelspur) Teildruck und zusammenfassende Übersetzung: Blarer BW II 369f, Nr. 1191

Dem zu ermahnenden Josua [Bullinger], der diesen Brief überbringt, traut Blarer nicht ganz und schreibt daher nur wenig. Was sein Cousin [Konrad Zwick] neulich mit dem [Zürcher] Bürgermeister [Johannes] Haab verhandelt hat, hat Zwick, der seine Reise [nach Griesenberg] nicht bedauert, Bullinger mitgeteilt. [Beilage:] Vom Reichstag [zu Worms]: [Karl V.] besteht auf der Verlängerung der Türkenhilfe, konnte aber bis jetzt nichts erreichen. Auch die Determinata" will er nur bewilligen, falls das Konzil zu Trient diese ebenfalls beschließt. Die [Protestanten] aber beharren darauf; so u.a. [Friedrich II. von der]Pfalz und [Hermann von Wied, Erzbischof von] Köln. [Joachim II. von]Brandenburg wird sich ihnen vielleicht auch anschließen. Auf dem [Reichstag] ist von den weltlichen Fürsten nur Kurfürst Friedrich anwesend, und zwar seit drei Wochen. Er hat sich bereit erklärt, [Karl V.]Rechenschaft über seinen Glauben und über die Austeilung des Abendmahls in beiderlei Gestalt abzulegen. Die beiden Prediger in Worms [Leonhard Brunner und Hieronymus Brack]predigen noch weiter, wenn auch unter großer Gefahr. [Karl V] will den Bischof von Augsburg [Otto Truchsess von Waldburg] zum Reichsstatthalter machen, was [Friedrich II. von der] Pfalz missfällt. [Karl V] und Ferdinand I. haben [der Stadt] Ravensburg durch den Grafen Hugo von

a Abgesehen von kleineren Abweichungen textgleich mit Nr. 2180 ohne deren Nachschrift.
1 Die völlige Übereinstimmung der Schnitte
zur Versiegelung des Briefes auf f. 96 und 135 zeigt, dass diese Blätter zusammengehören. Zudem bedankt sich Bullinger unten Nr. 2184, 3f für die in der Beilage übermittelten Nachrichten.


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Montfort [-Tettnang] und [Hans]Philipp Schad mitteilen lassen, dass sie ihre beiden [evangelischen] Helfer [Konrad Konstanzer und Sebastian Kromer] beurlauben müssen. [Ferdinand 1.] hat den Landvogt von Ravensburg, [Haus Wilhelm von Laub]enberg zu Wagegg, beurlaubt. Einer seiner Höflinge hielt sich in Konstanz auf [Paul III.] hat [Karl V] einen großen Geldbetrag durch [Kardinal Alessandro] Farnese zukommen lassen.

En adest losuah ille, nepos tuus ex fratre 2 quem tibi commendo, ut ad bonam frugem hortere. Exiguo viatico instructum abire passus sum et, quum de illius fide nonnihil dubitem, non ausim plura per hunc ad te. [Con]sobrinus meus a3 que nuper egerit" cum consule Habio, 4 bona fide indicavit, nec penitere potest profectionis. 5

[Beilage:]

||135 Zeytung ab dem reychstag.

Kaiser hellt ernstlich an 6 das man das einzogen gellt 7 bey allen reychstenden hinußgebe und die huss noch 6 jar bewillige; aber deren kams hat er noch erlangt. 8

So dringt er auffs hefftigest, das man bewilligen welle in die determinata 9 (ut vocant), so das concilium zu Trient schliessen werde 10 . Aber die unsern

a Consobrinus am Rande korrigiert an Stelle von gestrichenem sororius. — Con in consobrinus im engen Einband verdeckt.
b Vor egerit gestrichenes apud vos.
2 Josua, der Sohn von Johannes [Reinhart] Bullinger, hatte im Oktober 1544 seine Konstanzer Lehrstelle als Kürschner verlassen und eine neue in St. Gallen angetreten (HBBW XIV 549, 5-8). Im Januar hatte er Myconius in Basel besucht und diesen nach einem geeigneten Lehrmeister gefragt, um sich danach vielleicht nach Straßburg zu begeben; s. oben Nr. 2064, 72-78; Nr. 2068, 9f. Im August 1545 befand er sich in Rain am Lech (Kr. Donau-Ries, Bayern); s. unten Nr. 2218, 4-6. 66-71; 2232, 6-15.
3 Konrad Zwick.
4 Der Zürcher Bürgermeister Johannes Haab. — Bei diesem Treffen ging es um Zwicks Kriegskunst und nicht etwa um Verhandlungen über den Anschluss von Konstanz an die Eidgenossenschaft; zwei Angelegenheiten, die auch oben Nr. 2173 unterschieden werden (vgl. aao, Z. 24-27 mit Z. 490.
5 Zwick war zu Heinrich von Ulm nach Griesenberg gereist, wo er mit Jakob Röist und Johannes Haab über seine Kriegs-
kunst verhandelte; s. oben Nr. 2173, Anm. 7.
6 hellt ... an: besteht darauf.
7 Gemeint ist der Türkenpfennig; s. dazu oben Nr. 2131, 92-95 und Anm. 57.
8 Die Angelegenheit der Türkenhilfe wurde auf den nächsten Reichstag verschoben; s. Johann Loserth, Innerösterreich und die militärischen Maßnahmen gegen die Türken im 16. Jahrhundert. Studien zur Geschichte der Landesdefension und der Reichshilfe, Graz 1934—Forschungen zur Verfassungs- und Verwaltungsgeschichte der Steiermark XIII, S. 44.
9 Die "Determinata" sind diejenigen Punkte, deren Durchsetzung die Protestanten unbedingt verlangten (die Lehre der Rechtfertigung durch den Glauben, den Laienkelch und die Priesterehe), im Gegensatz zu den als "Adiaphora" bezeichneten, verhandelbaren Punkten. 1544 hatte der Kaiser die Protestanten auf die Durchsetzung der "Determinata" hoffen lassen, um ihre finanzielle Unterstützung in seinem Krieg gegen Franz I. zu erhalten; s. z.B. HBBW XIV 134(Nr. 1867); 256,7-9; 262, 1-15 (bes. 5-7); 298, 25; 313, Anm. 10; 497, 19-22; 573, Anm. 10; und oben Nr. 2131, Anm. 53.
10 so das concilium zu Trient schliessen werwegeren


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11 sich des für und für 12 . So habend sich die zwen churfursten, Pfaltz 13 und Coln 14 ouch entschlossen, das sy es kurtzüm nitt thain wellen. 15 Acht man, Brandenburg 16 werd sich des ouch wideren 17 ; doch ists ungewisß.

Es ist kam weltlicher fürst da dann pfaltzgrauff Friderich 18 . Der churfürst 19 ist yetzund etwan drey wochen da gewest; erzögt sich handtuch 20 . Hat kai. mt. bericht, er welle ir seines glaubens und communicierens sub utraque specie satte und grundtliche rechnung geben.

Die zwen prediger zu Wurms 21 in der statt predigend noch beid, wiewol man hart darüff drüngen hat, sy abzestellen, und sy gar grosß gefar und creutz darob 22 bestehn müssend. de: falls das Konzil zu Trient [die "Determinata" auch] beschließt. —Karl V. wurde von Papst Paul III. wegen der von ihm unternommenen Religionsverhandlungen zurechtgewiesen; s. oben Nr. 2071, 34-36 und Anm. 25f. Demzufolge wollte er in Worms nicht mehr über Religionsfragen verhandeln; s. oben Nr. 2121, 65-69; 2131.90-105:2146,13—22:2153,21—27; 2166, 10-15; 2176, 23f.

11 weigern.
12 für und für: weiter.
13 Friedrich II., der Weise, von der Pfalz.
14 Hermann von Wied.
15 kurtzüm nitt thain wellen: durchaus nicht tun wollen. — Siehe hierzu Hans Rott, Friedrich II. von der Pfalz und die Reformation, Heidelberg 1904 — Heidelberger Abhandlungen zur mittleren und neueren Geschichte 4, S. 8: "In den einleitenden Propositionen für den Lauf der Reichstagsverhandlungen schloß sich Pfalz mit Köln der Forderung der evangelischen Stände an, gemäß dem Speierer Reichsabschied zunächst die Religionsfrage vorzunehmen und nicht, wie die katholischen Vertreter vorschlugen, gleich zu Anfang in die Frage der Türkenhilfe einzutreten"; vgl. auch unten Nr. 2188, 2-5.
16 Joachim II., Markgraf und Kurfürst von Brandenburg.
17 des ouch wideren: dem auch widersetzen.
18 Pfalzgraf und Kurfürst Friedrich II. Nach einer früheren Anwesenheit in Worms (um den 23. März 1545; s. Heidrich, Karl V. Il 64) traf Friedrich am 9. Juni 1545 erneut in Worms ein; s. Paul Kannengiesser, Der
Reichstag zu Worms vom Jahre 1545, Straßburg 1891, S. 68.
19 Damit kann nur Kurfürst Friedrich II. von der Pfalz gemeint sein, der im Begriff war, in seinem Land die Austeilung des Abendmahls "sub utraque specie" einzuführen (s. Rott, aao, S. 44-47).
20 eifrig, mutig.
21 Leonhard Brunner und sein Kollege Hieronymus Brack. In PA I 62 unter "Juni" wird auf einen "Versuch, den Wormser Prediger aus der Dominikanerkirche zu verdrängen", verwiesen. Heidrich, Karl V. II 86, spricht von einer vom Kaiser geforderten Abstellung der lutherischen Predigt in der Kirche des Franziskanerklosters. "Angesichts der Drohung der Protestanten, sogleich insgesamt den Reichstag zu verlassen", musste der Kaiser diesen Befehl zurücknehmen. —Vgl. unten Nr. 2183, 10-15. —Brack war 16 Jahre lang als Prediger in Worms tätig. Am 28. August 1548 hielt er in der dortigen Dominikanerkirche seine Abschiedspredigt, ehe er wegen des Interims die Stadt verlassen musste. Er wurde daraufhin Prediger in Westhofen (Lb. Alzey-Worms, Rheinland-Pfalz); s. August Wecke /1/ic. Leonhart Brunner, der erste vom Rate der Reichstadt Worms angestellte evangelische Prediger (1527— 1548), Worms 1895, S. xxxix; Adalbert Becker, Beiträge zur Geschichte der Frei- und Reichstadt Worms und der daselbst seit 1527 errichteten Höheren Schulen, Worms 1880, S. 58f.
22 deswegen. — Zur Redewendung "Gefahr und Kreuz" s. Wander I 1410, Nr. 18.


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Der kaiser understet sich, den bischofs von Augspurg 23 , der ain cardinal worden, 24 zu ainem statthalter im reych zu verordnen; das will der pfaitzgrauff nitt nachgeben, 25 von wegen das une nach der rychsordnung dis ampt gepürt.

Kaisers 26 und konig 27 habend denen von Ravenspürg durch den grauff Hügen von Muntfort 28 und Philipp Schaden 29 gar trungelich sagen lassen, das sy ire zwen helffer 30 hinweg thüen; dorüff haben sy ain bedacht 31 genommen 32

Der konig hat ouch dem landtvogt zu Ravenspurg 33 urlob geben, um das 34 er mitt gott daran 35 . Ist gar ain redlicher edelman 36 von Lowenberg 37 zu Wageck uff gestert hie gewesen.

23 Otto Truchsess von Waldburg.
24 Siehe oben Nr. 2065, Anm. 30; 2166, Anm. 14.
25 Friedrich II. war bereits 1522 Reichsstatthalter und ließ sich eine Medaille zum Andenken an die ihm vom Kaiser Karl V. übertragene Reichsstatthalterschaft anfertigen; s. Alfred Peltzer, Albrecht Dürer und Friedrich II. von der Pfalz, Straßburg 1905 — Studien zur Deutschen Kunstgeschichte 61, S. 16. 43f und Tafel III.
26 Karl V.
27 Ferdinand I.
28 Hugo XVI., Graf von Montfort-Tettnang.
29 Johann (Hans) Philipp Schad von Mittelbiberach zu Warthausen, geb. ca. 1505, gest. 7. Juni 1571 zu Warthausen; Sohn von Dr. Hans Schad, Herr zu Mittelbiberach, Obersulmetingen und Warthausen und der Ottilie Lang von Wellenburg. 1535 in Augsburg Heirat mit der ungarischen Erbin Ursula Thurzo von Bethlemfalva (Torsi von Bethlehemsdorf), welche 1544 starb; 1546 Heirat mit Euphrosyne von Rechberg (1519-1616). Er immatrikulierte sich im Winter 1520/21 in Orléans. 1527/28 Silberkämmerer bei König Ferdinand. 1539 Erwerb der Herrschaft Hohenfreiberg als österreichisches Lehen; er "benutzte das Schloß bis zum Tode des Vaters als standesgemäßen Sitz, sofern er nicht im Dienste Ferdinands unterwegs war oder in Augsburg wohnte"(Amerbach Korr. IX 729 zu Nr. 3961). 1540 Ritter, königlicher bzw. kaiserlicher Rat und Kämmerer. Von etwa 1558 bis 1566 österreichischer Landvogt der Markgrafschaft
Burgau. —Lit.: Amerbach Korr. IX 729 zu Nr. 3961 (mit weiterer Lit.); und Amerbach Korr. XI/2, passim.
30 Konrad Konstanzer und Sebastian Kromer, Helfer an Liebfrauen. Konstanzer wurde daraufhin abgesetzt, wurde aber bereits Ende Oktober oder im November 1545 zurückgerufen; s. Warmbrunn 58-63; Litz, 257-262.
31 Bedenkzeit.
32 Zur Sache s. RTA JR XVI/2 1622, Nr. 23 (unter "Supplikationen"): Reichsstadt Ravensburg: Verantwortung vor den von Kg. Ferdinand eingesetzten Kommissaren Hugo von Montfort und Hans Philipp Schad von Mittelbiberach wegen der Aufrichtung einer neuen Kirchenordnung und der Bestellung eines Pfarrers.
33 Hans Wilhelm von Laubenberg zu Wag-eg (bei Haldenwang im Allgäu) (1511— ca. 1563/64), Sammler und Erforscher von Altertümern und Münzen sowie Förderer der reformatorischen Lehre und überzeugter Anhänger Schwenckfelds, den er finanziell unterstützte und dessen Schriften er auf seiner Burg zum Druck vorbereiten ließ. Wie schon sein Vater Hans Caspar von Laubenberg (gest. 1522) war auch er kaiserlicher Rat, ab 1541 Landvogt von Schwaben mit Sitz in Ravensburg, ein Amt, von dem er (laut diesem Brief) von Ferdinand beurlaubt wurde und von dem er nicht (entgegen Gritschke) von selbst zurücktrat. Er war Schwager des Schwenckfelders Georg Ludwig. — Lit.: Weber, Schwenckfeld 13 und Anm. 6; Gritschke, Schwenckfeldertum 405-408;


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Datum den 18. iunii 1545.

Clamemus ad dominum!

Der papst 38 hat dem kaiser durch den cardinal de Fernese 39 ain grosß summ gelts zu amer verehrung zügeschikt. 40 °

[Adresse auf der Rückseite:] D. Heinricho Bullingero suo. Tigu[ri]c .