[2626]
Ambrosius Blarer
an Bullinger
[Konstanz],
16. Oktober 1546
Autograph: Zürich StA, E II 357, 202-204 (Siegelspur)
Teildruck und zusammenfassende Übersetzung: Blarer BW II 520-522,
Nr. 1357[1]Außer den vom [Konstanzer] Rat an den [Zürcher] Rat übermittelten Nachrichten gibt es
nichts zu berichten; zudem stehen Blarer nicht immer Boten zur Verfügung. Der [Zunft]meister
Hans [...] von Isny hat den Brief Bullingers [nicht erhalten] überbracht und dessen anderen
Brief [nicht erhalten]mitgenommen. —[2] Mit Frankreich und England muss man klug umgehen,
um Gott nicht noch mehr zu reizen. —[3]Blarer freut sich zu hören, dass der Zürcher
Rat gegen die [eidgenössischen] Söldner, [die sich bei Füssen schlecht verhalten haben],
streng vorgeht, denn so kann der gute Ruf [der Eidgenossen] wiederhergestellt werden. Besonders
die St. Galler und deren Hauptleute [Hans Blum, Ottmar Fridbolt, Christian Vogel
und Konrad Glintz] haben sich übel aufgeführt. —[4]Bullinger wird erfahren haben, dass es
noch immer zu keiner [richtigen] Schlacht mit dem Kaiser [Karl V.]gekommen ist. Während
des letzten Scharmützels [vom 4. und 5. Oktober]gab es allerdings mehr als 3000 Opfer auf
beiden Seiten. —[5]Beim Abzug aus ihrem Lager [bei Wemding]haben die deutschen Söldner
des Kaisers an mehreren Orten [Flugblätter für das schmalkaldische Heer] hinterlassen, in
denen sie dieses zu Gehorsam gegenüber ihrem rechtmäßigen Oberhaupt und zur Umkehr
auffordern. [Der Feind] lässt nichts unversucht, um [die Schmalkaldener] abzuwerben!
—[6] Er hat das pfalzgräfliche Lauingen belagert, ja vielleicht sogar schon erobert, und alle
Brücken über die Donau besetzt, so dass [das schmalkaldische Heer] bis nach dem [südwestlich]
gelegenen Ulm ziehen muss, um den Fluss überqueren und Augsburg [zu Hilfe kommen]
zu können, welches der Kaiser nun mit einer vorgetäuschten Belagerung bedroht, währenddem
er in Wirklichkeit nur vorhat, unbehelligt nach den [nordöstlich]gelegenen Städten Ingolstadt
und Regensburg zu gelangen. Er führt [die Schmalkaldener] an der Nase herum und nutzt
wahrscheinlich dabei die Dienste von Verrätern. —[7]Sollte der Kaiser erneut in Deutschland
überwintern (was er nur seinem Bruder [Ferdinand I.]zuliebe tun würde), wird er wohl sein
Winterlager bei Regensburg aufschlagen. Doch ist Blarer vielmehr der Meinung, dass der
Kaiser nach Italien ziehen wird. Um seine Truppen besser abziehen zu können, entfernt er sich
von den [Schmalkaldenern]. Seine Italiener sind ungern in Deutschland. Zudem wäre ihre
Überwinterung dort sehr kostspielig. Begibt er sich aber nach Italien, spart er Geld, weil er
dann die italienischen Söldner beurlauben und nur noch die deutschen Söldner (die ihm dort
treuer als in Deutschland sein werden) behalten kann. Zudem weiß er gut, was im Frühling auf
ihn zukommen wird, zumal ihm die Absichten Frankreichs und Englands nicht verborgen sind.
Sollte ferner Papst (Paul III.] vom Kaiser Abstand nehmen oder gar sterben, während dieser
in Deutschland ist, könnte ihm ganz Italien abtrünnig werden. Darum wäre es für den Kaiser
vorteilhafter, den Winter in Mailand zu verbringen. Im Frühling könnte er dann neue italienische
Söldner anwerben und mit diesen nach Deutschland ziehen, währenddem er die deutschen
Söldner in Italien zurücklässt, damit diese dort für Ruhe sorgen. Auch könnte er sich
leicht von Italien nach Spanien zurückziehen. Bleibt er aber in Deutschland, würde ihm dies
zum Nachteil gereichen. Denn ließe ihn u.a. der Papst fallen (besonders in finanzieller Hinsicht),
befände er sich in einer sehr schwierigen Lage, weil es dann nicht einfach sein würde,
Geld von Spanien nach Deutschland bringen zu lassen. Wie auch immer, Gott wird wohl mit
diesem Feind (die Schmalkaldener] weiterhin züchtigen, bis sie sich bessern. —(8) Hoffentlich
wird Gott etwas ausrichten können mit den von den [Schmalkaldenern] derzeit neu gemusterten
Söldnern, die weniger und auch nicht so rüpelhaft sind wie die anderen, [die während
des Sommers]angeworben wurden. Denn die vorherige große Anzahl von Soldaten hat
Gott wohl daran gehindert, sein Werk zu vollbringen. —(9) Der Kaiser wird auf die Eroberung
der Klause [Ehrenberg]gedrängt haben, damit er umso besser und sicherer [nach Italien] zu
gelangen vermag. Nun inszenieren (fremde) Söldner ein Manöver bei Bregenz, damit der
Kaiser sich unbemerkt nach Italien zurückziehen kann. Doch sobald dieser die Etsch erreicht
haben wird, werden seine Truppen an der Klause und bei Bregenz für Aufsehen sorgen, um
dann auf listige Weise selbst verschwinden zu können, ohne dass die nachlässigen [Schmalkaldener]
es merken. —[10]Was werden denn die [Schmalkaldener]danach tun? Die Papisten
werden bestimmt Grund zur Furcht haben. Gott möge sich dieses Gesindels erbarmen, das
jetzt noch so siegessicher ist, wo doch sein Verderben unmittelbar bevorsteht. —[11]Blarer ist
gespannt auf die Tagsatzung (der protestantischen Orte in Zürich]. Gott schenke dieser einen
friedlichen Ausgang! —[12]Bullinger soll für ihn beten und alle guten Freunde grüßen lassen.
[Thomas] Blarer und [Konrad Zwick]grüßen auch.
Es ist, furgeliepter herr und vertrauwter brüder, nichts by unß, dann das von
den unsern den ewern ist zugeschriben. 1 Die botten (wie vlyssig ichs 2 beger)
werden mir nitt allmal angezögt; sonst schrybe ich euch danecht 3 , sovyl ich
wisste. Maister Hans 5
von Ysne 4 hat mir ewern brieff überantwurt. Ewer
brieff 6 hat er selbs mitt im wäg gefürt. Sagt, er wells ordenlich und zum
besten verschaffen. Ist wol by im usgericht.
Mitt Franckreych und Engelland 7 wellend wir thain 8 , so best wir mögend.
Gott, der truw vatter, welle in allweg verhüten, damitt wir nitt noch weyter
und von 9 newen dingen in seinen zorn wattind 10 . Es ist doch des allten übels
on das vyl ze vyl, etc.!
Das ewere herren dermassen gegen den knechten 11 handlen, gefellt uns
wol, dann dardurch wurt das böß gschray 12 widerum erholet 13 , so man sicht,
wie die oberkait in sollichem fall gesinnet ist. Die Sanct Galler, sonderlich
die hoptleut 14 , haben sich gar ubel gehalten.
Der schlacht halber mitt dem kaiser 15 werdt ir nunmehr wol wissen, das es
nichts ist. Aber der letst scharmützel 16 hat vyl leut kost uff baid syten. Man
acht, das weyt ob drey tusend belyben seyen zu baiden seyten. Es ist ain
ernstlicher schertz!
Die kaiserischen teutschen knecht, alls sy usß irem leger 17 gezogen sind,
habend sy hin und wider 18 brieff 19 gelegt, damitt, so die unsern nacher kemind,
das sy die fundind und läsind. Darin sy sy gar hoch und trungelich
vermanend, das sy nitt dermassen wider iren rechten, ordenlichen und naturlichen
herren seyen, ir sach baß 21 bedenckind, das entlich darusß folgen.
Dann der kaiser werde nitt nachlassen und alles daran setzen. Sy sollind
widerkeren, diewyl die port der gnaden 22 noch offen stande, und anders
derglichen. allso laßt diß volck 23 nichts onversucht, was immer dahin dienen
möchte, das man die unsern abfellig machte, etc.
So wisst ir, das er, der kaiser, das pfaltzgräfisch a stättlin Laugingen 24 , das
man sonst Lobingen nennt, belegen und vyllicht erobert hat, und allso yetz
und all brucken innuber
25 die Thunow, das
26 die unsern yetz widerum byß
uff Ulm ziechen müsend, wellen sy hinuber; wellchs alles usß uffsatz
27
beschicht. Dann der kaiser geht daruff umb
28 . das er die unsern weyt heruff
an die Tonauw
29 bring, damitt er weyt danyden
30 widerum uff Ingolstad und
Regenspurg sicher kommen mög und sy ime nitt allso in den ysen lygind
31 .
Dorum simuliert er yetz, alls wellte er uff Augspurg ziechen, und lesst
ussgehn, alls wellt ers blegern, so er doch diser zyt nichts minders im synn
hat. Es sind aber sine geschwinde anschläg
32 , damitt er die unsern dermaß
by der nasen umfüre nach seinem willen, wie er byßanher gethon und on
zwyfel gute verrätterey usß den unsern gehapt hat.
||203 Ich halts gentzlich darfür, der kaiser werd sein wynterläger zu Regenspurg
und daselbst herum haben, so er anderst 33 im Teutschland -welchs
34
er allain seinem bruder zu gut thain müst - wynteren will; das ich doch
ungern gelob 35 usß vyl ursachen, sonder vermuten aller ding 36 , er werd uff
Italiam trachten. Darum weytert 37 er sich von den unsern, damitt er sicherer
abziechen mög, etc. Die Italiäner sind mitt grossem unstatten 38 und ungern
hie ussen 39 . So wurde im ain grosser kost uffloffen den wynter, wa 40 er hie
ussen blyben wellt. Sonst, so er stattlich 41 hinein 42 kommen kan, mag er die
Welschen 43 allsdann mitt glympff 44 urloben und grossen unkosten ersparen,
und die teutschen knecht by im bhalten, denen er dinnen 45 baß dan hie ussen
trauwen darff. Item er waist, wes er sich uff künfftigen früling zu besorgen
hat, und sind im Franckreichs 46 und Engelands 47 vorhaben nitt verborgen.
Sollt dann der papst 48 im ouch fälen 49 oder (wie all tag vermutlich) b absterben
50 und der kaiser nitt in Italien sein, dorfft er in grossen unfal
51 graten
und gantz Italien abfellig werden (dann
52 es on das gar seltzam dinnen
steht), das ime aller sachen halb gelegner und minder fahrlich
53 ist, sich gen
Mailand ze thain. Da, acht ich, werde sin wynterofen sein. Sicht es inn
dann uff kunfftigen früling, nach gelegenhait aller sachen, für gut an, widerum
heruß ze ziechen, so macht er dinnen frisch knecht und lasst die
teutschen knecht dinnen, das sy die stirnen darbietind, wa sich etwas unru
dinnen erregte, etc. Sicht es inn nitt wol an, ey
55 so kan er allsdann sich wol
widerum in seinen vortail schicken, in Hyspanien hinein. Bleypt er aber
disen wynter herusß
56 (das ich ye nitt
57 gloub), so thut ers gewisß zu seinem
grossen, treffelichen unfal. Dann er wirt sich vyl, vyl zu befaren haben
58 uff
kunfftigen früling. So darff der papst inn ouch wol lassen in hindern sechen
59 . Allsdann were er gar im sack
60 und geschossen
61 , sonderlich so er
inn an
62 gellt liesse, dann ers ausß Hyspanien nitt wol (nach dem und er
dörffte
63 ) c bringen kan. Aber, wie dem allem, gott wirt unß wol mitt disem
fynd fretten 64 und usmöerglen
65 , wie schon zum tail beschechen, ob
66 wir
wellind mores lernen.
Ich hoff, das frisch landvolck, so man yetzt von newem macht, 67 welchs
doch 68
gar nitt so schantlich und ruchloß ist, solle ehr inlegen, und gott
werds etwas usrichten lassen, wie wenig es ist, gegen 69 dem andren hufen 70 .
Dann ich kan michs glatt nitt versechen 71 , das diser grosß hauff samentlich 72
etwas thain werde, dieweyl gott darinn syn wunder nitt, wie er dann gemainklich
pflegt 73 , erzögen kan. Wir ligen warlich selbs im weg und irrend 74
inn
75 , das er zu sym werck nitt kommen kan.
76 Es muß die sach anderst
geschiben
77 werden!
||204 Ich acht, der kaiser hab ouch uff eroberung der Kluß 78 widerum allermaist
getrungen, damitt ime daselbst hinein 79 kain schad begegne und er
aller ding dest sicherer hinein möge kommen. Dessgleichen die knecht zu
Bregetz 80 lugind ouch daruff 81 da 82 uff ain zutz 83 damitt man sich allso hie
oben 84 verglarre 85 und sonst 86 dest weniger sorg habe. Aber am 87 abziechen,
bald 88 der kaiser die Etsch erraicht wirt haben, so seche man zu, so werden
etwan die an der Kluß und die zu Pregetz ain untuß 89 bewysen und ainen
stanck 90 hinder inen lassen, sonderlich dieweyl wir alls 91 liederlich mitt den
sachen umgehind.
Wolan, zucht der kaiser ausß dem land, so will ich doch gern sechen, was
die unsern daruff handlen! Dann all papisten sehr ubel erschrecken werden,
unnd wirt inen das hertz gar empfallen. Gott erbarme sich des elenden
gesinds 92 und erleuchte sy mitt seiner erkantnusß. Sy gloriieren yetz und
triumpfieren in irem synn. Wellen mainen, sy habinds alls 93 erobert; wissen
nitt, das ir verderben an der thür ist.
Mich verlangt zu vernemmen, was der kunfftig tag 94 bringen werd. Gott
well, das er 95 wol und aller ding fridlich usschlache 96 .
Hiemitt dem herren zum besten bevolchen. Den bitten mitt globen, und
stäts, für mich. Sagt allen guten herren und freunden vyl, vyl liebs, dienst,
guts und grutz. Min lieber bruder
97 und vetter
98 empieten euch alles liebs
mitt gutwilligen christlichen diensten. Datum den 16. octobris 1546.
Ambr. Bl.
[Adresse auf S. 205:]Bullingero suo. Tiguri.